Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Bilanz über Asylanträge in 2014 veröffentlicht: Danach haben im vergangenen Jahr rund 202.800 Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt – darunter 173.100 Erst- und 29.700 Folgeanträge. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das einen Anstieg um 60 Prozent.
Rund 129.000 Asylanträge hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in 2014 bearbeitet – knapp 40.000 davon wurden positiv entschieden. Das ergibt nach offizieller Lesart eine Schutzquote von etwa 30 Prozent. Zieht man von den bearbeiteten Fällen allerdings die sogenannten „formellen Entscheidungen“ ab, die sich anderweitig erledigt haben, kommt man auf eine "bereinigte" Schutzquote von 50 Prozent. Jeder zweite Antrag, der in Deutschland asylrechtlich entschieden wird, fällt also positiv aus.
Die Zahlen zeigen auch, dass Deutschland nicht „Zielland Nummer eins“ für Flüchtlinge ist – wie oft in den Medien berichtet wird. Denn im selben Zeitraum ist beispielsweise die Zahl der syrischen Kriegsflüchtlinge in der Türkei um fast eine Million gestiegen: von 500.000 auf 1,5 Millionen, wie der UNHCR erklärt. Im Libanon ist sie um mindestens 300.000 Menschen gestiegen – von rund 800.000 auf 1,1 Millionen. Es ist somit das Land mit der höchsten Flüchtlingsdichte weltweit: 257 Geflüchtete pro tausend Einwohner – etwa jede sechste Person im Libanon ist aus seiner Heimat geflohen. Betrachtet man die absolute Zahl der im Land lebenden Flüchtlinge, kommt der Libanon an zweiter Stelle nach Pakistan (1,6 Millionen).
Herkunftsländer: Die meisten kommen aus Syrien
Jeder fünfte Asylbewerber in Deutschland kommt aus Syrien (41.100). Die Zahl der syrischen Kriegsflüchtlinge hat sich somit im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht. An zweiter Stelle kommen Asylsuchende aus Serbien (27.150) mit einem Anstieg von 50 Prozent. Besonders stark ist die Zahl der Eritreer gestiegen, die in Deutschland Asyl beantragt haben: von 3.600 im Jahr 2013 auf 13.250.
Was bringt das Gesetz zu den "sicheren Herkunftsstaaten"?
Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina gelten seit Oktober 2014 als "sichere Herkunftsstaaten". Asylanträge aus diesen Ländern werden deshalb als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Nach den ersten Monaten lässt sich allerdings kein eindeutiger Einfluss auf die Asylantragszahlen erkennen: Während die Zahl der Asylanträge aus Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zwischen Oktober und Dezember leicht zurückging blieb sie bei den Serben unverändert.
Rund 200.000 unerledigte Asylanträge
8,4 Monate wartet ein Asylbewerber in Durchschnitt auf eine Entscheidung über seinen Asylantrag. Trotz der Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist die Zahl der unerledigten Asylanträge in den letzten Monaten deutlich gestiegen: Im Oktober 2014 lag sie nach Angaben von Eurostat bei knapp 190.000. Damit ist Deutschland das EU-Land mit den meisten unerledigten Anträgen. Den zweiten Platz belegt Schweden mit rund 50.000 Fällen.
Warum steigt die Zahl der Flüchtlinge?
Der Anstieg der Flüchtlingszahlen ist ein globales Phänomen: 5,5 Millionen Menschen wurden im vergangenen Jahr gezwungen, ihren Wohnort zu verlassen, so der UNHCR. Somit erreicht die Zahl der Flüchtlinge weltweit den Rekordwert von 50 Millionen – den höchsten Wert seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Hauptgrund dafür seien internationale Konflikte, vor allem in Syrien und im Irak. 2014 übertraf zum ersten Mal die Zahl der syrischen Kriegsflüchtlinge die der Afghanen. Im Fall Syriens war der Anstieg besonders dramatisch: Vor zwei Jahren war das Land nicht einmal unter den 30 wichtigsten Herkunftsländern.
Wie sieht die Lage in Europa aus?
Auch in der Europäischen Union ist die Zahl der Asylsuchenden im vergangenen Jahr deutlich gestiegen: von 435.000 auf rund 600.000. In einigen Ländern hat die Zahl der Anträge im Vergleich zu 2013 besonders stark zugenommen: In Dänemark um 85 Prozent. In Italien sogar um 87 Prozent. In Deutschland nahm die Zahl der Anträge um 26 Prozent zu.Quelle
Neue Herausforderungen für die Grenzüberwachung
Die steigenden Flüchtlingszahlen haben in der EU die Debatte über die Überwachung der Außengrenzen wieder angefacht. Den Mitgliedstaaten macht vor allem die gefährliche – und von Flüchtlingen trotzdem häufig eingeschlagene – Mittelmeer-Route Sorgen: 2014 sollen 207.000 Menschen über das Meer nach Europa gelangt sein, so EU-Innenkommissar Avramopoulos. Nach Angaben des UNHCR sind es sogar 348.000. Die meisten von ihnen wurden im Rahmen der italienischen Operation „Mare Nostrum“ gerettet, die inzwischen durch die europäische Operation "Triton" ersetzt wurde. Dennoch starben mindestens 3.000 Menschen auf der Überfahrt.
Menschen auf der Flucht als lukratives Geschäft
Das Geschäft mit Geflüchteten hat im vergangenen Jahr ein besorgniserregendes Maß erreicht: Wie die italienische Tageszeitung La Repubblica kürzlich berichtete, ist es derzeit möglich, illegale „Reisepakete“ für syrische Flüchtlinge aus der Türkei direkt nach Deutschland zu buchen. Auch innerhalb der EU-Grenzen machen Menschen Geld damit: Im Rahmen der europäischen Polizei-Operation „Mos Maiorum“ wurden zwischen Oktober und Dezember 2014 in Deutschland mehr als 2.500 Migranten registriert, die in das Land geschleust wurden – die meisten von ihnen aus Syrien. Im Durchschnitt haben die Flüchtlinge ihren Helfern Tausend Euro pro Person gezahlt.Quelle
Das Dilemma Unterbringung
Die Unterbringung von Asylsuchenden stellt in Deutschland vor allem die Bundesländer und Kommunen vor immer größere Herausforderungen. Bereits im Sommer 2014 schlugen viele Landesregierungen Alarm. Fast überall werden derzeit die Unterbringungskapazitäten erweitert, oft durch Notunterbringungen: Mehr als 2.000 Plätze stellte 2014 Nordrhein-Westfalen bereit. Baden-Württemberg vervierfachte seine Unterbringungskapazitäten auf ca. 4.000 Schlafplätze in drei Jahren. Rheinland-Pfalz verdoppelte sie hingegen in zwei Jahren auf 1.700. Das Land Berlin schuf etwa 3.000 neue Plätze in fünf Monaten. Mit einer Milliarde Euro unterstützt die Bundesregierung Länder und Kommunen bei der Erweiterung der Unterbringungskapazitäten.
Von Fabio Ghelli
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