Viele "Geduldete" leben mit der ständigen Angst, abgeschoben zu werden. Oft der einzige Ausweg: eine Berufsausbildung. Gesetzesänderungen in den letzten Jahren haben diesen Weg des "Spurwechsels" aus der Duldung heraus geöffnet. Während der dreijährigen Ausbildung werden sie nicht abgeschoben. Wer im Anschluss einen Job findet, darf weitere zwei Jahre bleiben (3+2-Regelung). Neue Zahlen zeigen nun, dass immer mehr Geduldete diesen Weg versuchen.
Rund 8.200 "Geduldete" machen derzeit eine Ausbildung. Seit vergangenem Jahr ist ihre Zahl damit leicht gestiegen (2021: 8000). Viele andere haben ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und können für weitere zwei Jahre bleiben – auf rund 7.400 Geduldete trifft das inzwischen zu, sie haben eine "Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete" bekommen (2021: 819).
Die große Mehrheit der Personen mit Ausbildungsduldung kommt aus Afghanistan (rund 1.600), außerdem aus Iran, Irak, Gambia und Guinea (jeweils zwischen 500 und 600). Das alles geht aus Zahlen hervor, die das Bundesinnenministerium auf Anfrage des MEDIENDIENSTES mitteilte.
"Wir sehen hier eine sehr langsame Öffnung", sagt Kerstin Becker, Referentin für Flüchtlingspolitik beim Paritätischen Gesamtverband. Für Geduldete ermöglicht die Aufenthaltserlaubnis – nach Jahren der Unsicherheit und drohenden Abschiebung – erstmals den Weg in einen vorläufig sicheren Aufenthalt. Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag weitere Wege aus der Duldung öffnen. Auch einige große Unternehmen wie Ben&Jerrys oder Ikea fordern inzwischen ein großzügigeres Bleiberecht. CDU und CSU sind dagegen.
Wer von der Ausbildungsduldung profitieren will, muss seine Identität nachweisen oder zumindest glaubhaft machen, alles Zumutbare dafür zu tun. Für viele Geduldete sei das unmöglich. Ein Beispiel: "Selbst ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban wird von einigen Afghanen jetzt noch gefordert, dass sie sich einen afghanischen Pass beschaffen sollen", so Kerstin Becker.
Auf den zweiten Blick zeigen das auch die Statistiken: Zwar machen inzwischen mehr Geduldete eine Ausbildung. Aber auch die Zahl der Geduldeten insgesamt steigt – also die Zahl derer, die für eine Ausbildungsduldung in Frage kommen. Sie ist um rund 20 Prozent gestiegen, auf inzwischen 242.000 (2019: 202.000). Im Vergleich dazu schafft nur ein Bruchteil in die Ausbildungsduldung.
Was ist die Duldung?
Mit einer Duldung gilt man als "ausreisepflichtig", darf aber vorübergehend in Deutschland bleiben, weil man nicht abgeschoben werden kann. Die Duldung ist kein Aufenthaltstitel. Geduldete haben somit keinen gesicherten Aufenthalt, rein rechtlich können sie jederzeit abgeschoben werden. Menschen mit einer Ausbildungsduldung können für die dreijährige Ausbildung und im Anschluss zwei Jahre für eine Beschäftigung in Deutschland bleiben (3+2-Regelung, §60 d AufenthG). Mehr...
Ausländerbehörden und Betriebe arbeiten inzwischen häufiger zusammen. "Es wird besser", sagt Ulla Kampers, Personalleiterin bei "Nordluft", einem niedersächsischen Betrieb für Wärme- und Lüftungstechnik, bei dem in Kürze wieder ein Geduldeter seine Ausbildung beginnen wird. Die Politik bemühe sich, die "Hilfeschreie" aus der Wirtschaft aufzugreifen und jungen Geduldeten eine Ausbildungsduldung zu ermöglichen.
Unternehmen machen gute Erfahrungen
"Im August kommt ein junger Mann aus Guinea zu uns", so Kampers. Er ist inzwischen der dritte Geflüchtete im Betrieb, bis jetzt habe man nur gute Erfahrungen gemacht. Das seien junge Menschen, die schon jahrelang hier leben und unbedingt arbeiten wollen.
"Ich bin aber auch ein bisschen empört", sagt Kampers. Bis jetzt hat der Mann nur den Ausbildungsplatz sicher. Ob er es auch in die 3+2-Regelung schaffe, sei unsicher." "Letztlich hängt das am einzelnen Sachbearbeiter in der Behörde, der sich nicht querstellen darf." Diese Unsicherheit und der Aufwand schrecke viele Unternehmen vor der Ausbildungsduldung ab, so Kampers.
Der Bedarf bei Unternehmen ist groß
"Dabei ist der Bedarf nach Auszubildenden riesig. Und er ist durch Corona eher noch gewachsen", sagt Kampers, die sich auch im Netzwerk "Unternehmen integrieren Flüchtlinge" als Regionalbotschafterin engagiert. Viele Unternehmen suchten händeringend nach Auszubildenden. "Viele Geduldete sind aus wirtschaftlichen Gründen gekommen und ohne Aussicht auf Asyl." Die Duldung solle diese Menschen eigentlich abschrecken. Aber viele von ihnen lebten nun einmal seit Jahren in Deutschland, so Kampers. "Wir können es uns nicht leisten, diesen Menschen das Arbeiten zu verbieten."
Von Carsten Wolf
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