MEDIENDIENST: Wie steht es derzeit um die rechtliche Anerkennung des Islams in Deutschland, die Sie in ihrer Studie untersucht haben?
Dr. Riem Spielhaus: Eigentlich müsste man eher von der Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften als "des Islams" sprechen. Religionsgemeinschaften können in Deutschland unter anderem als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ anerkannt werden. Dieser Status ist mit einigen besonderen Rechten verbunden, wie etwa Mitgliederbeiträge durch staatliche Finanzbehörden einziehen zu lassen, beamtenähnliche Dienstverhältnisse zu unterhalten oder eigene Friedhöfe zu betreiben. Sie sind auch automatisch Träger der Jugendhilfe. Der evangelischen und katholischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde wurde bei Inkrafttreten des Grundgesetzes der Körperschaftsstatus aus der Weimarer Republik übertragen.
Und was ist mit den anderen Religionsgemeinschaften?
Sie müssen einen Antrag stellen, um von der jeweiligen Regierung eines Bundeslandes als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Auch andere christliche Kirchen und die Zeugen Jehovas haben den Körperschaftsstatus. 2013 wurde mit der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Hessen und im Jahr darauf in Hamburg erstmals einer islamischen Gemeinde der Körperschaftsstatus verliehen. Den anderen islamischen Gemeinden, die etwa im Koordinationsrat der Muslime (KRM) organisiert sind, ist das bisher nicht gelungen – obwohl sich einige seit den 1970er Jahren darum bemühen.
Warum sind die meisten islamischen Religionsgemeinschaften bisher daran gescheitert, den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu erlangen?
Weil sie bisher die Kriterien nicht erfüllen konnten. Sie müssen zum Beispiel "durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten". So wurde lange gefordert, dass die Religionsgemeinschaft seit mindestens 30 Jahren existiert, aber auch, dass die Rechtstreue gewährleistet ist und ihr mindestens ein Tausendstel der Bevölkerung eines Landes angehört. Allerdings gibt es dazu neue Rechtsprechungen, die es auch kleineren Gemeinschaften wie den Bahá’i ermöglichen, den Körperschaftsstatus zu erlangen. In den 1970er und 80er Jahren wurden Anträge wohl auch deshalb abgelehnt, weil man davon ausging, dass die sogenannten Gastarbeiter und damit auch die meisten Mitglieder der Antragsteller, in ihre Heimatländer zurückgehen würden.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für islamische Antragsteller?
Das größte Problem ist für sie momentan, Mitglieder nachzuweisen. Einige Verbände sind dabei, Vereinssatzungen zu verändern, Mitgliederlisten aufzustellen und Landesverbände zu bilden, um den Anforderungen zu genügen. Außerdem müssen gefestigte Strukturen, Kompetenzen und Ressourcen aufgebaut werden, um die von ihnen angestrebten Aufgaben wie etwa in der Jugend- und Seniorenarbeit oder der Kindertagespflege übernehmen zu können.
Aber es gibt bereits andere Formen der rechtlichen Anerkennung und staatlichen Kooperation mit islamischen Verbänden. Wie sehen diese aus?
Prof. Dr. RIEM SPIELHAUS ist Islamwissenschaftlerin
und leitet die Abteilung Schulbuch und Gesellschaft am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Selbstidentifikation und Fremdzuschreibung von Muslimen sowie die staatliche Anerkennung des Islam in Deutschland.
Da hat sich gerade in den letzten Jahren viel getan. So haben die Stadtstaaten Hamburg und Bremen Ende 2012 beziehungsweise Anfang 2013 Verträge mit islamischen Verbänden geschlossen. Die Vertragspartner waren in beiden Fällen Landesverbände der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), die örtliche Schura-Religionsgemeinschaft und der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ). Berlin und Niedersachsen streben ebenfalls Staatsverträge an.
Gibt es noch andere rechtliche Annäherungen?
