Ohne das Engagement von Ehrenamtlichen hätten Geflüchtete an vielen Orten in Deutschland überhaupt nicht versorgt werden können. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Studie des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft hervor. Dafür haben die Stadtforscherin Elke Becker und der Politikwissenschaftler Rudolf Speth von Januar bis März 2016 ehrenamtliche Helfer und Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen in Mannheim, Berlin und Starnberg befragt. Im Fokus der Interviews standen die Entwicklungen seit September 2015, als die Zahl der in Deutschland ankommenden Geflüchteten stark zunahm.
"Die öffentliche Hand war sehr dankbar, denn sie war an manchen Stellen sehr überfordert", so Elke Becker. Mittlerweile habe sich eine "wohlwollende Zusammenarbeit" zwischen Zivilgesellschaft und Behörden entwickelt. Vor allem in der Erstversorgung der Geflüchteten, wie zum Beispiel beim Verteilen von Essen und Kleidung oder dem Angebot von Deutschkursen, haben Ehrenamtliche zentrale Aufgaben übernommen. Rückblickend äußerten viele der Interviewten, dass sie sich heute deutlich anerkannter fühlten als noch vor einigen Monaten.
Über das soziale Engagement hinaus funktionieren sie laut Rudolf Speth zudem als "politisches Schutzschild". So hätten die Helfergruppen bewirkt, dass Akzeptanz und Toleranz gegenüber Geflüchteten in der Bevölkerung wachsen.
An den drei untersuchten Standorten stellten die Forscher Ansätze fest, von denen andere Orte lernen könnten:
Starnberg: Willkommenskultur vorbereitet
Der Studie zufolge bereiteten im Landkreis Starnberg Ehrenamtliche und Landräte mit "proaktiven Maßnahmen" eine Willkommenskultur vor. In Bürgerversammlungen konnten Fragen aus der Bevölkerung geklärt werden, noch bevor Unterbringungen für Flüchtlinge eingerichtet wurden. Die Helfergruppen unterstützen Geflüchtete auch direkt, zum Beispiel durch Fahrdienste, Einkäufe oder Kleiderspenden. Die Ehrenamtlichen leisteten damit "unersetzliche Arbeit", so die Verfasser der Studie. Im Gegenzug verschafften Landkreis und Kommune ihnen Freiräume und Ressourcen.
Mannheim: Gute Erstversorgung
Mannheim dagegen zeige vor allem, was für die Erstversorgung beispielhaft sei. In den drei sogenannten Bedarfsorientierten Erstaufnahmeeinrichtungen (BEA) und der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge (LEA) hätten sich viele Bürgerinitiativen zur Ersthilfe entwickelt, zum Beispiel mit Kleiderkammern oder Freizeitangeboten. Besonders positiv habe sich ein "Flüchtlingsgipfel" im September 2015 ausgewirkt, bei dem sich Bürgerinitiativen einbrachten. Im Anschluss wurde bei der Stadtverwaltung eine 20-köpfige Abteilung mit dem Schwerpunkt "Flüchtlinge und Ehrenamtskoordination" eingerichtet. Sie soll vor allem die Arbeit in den Einrichtungen vor Ort beobachten und Ehrenamtliche unterstützen.
Berlin: Vernetzung über soziale Medien
Die Bezirksstrukturen und die Bevölkerungsdichte Berlins erschweren den Forschern zufolge die Koordination der Flüchtlingshilfe. Viele Interviewte kritisierten, dass sich die Strukturen am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) immer wieder verändert hätten und Zuständigkeiten oft unklar gewesen seien. In der Folge haben sich Ehrenamtliche besonders stark eigenständig organisiert, vor allem über soziale Netzwerke. Dies sei ein gutes Modell für zukünftige Vernetzung, so die Forscher. Zudem hätten sich spontan gebildete Bürgerinitiativen wie etwa "Moabit hilft!" sogar zu eingetragen Vereinen entwickelt und damit mittelfristig etabliert. Die Konkurrenz zwischen Helfergruppen und etablierten Hilfsorganisationen hätten die Koordination und Kommunikation jedoch erschwert, so Befragte der Studie.
Ehrenamtliche müssen besser unterstützt werden
Vor allem in Berlin stellen die Forscher fest, dass sich Ehrenamtliche zunehmend erschöpft fühlen. Hauptgrund dafür sei die intensive Arbeit über lange Zeiträume hinweg. Helfergruppen, die sich zunächst spontan zusammengefunden hatten, hätten ihre Belastungsgrenzen erreicht. Ihnen fehle es an Ressourcen und Erfahrung. Die Forscher empfehlen deshalb dringend, den Austausch und die Zusammenarbeit mit etablierten Organisationen wie etwa der Arbeiterwohlfahrt oder der Caritas zu verstärken und Ehrenamtliche zu beraten und zu schulen.
Den Wissenschaftlern zufolge befindet sich die Flüchtlingsarbeit nun in einer neuen Phase: Von September 2015 bis Februar 2016 sei vor allem die Nothilfe entscheidend gewesen. Seit die sogenannte Balkanroute geschlossen ist, kommen viel weniger Flüchtlinge nach Deutschland. Entsprechend werden weniger Ehrenamtliche für die Ersthilfe gebraucht. Umso wichtiger werden sie der Studie zufolge jedoch als Integrationslotsen in die Gesellschaft. Vor allem in Sachen Werte, Lokalwissen, Sprache und Alltagsfragen spielten sie eine Schlüsselrolle. "Werte lassen sich nicht mit Kursen vermitteln, sondern durch Vorbilder und einen gemeinsamen lebensweltlichen Kontext", so die Forscher. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer werden also auch in Zukunft gebraucht.
Von Sandra Sperling
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