Dieser Artikel ist erstmals im Juni 2017 erschienen. Aus aktuellem Anlass präsentieren wir ihn erneut.
Bilder gehören zu den Waffen des Terrorismus, sagt die Bildwissenschaftlerin Charlotte Klonk. Sie hat Abbildungen von Anschlägen seit dem 19. Jahrhundert analysiert. Ihr Fazit: Terroristen wollen die angegriffene Gesellschaft destabilisieren. Das erreichen sie mit den Anschlägen selbst – aber vor allem auch damit, dass Fotos von den Taten verbreitet werden.
Terroristen nutzen dabei unterschiedliche Strategien. Die brennenden Türme des World Trade Centers nach den Anschlägen des 11. September seien ein Beispiel für "komplexe, ressourcenintensive, aber dafür spektakuläre Anschläge", erklärt der Terrorismusforscher Jannis Jost. Einige regionale Ableger von al-Qaida verfolgten solche Anschlagspläne auch heute noch. Gleichzeitig würden Sympathisanten aber auch zu einfacher durchführbaren Gewalttaten aufgerufen. Der sogenannte Islamische Staat (IS) handelt ebenfalls eher "pragmatisch", so Jost. Anhänger sollten mit einfachen Mitteln wie Messern oder Autos Menschen angreifen. Eine „Masterstrategie für die Produktion von speziellen Terrorbildern“ habe der IS nicht. Das Ziel sei es eher, möglichst viel Berichterstattung und möglichst viele Bilder zu provozieren. Dessen sollten sich Journalisten bewusst sein, so der Terrorismusforscher.
Das Problem, die Täter zu glorifizieren
Bilder von Anschlägen zu zeigen, birgt laut Experten die Gefahr, Täter zu glorifizieren. Denn bestimmte Täterbilder stilisieren diese zu "Märtyrern" und können Nachahmer inspirieren. Das Foto des IS-Anhängers, der den russischen Botschafter in Ankara erschossen hat, sei ein Beispiel dafür, so Charlotte Klonk. Es zeigt den Mann direkt nach dem Mord. Er hat seinen Zeigefinger erhoben und bekennt sich zum IS. „Dass dieses Bild auch noch von ‚World Press Photo‘ ausgezeichnet wurde, macht mich fassungslos", sagt sie. "Die Jury muss sich doch bewusst machen, in welchen Zusammenhängen diese Bilder stehen.“
In Frankreich haben sich nach den Attentaten in Nizza und der Ermordung eines Priesters in der Normandie im Juli 2016 einige französische Medien darauf verständigt, keine Fotos von Attentätern zu zeigen, die während eines Anschlags getötet wurden. Die Redaktionen wollten nicht, dass durch die Veröffentlichung eine „posthume Glorifizierung“ und damit auch Nachahmer gefördert würden, erklärten sie. Zudem sollen die Täter nicht auf die gleiche Stufe wie die Opfer gestellt werden.
Tipps für Bildredaktionen bei der Fotoauswahl
Solche grundsätzlichen Bildverbote hält Charlotte Klonk nicht für sinnvoll, denn es gibt ihrer Meinung nach das natürliche Bedürfnis und das Recht, sich zu informieren. Was die Bildauswahl angeht, formuliert sie Richtwerte:
1. Man solle sich bewusst sein, dass man im Interesse der Täter handelt, wenn man Anschlagsbilder in Umlauf bringt. In gewisser Weise mache man sich so zu Handlangern der Täter. Doch gleichzeitig ständen Medien in der Pflicht, zu informieren. Deswegen müssten Journalisten bei der Bildauswahl genau abwägen und sollten auf ausführliche Bildstrecken mit grausamen Details verzichten.
2. Hinrichtungsfotos und -videos sollten grundsätzlich nicht gezeigt werden, allenfalls als verpixelte Standbilder. Denn der IS nutze sie, um Macht, Gewalt und Grausamkeit vor den eigenen Anhängern zu demonstrieren und um die westliche Welt zu bedrohen.
3. Opfer dürften nicht ohne ihr Einverständnis abgebildet werden. Die Grundfrage laute: Möchte ich so abgebildet werden im Moment meiner größten Qual? Was macht das mit den Angehörigen?
4. Auch die Täter müssten mit Würde behandelt und sollten nicht in erniedrigender Weise gezeigt werden. Es sei entscheidend, dass die Gesellschaft sich auf Werte wie die Menschenwürde besinnt – Werte, die die Terroristen angreifen möchten. Beispielsweise wäre ein Bild des toten Osama Bin Laden ein Erniedrigungsbild ohne jeglichen Informationswert gewesen. Die US-Regierung hatte dieses Bild nach seinem Tod nicht herausgegeben.
Von Jenny Lindner
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