Im vergangenen Jahr sind laut Statistischem Bundesamt 1.226.000 Menschen nach Deutschland zugewandert und 789.000 abgewandert. Die Bilanz lag somit bei 437.000 Einwanderern, davon rund 70 Prozent aus EU-Ländern. Zum Vergleich: 2012 lag die Wanderungsbilanz bei 369.000 Personen. Die Statistiker weisen darauf hin, dass es sich dabei um den höchsten Wert seit zwanzig Jahren handelt. Da sie gleichzeitig mit einem Geburtendefizit von rund 200.000 rechnen, ist der Bevölkerungszuwachs allerdings nicht so hoch.
Unter den Zugezogenen waren rund 1,11 Millionen ausländische Staatsbürger und 118.000 Deutsche (dazu zählen Spätaussiedler und deutsche Staatsangehörige, die zurückgekehrt sind). Die häufigsten Herkunftsländer nach der Wanderungsbilanz sind Polen (72.000), Rumänien (50.000, damit 10 Prozent mehr als im Vorjahr), Italien (32.000, plus 52 Prozent im Vergleich zu 2012), Spanien (22.000) und Bulgarien (22.000, entspricht 13 Prozent weniger als im Vorjahr).
Inwiefern es sich bei den Zuwanderungen um Menschen handelt, die nur vorübergehend nach Deutschland kommen oder um Einwanderer, die dauerhaft hier bleiben wollen, darüber geben die Statistiken des Bundesamts keine Auskunft. Dasselbe gilt für die Fortzüge: Auch hier weiß man nicht, ob es sich lediglich um eine temporäre oder eine bleibende Auswanderung handelt. Eine Studie der OECD hat das jedoch vor kurzem untersucht.
OECD: vor allem innereuropäische Migration steigt
Die Analyse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in der neuen Serie „Migration Policy Debates“ beleuchtet: Für Deutschland ist ein bemerkenswerter Anstieg der dauerhaften Migration zu erkennen – von 2011 auf 2012 um 38 Prozent. "Man kann hier ohne Übertreibung von einem Boom sprechen", erklärt OECD-Experte Thomas Liebig. Mit rund 400.000 Zuwanderern in 2012, die länger als ein Jahr hier bleiben, ist Deutschland erstmals in der OECD an zweite Stelle gerückt. Platz eins belegen mit großem Abstand weiterhin die USA. "Deutschland hat damit klassische Einwanderungsländer wie Kanada und Australien deutlich hinter sich gelassen, ebenso wie alle anderen europäischen Länder", so Liebig.
Die Analyse der OECD-Zahlen bestätigt, was die Wanderungsbilanz der letzten 60 Jahre zeigt: Der Wandel vom Aus- zum Einwanderungsland und umgekehrt kann innerhalb von wenigen Jahren erfolgen. Noch in 2009 lag Deutschland lediglich auf dem achten Platz der OECD-Länder.
Der aktuelle Anstieg gehe vor allem auf die innereuropäische Migration zurück – jeder dritte EU-Binnenmigrant kommt nach Deutschland, 2007 war es noch nicht einmal jeder zehnte. Der Unterschied sei, dass die Migranten länger bleiben, als dies in den Vorjahren der Fall war.
"Die überwiegende Mehrheit der dauerhaften Einwanderer aus der EU ist in Beschäftigung", erklärt Liebig.
Doch die Studie zeigt auch: Während die Einwanderung in Deutschland steigt, ist sie in anderen europäischen Ländern deutlich zurückgegangen – besonders in Ländern wie Spanien (minus 22 Prozent) und Italien (minus 19 Prozent), die stark von der Eurokrise betroffen sind. Die Tatsache, dass die Arbeitsmobilität innerhalb der EU trotzdem um zwölf Prozent zugenommen hat, zeigt, dass die Bundesrepublik Einwanderer anzieht, die früher andere Zielländer bevorzugt haben.
Deutschland ist nicht "Weltspitze"
Für Deutschland ist das eindeutig von Vorteil. Denn immer mehr Neuzuwanderer bringen laut OECD eine hohe Qualifikation mit und finden schnell eine Arbeit. So war der Anteil der Hochqualifizierten, die zwischen 2007 und 2012 von Ländern außerhalb der Europäischen Wirtschaftszone kamen, mit rund 40 Prozent fast doppelt so hoch, wie in den Jahren davor.
Die Schlussfolgerung einiger Medien, Deutschland sei als Zuwanderungsland „auf die Weltspitze“ gerückt, stimmt allerdings so pauschal nicht. Denn im Verhältnis zur Bevölkerung ist die Zahl der Einwanderer in Deutschland noch relativ gering: In diesem gesonderten Ranking belegt die Bundesrepublik nach Angaben der OECD lediglich Platz 13. An der Spitze liegen überwiegend kleine Länder, wie die Schweiz, Norwegen und Neuseeland. Außerdem muss man bedenken, dass die OECD-Analyse sich nur auf die industrialisierten OECD-Länder fokussiert.
Wie eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaft kürzlich gezeigt hat, finden die größten Wanderungsbewegungen regional statt. Das bedeutet, dass die meisten Migranten nicht etwa aus Afrika oder Asien nach Europa reisen, sondern es mit aller Wahrscheinlichkeit nur ins Nachbarland schaffen. So war zum Beispiel bei der jüngsten Datenerhebung der Wanderungssaldo Südafrikas mit 684.000 Menschen deutlich höher als der deutsche.
Von Ferda Ataman, Fabio Ghelli
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