Vor 20 Jahren wurde das Staatsangehörigkeitsrecht grundlegend geändert. Welche Bedeutung hatte die Reform?
Sie war eine erhebliche Modernisierung. Deutlich mehr Menschen als zuvor konnten deutsche Staatsbürger werden. Zum ersten Mal konnten Kinder ausländischer Eltern, die seit längerer Zeit in Deutschland leben, durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Zudem wurden die Anforderungen für die Einbürgerung erleichtert. Zum Beispiel mussten Personen dafür nicht mehr seit 15, sondern nur noch seit acht Jahren in Deutschland leben. Das war ein ausdrückliches Signal, dass mehr Einbürgerungen erwünscht sind.
Wie waren die Reaktionen auf die Reform?
Die damalige Bundesregierung aus SPD und Grünen wollte die Einbürgerung deutlich erleichtern. Ihr Argument: Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, sollten politische Mitwirkungsrechte erhalten – vor allem das Wahlrecht. Das ist allerdings auf entschiedenen Widerstand gestoßen, in erster Linie aus dem Unions-Lager. Ein zentraler Streitpunkt war die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Gegner waren der Auffassung, dass in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern nicht dauerhaft die deutsche und eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen sollten. Stattdessen sollten sie sich für ein Land entscheiden. Deswegen wurde das Optionsmodell eingerichtet – so mussten sich die Betroffenen nach der Volljährigkeit für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Damit wurde die Reform verwässert. Erst 2014 ist die Optionspflicht in einem wichtigen Punkt geändert worden und gilt nicht mehr für diejenigen, die in Deutschland aufgewachsen sind.
Prof. Dr. Thomas Groß ist Rechtswissenschaftler an der Universität Osnabrück. Seit 2011 hat er dort den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung inne. Seit 2015 ist er Mitglied im Vorstand des "Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien" (IMIS). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das Ausländer- und Asylrecht.
Haben sich seitdem mehr Menschen einbürgern lassen?
Schon kurz nach der Reform ging die Zahl der Einbürgerungen wieder zurück und stagniert seit einigen Jahren. Nach wie vor ist die Zahl der Einbürgerungen relativ unbefriedigend. Nur sehr wenige Personen, die sich einbürgern lassen könnten, machen von diesem Recht Gebrauch. Auch im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten sind die Einbürgerungszahlen in Deutschland sehr niedrig.
Woran liegt das?
Neben den rechtlichen Anforderungen gibt es weitere Hürden, die Menschen von einer Einbürgerung abhalten. Eine wesentliche ist, dass viele Personen aus Nicht-EU-Staaten ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben müssen. Sie werden also dazu gezwungen, die rechtliche Verbindung zu ihrem Herkunftsstaat zu kappen. Das möchten viele nicht. EU-Bürgerinnen und -Bürger sehen häufig keine Vorteile durch eine Einbürgerung in Deutschland. Auch die Praxis in Behörden ist für viele Menschen abschreckend: der Umgangston ist oft unfreundlich, die Bearbeitung umständlich und langwierig und für manche sind die Gebühren zu hoch.
Diesen Sommer hat die Bundesregierung das Staatsangehörigkeitsrecht erneut geändert. Zum Beispiel hängen Einbürgerungen nun von einer "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" ab. Wie bewerten Sie die Änderungen?
Die Reformen setzen auf jeden Fall wieder auf Abwehr. Sie sollen zeigen, dass die Hürden für eine Einbürgerung erhöht werden. Bedenklich ist vor allem, dass Menschen eine "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" nachweisen sollen. Das signalisiert, dass die Lebensverhältnisse von den Deutschen definiert werden und eine zusätzliche Anpassungsleistung von Menschen erwartet wird, die sich einbürgern lassen. Zunächst wurde die neue Anforderung damit begründet, dass Personen, die mehrfach verheiratet sind, von Einbürgerungen ausgeschlossen werden sollen. Die neue Klausel ist jedoch viel weiter gefasst. Zudem ist sie sehr vage formuliert. Es ist unklar, was genau unter "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" fallen wird. Ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung kann es nicht sein, das wird bisher schon verlangt. Es geht also um weitergehende Integrationsanforderungen, die nicht klar definiert sind. Das kann auf Menschen, die sich einbürgern lassen wollen, abschreckend wirken.
War man vor zwanzig Jahren also schon weiter?
Im Augenblick drehen sich die Diskussionen und Maßnahmen nur darum, wie der Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erschwert werden kann. Der ursprüngliche Impuls ist vollkommen verschwunden.
Interview: Andrea Pürckhauer
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