Sie kommen aus dem Irak, Syrien, Afghanistan, dem Kosovo, Tschetschenien: Sie haben den Krieg mit eigenen Augen gesehen, viele haben Angehörige verloren. Manche waren lange unter menschenunwürdigen Umständen in Haft, sie wurden seelisch und körperlich gefoltert. Selbst wenn sie es geschafft haben, das Elend hinter sich zu lassen, suchen sie die Erinnerungen immer wieder heim.
Von den Geflüchteten, die jährlich Deutschland erreichen, leiden Tausende an Schlaflosigkeit, Alpträumen, Depression, Konzentrationsstörungen – ein typisches Erkrankungsbild für Menschen, die durch Angst und Gewalt stark traumatisiert wurden.
Wie viele es sind, ist schwer einzuschätzen. Zum Thema gibt es kaum wissenschaftliche Studien. 2005 ergab eine Untersuchung der Universität Konstanz zur "Posttraumatischen Belastungsstörung" bei Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen, dass rund 40 Prozent aller Antragsteller unter solchen Störungen litten. Fünf Jahre später kam ein Forschungsteam der Ludwig Maximilians Universität in München zu vergleichbaren Ergebnissen: Rund die Hälfte der untersuchten Asylbewerber hatten therapiebedürftige psychische Erkrankungen.
32 "psychosoziale Behandlungsstellen" für Asylbewerber gibt es in Deutschland, in denen Psychologen und Sozialarbeiter Flüchtlingen dabei helfen, ihre Traumata aufzuarbeiten. Eine dieser Stellen ist das Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) in Berlin-Moabit. Zwischen 400 und 450 Patienten behandelt das Zentrum jährlich. Dem jüngsten Jahresbericht zufolge kamen 2013 die meisten aus Tschetschenien, der Türkei, dem Iran, Syrien, Afghanistan und Kosovo.
Besonders akute Fälle werden in einer Tagesklinik behandelt, in der 2013 rund 30 Menschen Platz fanden. Die Zahl der schwer Traumatisierten, die dringend Unterstützung brauchen, ist allerdings viel höher: In der Akutversorgung ist die Nachfrage nach Angaben des bzfo etwa 20 mal höher als die verfügbaren Plätze.
Wie erkennt man Folteropfer?
Medizinerin Mercedes Hillen, die das Zentrum seit 2008 leitet, beobachtet derzeit einen starken Anstieg des Behandlungsbedarfs: Vor allem die humanitären Krisen in Syrien und im Irak stellen das Zentrum vor neue Herausforderungen. Deshalb hat das bzfo 2013 ein Akutprogramm für traumatisierte syrische Kriegsflüchtlinge ins Leben gerufen, in dessen Rahmen mehr als 200 Patienten behandelt wurden.
Die Diagnosen der bzfo-Experten sind auch im Hinblick auf einen Asylantrag von großer Bedeutung. So kann sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei Entscheidungen über Asylanträge auf Gutachten des Zentrums beziehen. Damit Menschen, die täglich mit Asylsuchenden arbeiten, Anzeichen von Traumatisierung besser erkennen können, organisiert das bzfo gemeinsam mit dem angegliederten „Zentrum für Flüchtlingshilfe und Migrationsdienste“ (zfm) Fortbildungen für das Personal von Asylbewerberheimen und Ausländerbehörden.
Ziel von bzfo und zfm ist auch, die Patienten auf ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland vorzubereiten. Deshalb bieten sie sprach- und berufsvorbereitende Kurse sowie Hilfe unter anderem bei der Wohnungssuche und Aufenthaltsfragen an.
Psychosoziale Beratung in Kriegsgebieten
Um Menschen, die in lebensbedrohlichen Situationen leben, möglichst zeitnah zu helfen, hat das bzfo darüber hinaus das Projekt „Ilajnafsy“ ins Leben gerufen. Das Wort bedeutet auf Arabisch "Psychotherapie". Dabei beraten neun arabischsprachige Psychotherapeuten von Deutschland aus Menschen, die noch in Krisengebieten leben. Pro Woche nehmen etwa 60 Hilfesuchende aus dem gesamten arabischen Raum Kontakt mit den Therapeuten auf. Dies geschieht über eine dafür programmierte und verschlüsselte Internetplattform.
2005 gründete das bzfo außerdem die erste Organisation zur Unterstützung von Folteropfern im Nordirak. In den folgenden Jahren entstand ein einzigartiges Netzwerk aus acht Behandlungszentren, welches seit seiner Gründung zehntausende Überlebende von Menschenrechtsverletzungen versorgen konnte.
Von Fabio Ghelli
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