Der Anteil der Polizist*innen mit Einwanderungsgeschichte steigt. Das geht aus einer MEDIENDIENST-Befragung unter den Innenministerien der Bundesländer und der Bundespolizei hervor. Am vielfältigsten ist die Berliner Polizei, wo zuletzt 37 Prozent Personen mit Migrationshintergrund eingestellt wurden.
Berlin hat am meisten Polizist*innen mit Einwanderungsgeschichte
7 von 16 Bundesländern führen Statistiken zum Migrationshintergrund von Polizist*innen. In fünf davon ist der Anteil der neu Eingestellten mit Migrationshintergrund zuletzt gestiegen (Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz). In NRW, Sachsen-Anhalt und bei der Bundespolizei ist der Anteil im Vergleich zum Vorjahr in etwa gleich geblieben.
Zu den Daten: Die Zahlen basieren auf freiwilligen Angaben. Nur die Bundespolizei und die Landespolizei Niedersachsen befragen alle Mitarbeiter*innen. Einige andere Landespolizeien befragen neu Eingestellte und Bewerber*innen. Die Daten haben deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Fachtsheet: Polizist*innen mit Migrationshintergrund, Juni 2022
Seltener in Führungspositionen
Zum fünften Mal hat der MEDIENDIENST Daten zu Menschen mit Einwanderungsgeschichte bei der Polizei ausgewertet. Seit Jahren steigt ihr Anteil kontinuierlich. Aber: In fast allen Landespolizeien und bei der Bundespolizei liegt er deutlich unter dem Anteil in der Gesamtbevölkerung. Ein Repräsentationsproblem, sagt Savaş Gel, Kriminaloberrat bei der niedersächsischen Polizei: "Die Polizei muss die Bevölkerung widerspiegeln und Vielfalt als Stärke betrachten - daher ist es so wichtig, dass die Polizei Nachwuchsgewinnung bei Menschen mit Migrationshintergrund betreibt."
Besonders selten sind Führungskräfte mit Einwanderungsgeschichte: Daten der Bundespolizei und der Polizei Niedersachsen zeigen, dass nur wenige Menschen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen arbeiten (2,4 Prozent bzw. 4 Prozent).
Mehr Polizist*innen mit Migrationshintergrund gesucht
"Polizist*innen, die eine zweite Sprache sprechen, sind sehr gefragt", sagt Soziologin Alexandra Graevskaia. Sie forscht aktuell zu Vielfalt in Polizeistationen: "In bestimmten Situationen ist die Polizei zwingend darauf angewiesen, dass Polizist*innen mit Migrationshintergrund übersetzen." Im Alltag würde es zu lange dauern, Dolmetscher*innen einzubestellen. Auch deshalb sei es so wichtig für die Polizei, Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu werben.
Die Mehrheit der Bundesländer und die Bundespolizei sprechen in ihrer Werbung gezielt Menschen mit Migrationshintergrund an. Die meisten dieser Werbemaßnahmen gibt es in Berlin, wie etwa Informationsveranstaltungen bei Migrant*innen-Organisationen.
Andere Landespolizeien setzen auf andere Maßnahmen. Nordrhein-Westfalen verwendet zum Beispiel “Targeted Advertising” in sozialen Medien: Werbungen, die nur bestimmten Zielgruppen angezeigt werden, etwa “junge Menschen mit Migrationshintergrund in NRW”.
Weniger Rassismus bei der Polizei?
Führt mehr Vielfalt in der Polizei auch zu weniger Rassismus in der Polizeiarbeit? Astrid Jacobsen, Polizeiforscherin und Professorin an der Polizeiakademie in Niedersachsen ist skeptisch. "Die Organisationskultur in der Polizei ist sehr homogen. Das bedeutet: Sie sorgt eher für angepasstes Verhalten als für Vielfalt." Deshalb führe ein höherer Anteil an People of Color in der Polizei nicht unbedingt dazu, dass weniger Racial Profiling stattfinde. Aus der Forschung wisse man nämlich: "Menschen mit Migrationshintergrund müssen ihre Loyalität zur Polizei stärker unter Beweis stellen als ihre Kolleg*innen ohne Migrationshintergrund – und sich stärker anpassen."
