Bitte beachten Sie: Dieses Factsheet ist mittlerweile veraltet. Ein aktuelleres Factsheet vom 16. August 2024 finden Sie hier.
Das Thema "Messerangriffe" hat in den vergangenen Monaten wiederholt bundesweit Schlagzeilen gemacht. Im schwersten Fall griff Ende Januar ein 33-jähriger Mann mehrere Personen in einem Zug zwischen Kiel und Hamburg mit einem Messer an. Er tötete dabei zwei Jugendliche. Der Tatverdächtige war ein Staatenloser aus Palästina.
Seit dem tödlichen Angriff wird diskutiert, ob es eine Zunahme von "Messerangriffen" gab – insbesondere durch ausländische Täter. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schlägt ein Messerverbot in Zügen und Bussen vor. Eine ähnliche Debatte hatte es bereits vor fünf Jahren gegeben, als mehrere Fälle von "Messerkriminalität" in den Medien aufgegriffen wurden.
Der Medienwissenschaftler Thomas Hestermann von der Hochschule Macromedia in Hamburg und der MEDIENDIENST haben Daten über die Berichterstattung zum Thema "Messerkriminalität" sowie Daten der polizeilichen Kriminalstatistik untersucht. Das Ergebnis: Eine Zunahme der "Messerangriffe" lässt sich nicht abschließend feststellen. Auffällig ist eine mediale Verzerrung bei der Herkunft von Tatverdächtigen: Überproportional wird über die Nationalität der mutmaßlichen Täter berichtet, wenn sie eine ausländische Staatsbürgerschaft haben.
Was sagt die Statistik?
Ein Factsheet zur statistischen Erfassung von "Messerkriminalität" finden Sie hier: LINK >>>
Erst vor zwei Jahren hat das Bundeskriminalamt (BKA) begonnen, „Messerangriffe“ als Phänomen zu erfassen. Für das Berichtsjahr 2021 wurde bundesweit eine Zahl für die „Messerangriffe“ insgesamt angegeben (10.917 Fälle), für das Berichtsjahr 2022 nur die Zahl der „Messerangriffe“ bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung (2022: 8.160, 2021: 7.071) und bei Raubdelikten (2022: 4.195, 2021: 3.060). Den Beschluss, „Messerangriffe“ separat zu erfassen, begründet das BKA mit dem Anstieg „von Straftaten unter Verwendung des Tatmittels ‚Messer‘“ .
In zehn Bundesländern werden Straftaten mit Messern im Rahmen der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst und veröffentlicht. Im Vergleich zum Vorjahr stieg 2022 die Zahl der „Messerangriffe“ in Baden-Württemberg, Bayern (Region München), Berlin, Brandenburg, Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein. Sie ging im gleichen Zeitraum in Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zurück. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Datengrundlagen mit erheblichen Schwankungen.
Aus den Daten ergibt sich keine eindeutige Tendenz. Eine Zunahme der Straftaten mit Messern lässt sich anhand vorhandener Daten nicht abschließend feststellen – erläutert die Kriminologin Elena Rausch in einem Essay 2021.
Den Statistiken zufolge, die Daten zur Nationalität aufführen, ist der Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen höher als der Ausländeranteil in der Bevölkerung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das auch bei anderen Delikten der Fall ist. In Baden-Württemberg, Bayern (Region München) und Berlin war 2021 etwas mehr als die Hälfte der Tatverdächtigten bei „Messerangriffen“ nicht-deutsch. In Nordrhein-Westfalen waren es 43 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 21 Prozent.
Wie berichten Medien?
Die komplette Expertise von Prof. Dr. Thomas Hestermann "Wie Medien über Messerangriffe berichten" finden Sie hier: LINK >>>
Aus einer Analyse des Medienwissenschaftlers Thomas Hestermann von mehr als 600 Medienbeiträgen aus dem Jahr 2023 geht hervor: Berichte über Gewaltkriminalität haben stark zugenommen. Häufig gehe es um Messerangriffe – insbesondere, wenn die Tatverdächtigen ausländische Männer sind. Dabei würden die reichweitenstärksten Fernsehsender und großen überregionalen Tageszeitungen ein Bild zeichnen, das von der polizeilichen Kriminalstatistik abweiche.
Über tödliche Delikte wird häufiger berichtet, sie machen etwa die Hälfte aller Berichte über Messerangriffen aus. Die vorhandenen polizeilichen Statistiken – etwa aus Berlin – zeigen: In den meisten Fällen werden Opfer von Messerangriffen leicht oder nicht verletzt. Der Anteil tödlicher Delikte an der Gewaltberichterstattung ist also deutlich höher als in der polizeilichen Gewaltstatistik.
Bei der Herkunft von Tatverdächtigen gebe es eine starke Verzerrung in der Berichterstattung. Die Polizeiliche Kriminalstatistik von Nordrhein-Westfalen verzeichnete etwa 2021 bei Messerdelikten einen Anteil von ausländischen Tatverdächtigen von 42,6 Prozent. Die Berliner Polizei meldet für das gleiche Jahr einen Anteil von 51,7 Prozent.
Doch in der Berichterstattung werden deutsche Tatverdächtige bei Messerdelikten fast vollständig ausgeblendet: Bei den 81 berichteten Messerdelikten werden 81 Tatverdächtige beschrieben, davon 26 ausländischer Herkunft, ein einziger wird als deutsch bezeichnet. Bei den übrigen Delikten wird die Herkunft nicht genannt oder ist noch nicht bekannt. Heißt der Tatverdächtige etwa Siegfried, Jan oder Hartmut – so Hestermann – bleibe die Nationalität unerwähnt.
Von Fabio Ghelli
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