Welche Erfahrungen machen Journalist*innen mit Hass und Angriffen? Zum zweiten Mal hat das Bielefelder "Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung" (IKG) in Zusammenarbeit mit dem MEDIENDIENST Medienschaffende in ganz Deutschland befragt. Das Ergebnis: Rund 60 Prozent der befragten Journalist*innen wurden im vergangenen Jahr mindestens ein Mal angegriffen. 2017 waren es etwa 42 Prozent.
41 Prozent der Befragten berichten von mehrmaligen oder regelmäßigen Angriffen. Rund 16 Prozent haben im Laufe ihres Berufslebens schon einmal eine Morddrohung erhalten. Ein Befragter etwa schreibt: "Ich bekam mehrfach anonyme Briefe mit Morddrohungen, geschickt sowohl ans Funkhaus, als auch an eine Verlagsadresse." Mehr als die Hälfte der Betroffenen fühlte sich nach der Morddrohung nicht gut durch die Sicherheitsbehörden geschützt.
Aus Sicht der Befragten gibt es Themen, die besonders häufig Hass nach sich ziehen. An erster Stelle steht "Migration", dicht gefolgt von "AfD" und "Flüchtlinge". 82 Prozent der Journalist*innen, die selbst angegriffen wurden, vermuten, dass die Angreifer*innen aus dem politisch rechten Milieu stammen. Geahndet werden die Angriffe selten: Nur etwa jeder vierte Fall, der polizeilich ermittelt wurde, hat zu einer Verurteilung geführt.
Die Studie können Sie hier herunterladen.
Welche Folgen haben die Angriffe?
Fast zwei Drittel der Betroffenen (rund 63 Prozent) sagen, dass die Angriffe sie psychisch belasten. Das sind deutlich mehr als 2017 (rund 46 Prozent). Ein Befragter etwa berichtet: "Es ist beängstigend und deprimierend, so angegriffen und bedroht zu werden. Dies führt zu einer dauerhaft erhöhten psychischen Anspannung bei der Verrichtung der Arbeit, die Angst, Fehler zu machen ist groß, das Gefühl der Isolation auch. Auf Dauer macht dieser Zustand etwas mit einem, das eigene Weltbild verformt sich negativ."
Die Angriffe haben auch Auswirkungen auf die journalistische Arbeit: 62 Prozent der Befragten sehen die Freiheit und Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Deutschland in Gefahr. Mehr als die Hälfte hat Verständnis dafür, wenn Kolleg*innen aus Sorge vor Angriffen nicht über bestimmte Themen berichten.
Was hilft?
Um die Angriffe zu verarbeiten, suchen viele Journalist*innen den Austausch mit Kolleg*innen (rund 83 Prozent) oder dem privaten Umfeld (rund 79 Prozent). Auch die Redaktionen bieten Unterstützung an – etwa in Form von juristischem Beistand oder Schulungen. Diese Angebote werden von den Befragten als hilfreich wahrgenommen.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz dagegen sehen die Journalist*innen eher kritisch: Über die Hälfte der Befragten sagt, das Gesetz trage "eher nicht" oder "überhaupt nicht" zu einem besseren Umgang mit Hate Speech im Netz bei.
Was fordern Journalist*innen?
Die Journalist*innen wurden auch gefragt, welche Unterstützung sie sich wünschen. Viele sehen hier die Polizei und Strafverfolgungsbehörden in der Pflicht: Sie müssten Medienschaffende besser schützen und Straftaten konsequenter ahnden. Von der Politik fordern die Befragten klarere gesetzliche Regelungen, aber auch mehr öffentliche Solidarität. Mehr Solidarität wünschen sich einige auch von ihren Kolleg*innen. Ein Journalist etwa schreibt: "Unter den Kollegen absolute Solidarität! Wer anfängt, nach dem Warum eines Angriffs zu fragen, hat diesen Solidaritätsboden verlassen."
Für freie Journalist*innen fordern die Befragten mehr Unterstützung von Verbänden und Gewerkschaften – etwa durch rechtliche und psychologische Beratung. Zudem rufen sie die Redaktionen auf, sich stärker für freie Mitarbeiter*innen einzusetzen. So schreibt ein Befragter: "Die Gewissheit, dass die auftraggebende Redaktion im Zweifelsfall voll hinter ihnen steht (ggf. auch die Rechtsabteilung des Verlags) würde sicher helfen."
Zur Studie
Die Studie basiert auf einer anonymen Online-Umfrage, die von Oktober bis Dezember 2019 durchgeführt wurde. Teilgenommen haben 322 Journalist*innen, die unter anderem über die Landesverbände des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) kontaktiert wurden. Die Studie ist nicht repräsentativ, erlaubt aber Einblicke in den Arbeitsalltag Medienschaffender in Deutschland. Sie wurde von der Freudenberg Stiftung gefördert.
Von Jennifer Pross
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