Bundespolizei
3,4 Prozent aller Bundespolizist*innen haben einen Migrationshintergrund (Stichtag 1. Januar 2022). Ihr Anteil hat sich seit 2009 verdreifacht. Unter den Neueinstellungen 2021 sind etwas mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte (4,8 Prozent).
Unter den Führungskräften der Bundespolizei sind jedoch weniger Menschen mit Einwanderungsgeschichte vertreten: Im höheren Dienst sind es nur 2,4 Prozent.
Die Bundespolizei arbeitet mit einer anderen Definition des Migrationshintergrunds als üblich. Der tatsächliche Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund liegt vermutlich höher.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die Bundespolizei führt Informationsveranstaltungen durch an Schulen, in denen der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund besonders hoch ist. Sie arbeitet dafür etwa mit Integrationsräten zusammen.
Außerdem schaltet die Bundespolizei gezielte Werbung im Radio und online, um Personen mit Migrationshintergrund zu gewinnen.
Baden-Württemberg
2021 hatten 32,8 Prozent der neu eingestellten Polizist*innen in Baden-Württemberg einen Migrationshintergrund. 2020 waren es noch 26,9 Prozent. DerBevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg liegt etwas höher (35,6 Prozent).
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die Landespolzei gibt an, mit ihrer Nachwuchswerbung gezielt Menschen mit Einwanderungsgeschichte ansprechen zu wollen. Beispielsweise hat sie eine Rubrik „Vielfalt“ auf ihrer Website eingerichtet.
Bayern
Bayern erhebt keine Daten zum Migrationshintergrund von Polizist*innen.
Die Landespolizei erhebt lediglich Daten zur Staatsangehörigkeit: Mehr als 100 Vollzugsbeamt*innen in der bayerischen Polizei haben eine ausländische Staatsbürgerschaft (etwa 0,3 Prozent).
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die Nachwuchskampagne der bayerischen Polizei bildet auch Polizeibeamt*innen mit Migrationshintergrund ab. Online und bei Einstellungsberatungen informiert die Landespolizei darüber, dass sie auch Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit einstellt.
Berlin
Auch 2022 ist Berlin das Bundesland mit dem höchten Anteil an neu eingestellten Polizist*innen mit Migrationshintergrund: 37 Prozent derjenigen, die im Frühjahr ihre Polizeilaufbahn begannen, hatten einen Migrationshintergrund. Der Anteil hat einen neuen Höchstwert erreicht und liegt über dem Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund in Berlin (35 Prozent).
Besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund sind im „mittleren Dienst“ der Polizei (kein Abitur notwendig). Dort liegt der Anteil unter den neu Eingestellten bei 42 Prozent.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
- Die Berliner Polizei beteiligt sich am Programm "Berlin braucht Dich". Es unterstützt Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Berufswahl und vermittelt Praktika im Öffentlichen Dienst.
- Die Polizei Berlin führt Berufsinformationsveranstaltungen bei Migrant*innen-Organisationen durch.
- Abbildung von Personen mit Migrationshintergrund in Werbungen.
- Gründung eines Pools von Berufsberater*innen mit eigener Einwanderungsgeschichte um Menschen mit Migrationshintergrund zu werben.
Brandenburg
Brandenburg erhebt keine Daten zum Migrationshintergrund der Polizeibeamt*innen.
Lediglich zur Staatsangehörigkeit liegen Daten vor: etwa 0,8 Prozent der Polizist*innen in Brandenburg haben eine ausländische Staatsbürgerschaft.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die Polizei Brandenburg wirbt vor allem um polnische Muttersprachler*innen. Die Fachhochschule der Polizei hat dafür eine Internetseite ins Leben gerufen, die auf Polnisch über die Karrierechancen bei der Polizei informiert.
