Seit einigen Jahren kommen Sinti und Roma verstärkt in der Berichtererstattung vor. Meist geht es dabei um Armut, Sozialmissbrauch und Kriminalität. Das bleibt nicht ohne Folgen, wie einige Studien belegt haben. Um tiefergehende Erkenntnisse zu erlangen, hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Rahmen ihres Themenjahres gegen Rassismus eine breite Bevölkerungsumfrage im Auftrag gegeben. Das "Zentrum für Antisemitismusforschung" hat dafür rund 2.000 Bürger telefonisch befragt und 18 ausführliche Interviews geführt.
Die Ergebnisse der Studie "Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung" sind alarmierend. Keine andere Minderheit hat so viel mit einer Ablehnungshaltung zu kämpfen wie Sinti und Roma:
- Etwa 20 Prozent der Befragte zeigen eine klare Abneigung gegenüber dieser Gruppe – eine Schätzung, die die Verfasser als "eher konservativ" bezeichnen. Andere Untersuchungen wie etwa die "Mitte"-Studie von 2014 kommen zu deutlich höheren Werten.
- Anders als bei anderen Minderheiten zieht sich diese Abneigung durch alle Bevölkerungsschichten.
- Deutlich mehr Befragte bekunden eine offenkundige "Antipathie" gegenüber Sinti und Roma (17 Prozent) als zum Beispiel gegenüber Muslimen (11) und Asylbewerbern (9).
- Viele sind der Meinung, dass sie "durch ihr Verhalten" für diese Feindseligkeit selbst verantwortlich sind: Bei Muslimen denken das 51, bei Sinti und Roma 49 und bei Asylbewerbern 41 Prozent.
- Auf die Frage, was für ein "gutes Zusammenleben mit Sinti und Roma" notwendig sei, antworteteten 80 Prozent mit der "Bekämpfung von Leistungsmissbrauch" und 78 Prozent mit "Kriminalitätsbekämpfung".
- Ungeachtet der Tatsache, dass viele Angehörige der Minderheit deutsche Staatsbürger sind, schlagen 22 Prozent der Befragten eine Abschiebung als Maßnahme für ein besseres Zusammenleben vor.
Diese Ablehnung geht mit einem weit verbreiteten Unwissen einher. So kennt kaum jemand (nur sieben Prozent) den Unterschied zwischen Sinti und Roma. Ebenso wenig sind die Deutschen über die Größe dieser Minderheiten informiert: Fast die Hälfte der Befragten schätzt die Zahl der in Deutschland lebenden Sinti und Roma zwischen 250.000 und eine Million. Tatsächlich ist die genaue Anzahl unbekannt, geschätzt wird sie auf 70.000 bis 100.000.
Die meisten Befragten (81 Prozent) gaben an zu wissen, dass Sinti und Roma in der NS-Zeit systematisch verfolgt und ermordet wurden. Dabei ist jedoch ein Generationenunterschied auffällig: Während die über 65-Jährigen über den Holocaust an Sinti und Roma informiert sind (91 Prozent), weiß jeder dritte Deutsche unter 34 Jahren nichts darüber.
Ambivalente Forderungen: Integration und Abschiebung
Werner Bergmann, Projektleiter der Studie, spricht von einer "unentschiedenen Haltung" der Bevölkerung gegenüber Sinti und Roma: "Den meisten Interviewten fehlt ein emotionaler Bezug zum Thema." Obwohl man nicht von einem eindeutigen "Feindbild" sprechen könne, knüpften aktuelle Debatten immer wieder an alte Vorurteile an.
Der Diskurs über den vermeintlich hohen Sozialmissbrauch durch Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien – oft gleichgesetzt mit Roma – hat in manchen Gruppen offenbar neue Stereotype bestärkt. Gefragt danach, was sie mit dem herabwürdigenden Begriff "Zigeuner" spontan assozieren, antworteten 19 Prozent der Menschen über 65 Jahren "Kriminalität", während 15 Prozent der 18- bis 24-Jährigen dabei vor allem an "Schmarotzertum" denken.
Die Studie zeigt allerdings auch, dass jeder zweite Befragte Sinti und Roma als sozial benachteiligte Gruppe wahrnimmt. Die Mehrheit schätzt ihre Lebensbedingungen in Deutschland als "schlecht" oder sogar "sehr schlecht" ein. Noch schlimmer sei die Lage in den osteuropäischen Ländern. Auch bei der Frage, wie man das Zusammenleben mit Sinti und Roma verbessern könnte, sehen fast alle Befragten eine Notwendigkeit für bessere Integrationsangebote (93 Prozent) und den freien Zugang zum Arbeitsmarkt (83 Prozent).
Angesichts der Ergebnisse fordern die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Zentralrat deutscher Sinti und Roma konkrete Maßnahmen, um den antiziganistischen Tendenzen in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Ihre zentrale Forderung ist die Einrichtung einer "Expertenkommission beim Bundestag", die regelmäßig Untersuchungen zur Diskriminierung von Sinti und Roma in Deutschland vorlegt. Darüber hinaus brauche es einen Lehrstuhl für Antiziganismusforschung und eine aktive Förderung von jungen Sinti und Roma durch eine Bildungsakademie.
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats, forderte ausdrücklich ein wirksames Verbot rassistischer Wahlwerbung. "Antizganismus muss gesellschaftlich genau so geächtet werden, wie Antisemitismus", sagte Rose vor diesem Hintergrund. Derzeit herrsche bei Stereotypen gegenüber Sinti und Roma noch eine "große Narrenfreiheit".
Von Ferda Ataman und Fabio Ghelli
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