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ÜBER DIESE FOLGE
Folge 8: "Was Migration den Sozialstaat kostet - und was sie bringt"
mit den Ökonomen Holger Bonin (IHS, Wien),
Herbert Brücker (IAB, Nürnberg) und Bernd Raffelhüschen (Uni Freiburg) sowie Martin Werding (Ruhr-Universität, Bochum)
Die Zuwanderung nach Deutschland koste den Staat auf lange Sicht 5,8 Billionen Euro – das war das Ergebnis einer Rechnung von Anfang des Jahres, die viel diskutiert wurde. Eine weitere Berechnung kommt nun zu einem anderen Ergebnis: Der Staat spare dank Einwanderung schon jetzt jedes Jahr Milliarden.
Für unsere neue Folge haben wir mit mehreren Ökonomen gesprochen und gefragt: Was kostet Migration den Staat - und was bringt sie an Einnahmen? Welche Faktoren beeinflussen die Höhe? Und wie berechnet man so etwas?
Über die Kosten und Einnahmen von Zuwanderung streiten sich Wirtschaftswissenschaftler schon seit längerem. Für den Ökonomen Bernd Raffelhüschen (Uni Freiburg) ist die Sache klar: Unter den aktuellen Vorzeichen werde "Migration eher zu einer Belastung als zu einer Entlastung für den Sozialstaat", sagt er im Podcast. In Medienberichten wurde er mit der Zahl zitiert: "Die Zuwanderung, wie sie bisher geschieht, kostet uns gesamtwirtschaftlich 5,8 Billionen Euro."
Anders sieht das der Ökonomen und Wirtschaftsweise Martin Werding (Ruhr-Uni Bochum): Laut seiner Berechnung spart Migration dem Staat in den nächsten Jahrzehnten hunderte Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt er in einer Rechnung, die er für den Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung gemacht hat. Im Gespräch mit dem Mediendienst beziffert er die Entlastung des Staatshaushalts durch Migration auf 95 Milliarden Euro jährlich.
Woran liegt das?
Die wesentlichen Unterschiede liegen in der Methodik. Raffelhüschen verwendet die "Generationenbilanz". Sämtliche heutigen Staatsschulden werden dabei rechnerisch auf die künftigen Generationen hochgerechnet. So lässt sich zeigen, wie nachhaltig der Staat heute wirtschaftet. Migration hilft in dieser Rechnung nur wenig, um die künftigen Staatsschulden zu reduzieren.
Die Tragfähigkeitsanalyse von Werding hat einen ähnlichen Ansatz. Allerdings wird hier mehr aggregiert und geschaut, wie sich die Staatsausgaben in Zukunft unter verschiedenen Bedingungen entwickeln könnten. Migration bringt in diesem Modell deutliche Einsparungen, weil sie den demographischen Wandel verlangsamt, der andernfalls zu Mehrausgaben führen würde.
Wann bringt Migration Kosten? Und wann Einnahmen?
Wenn Migranten neu nach Deutschland kommen, kostet das den Staat erst einmal Geld - etwa für Sprachkurse oder Integration. Bei Geflüchteten, die aus humanitären Gründen nach Deutschland kommen, gibt der Staat anfangs mehr Geld aus. Später, wenn sie arbeiten, wird die Bilanz positiver.
Deutlich positiver ist die Bilanz bei Migranten, die direkt zum Arbeiten nach Deutschland kommen. In den letzten zehn Jahren kamen etwa zwei Drittel aller Migranten nicht als Geflüchtete. Sobald sie arbeiten – und das machen die meisten – bringen sie dem Staat Einnahmen. Außerdem sind Migranten im Schnitt jünger als die einheimische Bevölkerung und haben häufiger Kinder - damit tragen sie zur Verlangsamung des demographischen Wandels bei.
ZITATE
Raffelhüschen: "Also die buchhalterische Geschichte der Generationenbilanz heißt natürlich, dass wir davon ausgehen, dass alles bleibt, wie es ist. Wobei wir natürlich wissen, dass nie alles bleibt, wie es ist.... In dieser Berechnung wird die Migration zu einer Belastung der sozialen Sicherungssysteme und nicht zu einer Entlastung. Das ist die Kernaussage."
Herbert Brücker: "Je besser Einwandererinnen und Einwanderer qualifiziert sind, desto mehr bringen sie für den Staat ein. Wir können auch davon profitieren, wenn die Menschen schlechter qualifiziert sind als die deutsche Bevölkerung, weniger Steuern und Abgaben bezahlen. Ganz einfach, weil zum Beispiel die Bildungsausgaben wegfallen, wenn Menschen erst im erwerbsfähigen Alter einwandern oder viele altersbezogene Ausgaben wegfallen, wenn Menschen, die im Rentenalter sind, wieder zurückwandern.."
Holger Bonin: "Irgendwann nach Corona fehlten am Frankfurter Flughafen Kofferträger. Und das ist ein einfach qualifizierter Job. Und wenn Einheimische nicht mehr fliegen können oder ihr Flug ausfällt, weil man die Abfertigung nicht hinbekommt, dann entsteht Wohlfahrtsverlust. Das ist im Prinzip, der Kuchen wird größer, wenn die Leute fliegen können."
Bernd Raffelhüschen: "Wir brauchen Zuwanderung, wir brauchen Qualifizierte, wir brauchen Junge. Und wir müssen Einwanderungsregeln haben, die diese Qualifikation stärken.…Aber die Zuwanderung, die wir innerhalb von Europas haben, die ist für Deutschland immer ein Gewinn. Das ist überhaupt keine Frage."
WEITERE QUELLEN
Raffelhüschen (et.al.) (2024): Zur fiskalischen Bilanz der Zuwanderung, Berechnung
Werding (2024): Modellrechnungen für den Sechsten Tragfähigkeitsbericht des BMF, Seite 93, Berechnung
Sozialstaat und Migration: Was bringen Einwanderer ein? Mehr zur letzten großen Debatte zum Thema im Jahr 2014, Artikel
Der Podcast "Einwanderungsland" wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.
Sounddesign: Fabio Ghelli
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