Mit der Wohnsitzauflage sollen die Bundesländer künftig festlegen können, wo und wie anerkannte Flüchtlinge untergebracht werden: Es wird möglich sein, einen Wohnort zuzuweisen oder Zuzugssperren für bestimmte Orte festzulegen. Ausgenommen von der Wohnsitzauflage sind Arbeitnehmer, Auszubildende und Studierende.
Der Deutsche Städtetag hat den Gesetzentwurf begrüßt. Das Argument: Integration werde „leichter steuerbar“. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass die Pläne zu den gewünschten Ergebnissen führen werden. Das hat zwei Gründe:
- Die Erfahrung in der Bundesrepublik hat gezeigt, dass Zuzugssperren nicht integrationsfördernd sind.
- Deutsche und europäische Gerichte haben wiederholt geurteilt, dass Einschränkungen der Freizügigkeit für anerkannte Flüchtlinge nur in bestimmten Fällen zulässig sind.
Die Zuzugssperren der 70er Jahre sind gescheitert
Mehrere Bundesländer führten 1975 Zuzugssperren für bestimmte Stadtgebiete ein. Bald stellte sich jedoch heraus, dass diese gegen die Vereinbarungen der Europäischen Gemeinschaft verstießen. Zwei Jahre später wurden sie deshalb fast überall wieder abgeschafft. Nur in West-Berlin blieben sie bis 1990 bestehen – Zuzugssperren gab es für die damaligen Bezirke Kreuzberg, Tiergarten und Wedding.
NIHAD EL-KAYED arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „Integrations-Forschung und Gesellschafts-Politik“ des Berliner Instituts für empirische Migrations- und Integrationsforschung (BIM). Sie forscht derzeit über das Thema "Wohnsituation von geflüchteten Frauen".
Türkische Einwanderer in Berlin fühlten sich dadurch stark diskriminiert und erinnern dies heute als Integrationshemmnis. Auch für die Stadtverwaltung erwies sich die Zuzugssperre als kontraproduktiv: Der ehemalige Referatsleiter der Ausländerbeauftragten in Berlin, Wolf-Dieter Pfützenreuter, sagte, dass der hohe Verwaltungsaufwand in „keinem Verhältnis zum Nutzen“ stand. Denn trotz Zuzugssperre stieg die Zahl der türkischen Bürger in Kreuzberg nach 1975 weiterhin an.
Ein weiterer historischer Vorgänger der geplanten Wohnsitzauflage ist die Beschränkung der Freizügigkeit für Spätaussiedler von 1996 bis 2009. Eine Untersuchung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge konnte dabei keine positive Auswirkung auf die Integration nachweisen. In Schweden erschwerte eine entsprechende Auflage für Flüchtlinge die Arbeitsmarkt-Integration in strukturschwachen Regionen.
Die Furcht vor den negativen Effekten von Segregation in Städten wird durch die sozialwissenschaftliche Forschung keineswegs bestätigt. Eine Studie im Auftrag der Schader Stiftung deutete 2005 darauf hin, dass sich Einwanderer schneller in die deutsche Gesellschaft eingliedern können, wenn sie in Stadtviertel ziehen, in denen sie auf bereits vorhandene Netzwerke treffen. Durch die Unterstützung der Community bietet sich ein besserer Zugang zu Informationen über das Leben und die Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland.
Dr. ULRIKE HAMANN forscht in der Abteilung „Wissenschaftliche Grundfragen" des Berliner Instituts für empirische Migrations- und Integrationsforschung (BIM). Ihre Schwerpunkte sind Wohnpolitik und Integration. Sie arbeitet derzeit an einem Projekt über Integrationspotentiale verschiedener Wohnformen.
Vergleicht man die historische Entwicklung von Einwanderer-Communities in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden, sieht man, dass Segregation nicht automatisch mit negativen Effekten verbunden ist. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Stabilität im Quartier sind weniger durch ethnische Segregation bedroht, sondern vielmehr durch Verknappung von Wohnraum und sozialer Infrastruktur.
Die Wohnsitzauflage ist nicht mit dem Völkerrecht vereinbar
Beschränkungen der Freizügigkeit für Geflüchtete sind rechtlich umstritten. Die Genfer Flüchtlingskonvention legt fest: Die Aufnahmeländer müssen anerkannten Flüchtlingen das Recht gewähren, ihren "Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen". Abweichende Regelungen sind nur dann möglich, wenn sie für alle Ausländer gelten. Ähnliches bestimmt auch die EU-Qualifikationsrichtlinie.
Dennoch galt bis 2008 in einigen Bundesländern eine Wohnsitzbeschränkung für anerkannte Flüchtlinge, die Sozialleistungen bezogen. 2008 urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass Wohnsitzauflagen für anerkannte Flüchtlinge gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen. Für subsidiär Geschützte blieben sie jedoch bestehen.
2016 äußerte sich der Europäische Gerichtshof zur Frage, ob Wohnsitzauflagen für subsidiär Geschützte rechtmäßig sind. Im Urteil hieß es, dass eine Wohnsitzauflage für sie nur dann zulässig ist, wenn diese der Integration diene. Eine gleichmäßige Lastenverteilung für die Kommunen stelle hingegen keine ausreichende Begründung dar.
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