Weitere Maßnahmen, um Menschen mit Migrationshintergrund zu werben, hat die Polizei Brandenburg bislang nicht ergriffen.
Bremen
Die Polizei Bremen erhebt mittlerweile keine Daten mehr zum Migrationshintergrund der Beamt*innen. Daten bis 2018 finden Sie in unserer Befragung aus dem Jahr 2019.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Für die Nachwuchswerbung besucht die Polizei Bremen regelmäßig Schulen. Dabei explizit auch Schulen und Klassen, die einen hohen Anteil an Schüler*innen mit Migrationshintergrund haben, sowie Klassen mit Geflüchteten.
Hamburg
Hamburg erhebt keine Daten zum Migrationshintergrund der Polizeibeamt*innen. Zahlen bis 2019 finden Sie in unserer letzten Erhebung.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die Akademie der Poizei Hamburg ist mit migrantischen Communities vernetzt. Gemeinsam organisieren sie Informationsveranstaltungen in Kulturhäusern, Gemeinden, Kirchen und Schulen.
Aktuell ist die Polizei Hamburg darum bemüht, Gefüchtete für den Polizeidienst zu gewinnen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind.
Hessen
Der Anteil der neu Eingestellten aus Einwanaderfamilien ist erneut leicht gestiegen und hat 2020 einen Höchstwert erreicht: 23,6 Prozent. Trotzdem sind in der hessischen Polizei deutlich weniger Menschen mit Migrationshintergrund vertreten als in der Bevölkerung (36 Prozent). Zahlen zu den Bewerber*innen liegen nicht vor.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Hessen will gezielt Menschen mit Migrationshintergrund für die Polizei anwerben. Die aktuelle Kampagne „Mit Blaulicht in die Zukunft“ verwendet Bilder, die Menschen mit Einwanderungsgeschichte ansprechen sollen.
Mecklenburg-Vorpommern
Das Land kann keine Angaben zu Beamt*innen mit Migrationshintergund machen.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow kontaktiert polnische Schulen, um Nachwuchswerbung zu machen. Außerdem wirbt die Fachhochschule auf polnischen Berufsmessen für den Polizeidienst. Weitere Maßnahmen ergreift die Landespolizei nicht.
Niedersachsen
Als einziges Bundesland erhebt Niedersachsen regelmäßig die Zahl der Menschen mit Migrationhintergrund in der gesamten Polizei. Unter allen Polizeivollzugsbeamt*innen sind es 5,5 Prozent (Stand: 1. Januar 2022). Das Zahl ist erneut gestiegen (2021 waren es 4,8 Prozent). Sie liegt aber weit unter dem Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund (23,9 Prozent).
Der Anteil der Bewerber*innen und der Neueinstellungen mit Migrationshintergrund (22,5 Prozent bzw. 15,3 Prozent) sind im Vergleich zum Vorjahr etwa gleich geblieben.
Als einziges Bundesland macht Niedersachsen auch Angaben dazu, wie viele Führungskräfte einen Migrationshintergrund haben. Im Management der Polizei (ehemals höherer Dienst) sind es 4 Prozent.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Auf Plakaten, Flyern und Messeständen der niedersächsischen Polizei sind besonders häufig junge Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen. Die Landespolizei druckt auch mehrsprachige Informationsflyer und schaltet Anzeigen in fremdsprachigen Zeitungen.
Außerdem setzt Niedersachsen „Polizei-Scouts“ ein: Das sind Schüler*innen mit Migrationshintergrund, die ehrenamtlich für die Polizei arbeiten. Sie sollen bei Veranstaltungen Werbung für den Polizeidienst machen. Auch in ihrem persönlichen Umfeld sollen sie Personen ansprechen und sie überzeugen, zur Polizei zu gehen.
