2010 ist Thilo Sarrazins erstes Buch erschienen: "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen". Das Buch hatte eine Rekordauflage: 1,5 Millionen verkaufte Exemplare, unzählige hitzige Debatten wurden geführt, in Zeitungen, Fernsehen und Radio. Am 24. Februar erscheint sein neuestes Buch und ist ein Rekurs auf das erste: "Der neue Tugendterror – Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland".
Darin wirft er Kritikern aus Politik, Medien und Wissenschaft vor, mit "Denk- und Redeverboten" zu hantieren. Sarrazin inszeniert sich als einer, der diesen Verboten trotzt. Sein Verlag wirbt mit dem Autor als "Querdenker", "der sich nicht scheut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen".
In seinem ersten Buch hat Sarrazin besonderen Wert darauf gelegt, zu betonen, er würde sich auf „empirische Erhebungen“ stützen und im Gegensatz zu „jener Kaste von Wissenschaftlern, Politikern und Verbandsfunktionären“ nur „Daten und Fakten" sowie „Zahlen und Analysen“ heranziehen. Doch seine mit Fakten in Fußnoten untermauerten Thesen – etwa über Muslime in Deutschland – waren auf heftigen Widerspruch gestoßen, weil sie nicht dem Sachstand in der Wissenschaft entsprachen.
So hatte Sarrazin in "Deutschland schafft sich ab" unter anderem behauptet, dass bis zu sieben Millionen Muslime in Deutschland leben – beinahe doppelt so viele, wie amtliche Hochrechnungen besagen. Er behauptete in seinem Buch außerdem, dass türkische Einwanderer ihren Nachkommen schlechte Schulabschlüsse "vererben", nur wenige Türken gut Deutsch sprechen und das Kopftuch als Symbol für die Parallelgesellschaft zu werten sei.
Mehrere Fakten-Checks haben inhaltliche und statistische Fehler offengelegt, die der Mediendienst in einem Dossier zusammengefasst hat:
- So hat etwa die Forschungsgruppe des HEYMAT-Projektes der Humboldt-Universität Berlin recherchiert und auf rund 80 Seiten aufgeschrieben, wo die Behauptungen in Sarrazins Sachbuch den Statistiken und Studien widersprechen. "Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand", heißt das bis 2013 regelmäßig aktualisierte Papier.
- Der damalige Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening hatte ebenfalls eine Recherche in Auftrag gegeben und Zahlen und Fakten in einem Online-Dossier veröffentlicht, unter der Überschrift: "Schlagworte der Integrationsdebatte".
- Viele Gegenbelege zu Sarrazins Thesen hat auch die Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" (MLD) hervorgebracht. Damit legte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2009 die erste repräsentative Untersuchung zum Thema vor. Sie erhob Angaben von 6.004 Menschen aus 49 muslimisch geprägten Herkunftsländern. Zusammen mit den Angaben über die Haushaltsmitglieder sammelte die Studie Informationen über fast 17.000 Personen. Die Teilnehmer wurden zu Religion im Alltag sowie zur strukturellen und sozialen Integration befragt.
Diese und weitere Fakten-Checks hat der Mediendienst in einem kurzen Dossier zusammengefasst.
Von Dena Kelishadi & Sabine Netz
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