Ja, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Dort wurde das Friedhofsgesetz dahingehend geändert, dass auch Religionsgemeinschaften ohne Körperschaftsstatus Friedhöfe betreiben dürfen. In Niedersachsen wiederum wurde eine Vereinbarung mit islamischen Verbänden zur Gefängnisseelsorge getroffen. Dennoch orientieren sich viele muslimische Akteure weiterhin an den christlichen Kirchen mit ihren gewachsenen Strukturen und Angeboten von Kindergärten und Schulen bis hin zur Mitwirkung in Rundfunk- und Fernsehräten.
Was sind die Gründe dafür?
Es geht zum einen um den Wunsch nach Gleichberechtigung, Mitsprache und Anerkennung ihrer Religion, aber auch ihrer Leistungen, die sie zum Beispiel in der Jugend- oder Seniorenarbeit erbringen. Viele islamische Verbände hoffen auch auf die symbolische Kraft des Körperschaftsstatus: Dass ihre Verfassungstreue und Demokratiefähigkeit nicht mehr in Frage gestellt wird, sie sich mehr Gehör verschaffen können und der Islam dann zu Deutschland gehört. Ich denke, die meist negativ geprägte Islamdebatte spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene, ist es schwer, sich als deutsche Muslime zu fühlen, wenn darüber debattiert wird, ob sie oder ihr Glaube zu Deutschland gehören. Das stellt ihr Selbstverständnis, wenn nicht sogar ihre Daseinsberechtigung in Frage.
Und für wie wichtig halten Sie die rechtliche Anerkennung islamischer Gemeinden?
Im Mai 2015 veröffentlichten Dr. Riem Spielhaus und Martin Herzog für die Friedrich-Ebert-Stiftung ein Gutachten zur rechtlichen Anerkennung des Islams in Deutschland. Das Gutachten untersucht den aktuellen Rechtsstand, identifiziert Handlungsfelder und gibt Empfehlungen an die Politik und die islamischen Verbände.
Um den Islam umfassend ausüben zu können, ist die rechtliche Anerkennung nötig, denn sie schafft Zugang zu Teilhabe und Gleichberechtigung. Gerade vor dem Hintergrund zunehmender islamfeindlicher Einstellungen und Bewegungen in der Gesellschaft wäre die Anerkennung islamischer Gemeinschaften, auch als Körperschaften öffentlichen Rechts, ein wichtiges Bekenntnis zum muslimischen Leben in Deutschland. Es würde sicherlich helfen, das Zugehörigkeitsgefühl von Muslimen mit diesem Land und damit ihre Integration zu stärken. Man sollte aber parallel dazu auch an anderen Formen der Anerkennung und Kooperation weiterarbeiten, die Religionsausübung ganz konkret ermöglichen.
Welche Rolle können Gremien wie die Deutsche Islam Konferenz und andere staatliche Initiativen dabei spielen?
Kommunikation spielt eine ganz wichtige Rolle. In allen Bundesländern, in denen die rechtliche Anerkennung und die Zusammenarbeit mit islamischen Gemeinschaften in den letzten Jahren Fortschritte gemacht haben, gab es vorher längerfristigen Austausch. Auch die Deutsche Islam Konferenz (DIK) spielte eine wichtige Rolle, etwa bei der Einführung des Religionsunterrichts oder der Ausbildung islamischer Theologen an deutschen Universitäten.
Was kann der Staat noch tun?
Staatliche Institutionen in Bund und Ländern sind gefragt, die Gespräche und die Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden weiter zu stärken. Das kann in Form kleinerer und größerer Projekte oder Kooperationen passieren, die die Strukturen und Kompetenzen islamischer Religionsgemeinschaften ausbilden. Außerdem haben einige Länder gezeigt, dass sich durch Änderungen von Gesetzen und Verordnungen Religionsausübung zum Beispiel im Hinblick auf sarglose Bestattungen oder die Freistellung an religiösen Feiertagen ermöglichen lassen. Nicht zuletzt geht es darum, angesichts der gewachsenen religiösen Vielfalt die Religionsfreiheit auf der Basis des deutschen Rechts zu gewährleisten.
Interview: Rana Göroğlu
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