Nordrhein-Westfalen
Die Zahl der neu eingestellten Polizist*innen mit Migrationshintergrund in NRW ist etwa gleich geblieben und lag 2021 bei 15,1 Prozent (2020: 15,2 Prozent). In der Bevölkerung in NRW haben mehr als doppelt so viele Menschen einen Migrationshintergrund (31,7 Prozent).
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
NRW setzt hierfür Targeted Advertising in Sozialen Medien ein. Das bedeutet, dass sie manche Werbungen nur bestimmten Zielgruppen einblendet. So schaltet die Landespolizei gezielte Werbungen nur für die Gruppe „junge Menschen mit Migrationshintergrund in NRW“.
In allen Werbungen der Polizei NRW kommen Menschen mit Migrationshintergrund zu Wort oder sie werden abgebildet.
Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz ist der Anteil der neu Eingestellten mit Migrationshintergrund leicht gestiegen auf 18,3 Prozent (2020: 17,4 Prozent). Noch immer liegt ihr Anteil deutlich unter dem Bevölkerungsanteil von 27,9 Prozent.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die Polizei Rheinland-Pfalz hat keine Werbungen, die speziell Menschen mit Einwanderungsgeschichte ansprechen sollen.
Saarland
Das Saarland führt keine Statistiken über Polizist*innen mit Migrationshintergrund.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Stellenausschreibungen enthalten den Hinweis, dass die saarländische Polizei ein „besonderes Interesse an Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund“ hat. Weitere Maßnahmen nennt das Innenministerium nicht.
Sachsen
Sachsen führt ebenfalls keine Statistik darüber, wie viele Polizist*innen einen Migrationshintergrund haben.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Die sächsische Polizei hat Informationsbroschüren für Berufsberatungen auf Polnisch und Tschechisch veröffentlicht.
Weitere Maßnahmen nennt die Landespolizei nicht.
Sachsen-Anhalt
Sachsen-Anhalt ist nach wie vor das einzige ostdeutsche Bundesland, das Daten zum Migrationshintergrund von Polizist*innen erhebt. 2021 gaben 6,7 Prozent der neu Eingestellten an, einen Migrationshintergrund zu haben. Die Zahl ist etwa gleich geblieben und liegt knapp unter dem Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund in Sachsen-Anhalt (8,3 Prozent).
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
In der aktuellen Werbekampagne („Nachwuchsfahndung“ ) weist die Landespolizei explizit darauf hin, dass Bewerbungen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte erwünscht sind, auch von Personen ohne deutschen Pass.
Außerdem erarbeitet die Landespolizei zusammen mit einem privaten Träger einen Vorbereitungskurs für die Bewerbung an der Fachhochschule Polizei. Das Programm richtet sich speziell an Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Die Landespolizei will es demnächst in mehreren Sprachen bewerben.
Schleswig-Holstein
Angaben zum Migrationshintergrund von Bewerber*inen bei der Landespolizei werden in Schleswig-Holstein seit 2013 erfasst. Weil aber nur wenige Bewerber*innen Angaben zum Migrationshintergrund gemacht haben, hat das Landesinnenministerium 2017 beschlossen, keine jährliche Statistik zu veröffentlichen. Daten bis 2016 finden Sie in unserer Befragung von 2017.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Schleswig-Holstein ergreift keine spezifische Maßnahmen, um Menschen mit Migrationshintegrund anzuwerben.
Thüringen
Thüring erhebt nicht, wie viele Polizist*innen Migrationshintergrund haben.
Werbemaßnahmen für Menschen mit Migrationshintergrund
Bisher gab es in Thüringen keine Maßnahmen, um Menschen mit Einwanderungsgeschichte anzuwerben. Aktuell arbeitet das Innenministerium jedoch an einer Werbekampagne, die Menschen mit Einwanderungsgeschichte ansprechen soll.
von Joe Bauer und Julia Mergenschröer
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