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ZUR FOLGE
Folge 2: "Silvesterkrawalle"
mit der Sozialarbeiterin Samira Bekkadour und dem Kriminologen Christian Walburg
Auch wenn es Randale gab, verlief Silvester 2023 vergleichsweise ruhig. Das lag vor allem an der massiven Polizei-Präsenz zum Beispiel in Berlin. Aber auch Sozialarbeiter*innen sorgten dafür, dass die Krawalle vom Vorjahr sich nicht wiederholten. Das ganze Jahr über gingen sie in die Kieze und kommunizierten mit Eltern und Jugendlichen. In unserer zweiten Folge sprechen wir mit der Berliner Sozialarbeiterin Samira Bekkadour über Fußballturniere mit der Feuerwehr und eine ganz besondere Party an Silvester. Und darüber, warum viele Jugendliche in Berlin-Neukölln sich unter "Generalverdacht" gestellt fühlen.
Außerdem sprechen wir mit dem Kriminologen Christian Walburg von der Uni Münster darüber, was Kriminalität mit Herkunft zu tun hat. Er hat die Kriminalitätsstatistiken der letzten Jahre für den Mediendienst ausgewertet. Ein überraschendes Ergebnis: Wir leben in sichereren Zeiten als noch vor 20 Jahren. Aber über den Rückgang von Jugendkriminalität werde selten berichtet.
ZITATE
Samira Bekkadour, Sozialarbeiterin
"Die meisten Jugendlichen, mit denen wir nach dem letzten Silvester gesprochen haben, waren sehr, sehr verärgert. Sie fühlen sich unter Generalverdacht gestellt für Dinge, an denen sie nicht mitgewirkt haben (...). Viele haben sich klar von den Krawallen distanziert, zum Beispiel auf Instagram."
"Es ist ein Jugendproblem und als solches sollten wir es sehen. Und deswegen finden solche Krawalle auch immer wieder in anderen Stadtteilen statt (...) Jugendliche, die in Armut aufwachsen, gibt es nicht nur in Neukölln, sondern berlinweit. Das merken wir bei unserer Arbeit und die gilt es zu unterstützen."
"Wir haben Zusammentreffen organisiert zwischen Jugendlichen (...) und der Feuerwehr, vor allem Fußballturniere. (...) Und da konnte die Feuerwehr mal ihr Berufsbild darstellen und aufzeigen: Wir sind neutral und wir helfen. (...) Und wir können sagen, dass viele Jugendliche danach überlegt haben, selbst zur Feuerwehr zu gehen."
Christian Walburg, Kriminologe
"In Großstädten lebt ein hoher Anteil von jungen Menschen aus Migrantenfamilien. Auch in einer Stadt wie Berlin haben wir über die Hälfte der Jugendlichen, die ein Migrationsbezug haben. Dass diese dann auch in den Tatverdächtigen-Statistiken zu Silvester auftauchen, ist nicht überraschend."
"Wir finden solche Vorfälle generell eher in tendenziell benachteiligten Stadtvierteln (...) und da leben häufiger Jugendliche aus migrantischen Familien. Auch wenn nur ein ganz kleiner Teil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sich an solchen schweren Gewalttaten beteiligt, ist aber ihr Anteil an den Tatverdächtigen dann höher als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Und der wesentliche Umstand, der das dann erklären kann, ist, dass sie sich eben häufiger in solchen Lebenslagen befinden.
"Eine Entwicklung liegt hinter uns, seit Mitte der 2000er Jahre, in der Jugendkriminalität und Jugendgewalt deutlich rückläufig war das war eine günstige Entwicklung die wir nicht nur in Deutschland hatten, sondern auch in vielen europäischen Nachbarländern. (...) Seit der Corona-Pandemie scheint das wieder etwas häufiger zu werden."
"Wir haben es auch damit zu tun, dass wir sehr viel mehr Bilder von solchen Vorfällen entstehen. Dadurch dass einfach jeder mit einem Smartphone durch die Gegend läuft. Die können dann auch über die sozialen Medien eine sehr starke Verbreitung finden. Das macht natürlich auch etwas mit der Wahrnehmung von solchen Vorfällen."
ZUR DEBATTE
Zum Jahreswechsel 2022 kam es zu zahlreichen Krawallen auf den Straßen. Besonders in Berlin wurden Polizei und Rettungskräfte angegriffen. Ein Teil der Festgenommenen hatte nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Darauf hin entstand eine Debatte darüber, ob Migration die Ursache für die Krawalle war.
Schuld seien besonders junge Männer, häufig Geflüchtete, die die Regeln nicht anerkennen würden, so die eine Seite. Gewalt sei vor allem ein Jugendproblem und ein Problem von benachteiligten Stadtteilen - und zwar von jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen - so die andere Seite.
Der Podcast "Einwanderungsland" wurde von der Robert Bosch Stiftung gefördert.
Weitere Artikel:
- Delinquenz unter Jugendlichen, Studie von Christian Walburg zu Kriminalitätsstatistiken, Link
Weitere Studien:
- Lange / ZEW (2023): Kriminalität steigt durch Geflüchtete kaum, Link
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