MEDIENDIENST: Bestimmt die AfD zu sehr die Berichterstattung über Flüchtlinge und Islam?
Kai Hafez: Zumindest scheint sie es im Moment zu schaffen, die großen Themen auf den Titelseiten zu beeinflussen. Zum Beispiel mit der Erzählung, dass Angela Merkel am Ende ihres Lateins mit der Flüchtlingskrise sei.
Wie erklären Sie sich das?
Es gibt kommerzielle und politische Ursachen. Einerseits ist die Berichterstattung über die AfD ein gutes Geschäft: Über einen angeblich bevorstehenden Politikwechsel zu berichten, über eine neue Partei, die das Establishment herausfordert, bedient die klassischen Nachrichtenwerte Neuigkeit, Schnelligkeit, Veränderung. Andererseits gibt es innerhalb der CDU/CSU Streit über die Flüchtlingspolitik, damit kamen auch aus der großen Politik immer mehr Impulse für eine negative Berichterstattung über Flüchtlinge. Inzwischen kann man von einem symbiotischen Verhältnis der AfD mit den Medien sprechen. Die provokanten Äußerungen, die inszenierten Streits sind gut für die AfD, weil sie in den Trend der Medien zur Boulevardisierung und Sensationalisierung hineinspielen.
Woran liegt es, dass positive Berichte über Flüchtlingsmigration eher selten vorkommen?
Kurz gesagt: Man schreibt die positiven Geschichten schlecht, wenn es der Auflage dient. Im Sommer 2015 haben einige Blätter angesichts der steigenden Zahl der Toten auf dem Mittelmeer die Politik stark kritisiert. So haben sie Angela Merkel dazu bewogen, die Flüchtlingspolitik zu ändern. Im Herbst 2015 musste eine neue Geschichte her, dann kam die Rückwende zur negativen Berichterstattung.
Könnte es sein, dass positive Berichte über Flüchtlinge das Publikum inzwischen einfach kalt lassen?
Das glaube ich nicht. Aus der Kommunikationsforschung wissen wir, dass Mitleid keine endliche Ressource ist. Sogenannte Mitleidsmüdigkeit entsteht durch mediale Wendungen: Erst wenn man Menschen dauernd erzählt, dass ein komplexer Sachverhalt wie die Flüchtlingsmigration ausschließlich negative Seiten hat, dann schwinden ihr Mitleid und ihre Hilfsbereitschaft. Deswegen ist ausgewogene Berichterstattung über Flüchtlinge so wichtig.
KAI HAFEZ ist Professor für Kommunikations-wissenschaft an der Universität Erfurt. Schwer-punkte seiner Forschung sind Theorien der Auslandsberichtserstattung, kulturvergleichende Medienethik sowie die Kommunikation und politischen Beziehungen zwischen westlicher und islamischer Welt.
Was könnten ehrenamtliche Flüchtlingshelfer tun, um medial stärker wahrgenommen zu werden?
Die Helfer arbeiten oft nicht in etablierten Organisationen, sondern in spontanen Initiativen, die sich in den sozialen Medien organisieren. Um gute Pressearbeit zu machen, braucht es aber dauerhafte Strukturen. Große Organisationen kommen leichter in die Medien als informelle Netzwerke.
Sie haben einen Umschwung in der Berichterstattung über Flüchtlinge beschrieben. Schreckt so eine Wende zum Negativen nicht auch viele Leser ab?
Das trifft sicher auf einen Teil des Publikums zu. Die kritische Leserschaft erwartet von einem Medium eine klare Linie und keine Schwankungen von rechtskonservativ bis linksliberal. Andererseits haben Medien durch Negativberichterstattung wahrscheinlich neue Leser gewonnen. Das alles ist Teil einer wohlbekannten Strategie: Die Branche steckt in einer Krise, die alten Bindungen von sozialen Milieus an bestimmte Medien lösen sich auf. Also entscheiden sich die Medienhäuser immer wieder, politisch unberechenbar zu sein. Früher konnte man die Presse von links nach rechts relativ eindeutig einordnen, heute geht das nicht mehr.
Wo sehen Sie da Gefahren?
Humanitäre Grundfragen dürfen nicht solchen Schwankungen unterliegen, darüber sollte es einen Konsens geben. Viele Journalisten bemerken gar nicht, was sie da tun. Faktisch bedienen sie rechte Neigungen, und wenn diese Früchte tragen, erschrecken die Medien und warnen vor der AfD. Davon profitiert die Partei bisher – es ist ein Teufelskreis der rechtspopulistischen Öffentlichkeitsbildung.
Interview: Pavel Lokshin
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