Bevor zum ersten Mal ein Gutachten zu Antiziganismus in Deutschland in Auftrag gegeben wurde, war folgendes passiert: Im Dezember 2011 schrieb die Bundesrepublik Deutschland in einem Bericht an die Europäische Kommission: „Die in Deutschland lebenden deutschen Sinti und Roma sind gut in die Gesellschaft integriert. Sie sind neben den Dänen, Friesen und Sorben vom deutschen Gesetzgeber als nationale Minderheit (...) anerkannt.“ Die Schlussfolgerung der Bundesregierung daraus: „Eine besondere Roma-Strategie“ – wie sie die Europäische Kommission 2011 von jedem EU-Land verlangte – „ist hier nicht erforderlich“. Auch nicht für diejenigen „ausländischen Roma, die im Wege der Zuwanderung oder als Flüchtlinge nach Deutschland kommen und ein Recht zum dauernden Aufenthalt haben“.
Was zahlreiche Vertreter von Sinti und Roma verärgert: Deutschland schreibt damit schwarz auf weiß auch, dass es keinen Handlungsbedarf gegen Diskriminierung von Roma und Sinti gäbe. Also gab Daniel Strauß von "RomnoKher" ein Gutachten beim Antiziganismusforscher Markus End in Auftrag, der am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin arbeitet. Ein Jahr später nun, am 12. Dezember übergeben sie das 70-seitige Papier der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin und stellen die Ergebnisse auf Einladung des Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses Tom Königs (Grüne) Bundestagsabgeordneten vor.
Das Gutachten gibt beunruhigende Hinweise auf stark verbreiteten Antiziganismus in Deutschland (und Europa). Es macht aber auch deutlich, wie wenig bis heute zu diesem Thema geforscht wurde. So werde laut End noch heute eine repräsentative Umfrage von 1994 im Auftrag des American Jewish Committee zitiert, die das Meinungsforschungsinstitut Emnid unter dem Titel "Einstellungen gegenüber Juden und anderen Minderheiten" durchführte. Auf die Frage „Möchten Sie die jeweilige Gruppe als Nachbarn haben, ist Ihnen das egal oder wollen Sie sie lieber nicht als Nachbarn haben?“ kamen „Zigeuner“ mit rund 64 Prozent auf den höchsten Ablehnungswert aller Gruppen.
Eine aktuellere Zahl veröffentlichte 2006 der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma aus einer Umfrage unter deutschen Sinti und Roma. Dabei bejahten 76 Prozent der Teilnehmenden die Frage, ob sie bei der Arbeit, von Nachbarn, in Gaststätten oder an anderen Plätzen schon häufiger diskriminiert wurden. Verglichen mit einer Untersuchung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2012, in der ebenfalls die Selbstwahrnehmung von Diskriminierung erfragt wurde, ist das eine beachtliche Zahl. Denn hier gaben beispielsweise türkischstämmige Befragte mit rund 30 Prozent den höchsten Wert an. Roma und Sinti wurden nicht untersucht.
Von Ferda Ataman, 12.12.2012
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