Rechtsextreme Inhalte in Chatgruppen, NSU 2.0: Immer wieder werden rassistische Vorfälle in der Polizei bekannt. Zur Frage, wie verbreitet Rassismus in der Polizei wirklich ist, liegen keine Daten vor. Eine Untersuchung der Universität Bochum legt nun nahe, dass das Problem weit verbreitet ist. In einer Expertise für den MEDIENDIENST kommen Forscher*innen um den Kriminologen Tobias Singelnstein zu dem Schluss: Die Benachteiligung von People of Color (PoC) und Menschen mit Migrationshintergrund ist nicht allein auf einzelne Polizeibeamt*innen zurückzuführen. Vielmehr müsse von einem strukturellen Problem ausgegangen werden.
Die Forscher*innen haben im Projekt KviAPol über 3.000 Personen befragt, die körperliche Gewalt durch die Polizei erfahren haben und diese als rechtswidrig einstufen. Die Sonderauswertung der Daten zeigt: Die Erfahrungen von People of Color unterscheiden sich deutlich von denen weißer Personen. Fast zwei Drittel der befragten PoC gaben an, sich in den mutmaßlichen Gewaltsituationen von der Polizei diskriminiert gefühlt zu haben. Auch 42 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund bejahten das. Bei Personen ohne Migrationshintergrund waren es 31 Prozent.
Die Expertise können Sie hier herunterladen.
People of Color überproportional von Diskriminierung betroffen
Rund die Hälfte der betroffenen PoC vermutet, dass die Polizei sie wegen ihrer (vermeintlichen) "ethnischen" oder kulturellen Zugehörigkeit diskriminierte. Unter den Personen ohne Migrationshintergrund schätzen das nur drei Prozent so ein. Je häufiger die Betroffenen bereits zuvor Diskriminierungserfahrungen mit der Polizei gemacht hatten, desto eher nehmen sie deren Verhalten als diskriminierend wahr.
Anlass des Polizeikontakts? Bei PoC oft Personenkontrolle
Aus welchem Anlass entstand der Kontakt mit der Polizei, bei dem es später zur Gewalt kam? Unter allen Befragten sind das vor allem Großveranstaltungen wie Demonstrationen und Fußballspiele.
People of Color kommen häufiger außerhalb von Großveranstaltungen mit der Polizei in Kontakt, am häufigsten wegen Personenkontrollen. Dagegen berichteten sie seltener als Personen ohne Migrationshintergrund davon, dass sie Kontakt zur Polizei hatten, weil die Beamt*innen wegen eines Konflikts oder einer Straftat gerufen wurden.
PoC wird häufiger die Anzeige verweigert
Nur neun Prozent aller Befragten entschieden sich nach der Gewalterfahrung durch Polizeibeamt*innen dafür, Strafanzeige zu erstatten. Dabei bestanden keine Unterschiede zwischen weißen Personen und PoC. Jedoch berichteten PoC häufiger als weiße Personen davon, dass die Polizei sich weigerte, die Anzeige aufzunehmen (21 Prozent im Vergleich zu 10 Prozent). Auch haben ihnen Familie oder Anwält*innen häufiger davon abgeraten, Anzeige zu erstatten (64 Prozent im Vergleich zu 54 Prozent).
Warum sind People of Color häufiger betroffen?
Das Handeln von Polizist*innen basiere auf sogenanntem Erfahrungswissen, so die Forscher*innen. Das sind zum Beispiel Situationen, die die Polizist*innen in Einsätzen selbst erlebt haben oder von denen ihnen Kolleg*innen berichtet haben. Dieses Wissen kann Stereotype und Vorurteile beinhalten: Etwa, dass von bestimmten Personen eine größere Gefahr ausgehe oder eine Personengruppe häufiger Straftaten ausübe. Das könne wiederum dazu führen, dass sich Polizist*innen gegenüber der Gruppe anders verhalten und Situationen schneller eskalieren.
Das ist den Beamt*innen selbst nicht immer bewusst. Interviews mit Polizeibeamt*innen, die die Forscher*innen geführt haben, zeigen: Die Beamt*innen begreifen ihr Handeln häufig nicht als rassistisch. Dennoch deuten einige der Interviews auf explizit rassistische Einstellungen unter den Beamt*innen hin. Wie verbreitet diese in der Polizei sind, kann die Studie nicht zeigen. Dazu liegen zu wenige Daten vor. Es brauche dringend weitere Untersuchungen zum Thema, so die Forscher*innen.
Zur Studie
Das Forschungsprojekt KviAPol untersuchte mutmaßlich rechtswidrige Polizeigewalt. Es bestand aus zwei Teilen: einer quantitativen Online-Befragung von 3.373 Personen und 17 qualitativen Expert*inneninterviews, unter anderem mit Polizeibeamt*innen. Was sagt die Studie aus, was nicht?
>> Die vorliegende Auswertung ermöglicht Aussagen darüber, inwiefern Personen mit Migrationshintergrund und PoC im Kontext polizeilicher Gewaltausübung andere Erfahrungen gemacht haben als Personen ohne Migrationshintergrund.
>> Die Studie ist nicht repräsentativ – bildet aufgrund der hohen Beteiligung aber viele Situationen ab.
>> Sie kann keine Aussage darüber treffen, ob Personen mit Migrationshintergrund und PoC in Deutschland häufiger von rechtswidriger polizeilicher Gewalt betroffen sind als Personen ohne Migrationshintergrund oder weiße Personen.
>> Der Fokus des Projekts liegt auf körperlichen Gewalterfahrungen. Es sind keine Aussagen über Diskriminierungen in Situationen möglich, in denen es nicht zu Gewalt gekommen ist.
Den ausführlichen Zwischenbericht zur Studie finden Sie hier.
Von Donata Hasselmann und Andrea Pürckhauer
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