ANLASS
Die Bundeswehr ist aus Afghanistan abgezogen, das US-Militär auch. Die Evakuierungsmission ist beendet. Tausende Afghan*innen hoffen nun, über den Landweg flüchten zu können. Doch die Nachbarländer schließen die Grenzen. Auf einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES diskutierten Fachleute darüber, was das für die Schutzsuchenden bedeutet.
REFERENT*INNEN
Prof. Vassilis Tsianos
Soziologe an der Fachhochschule Kiel, befasst sich seit vielen Jahren mit der Grenzpolitik der griechischen Regierung.
Prof. Deniz Sert
Politikwissenschaftlerin an der Özyeğin Universität in der Türkei. Sie forscht zu Lebensbedingungen von Flüchtlingen in der Türkei.
Dr. Nader Talebi
Migrationsforscher am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), hat mit afghanischen Flüchtlingen im Iran gearbeitet.
Dr. Fatemeh Kamali-Chirani
Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Sustainable Development Policy Institute in Islamabad. Sie forscht zum Thema interkultureller Dialog und nachhaltige Entwicklung in Pakistan.
STATEMENTS DER REFERENT*INNEN (AUSZÜGE)
Dr. Fatemeh Kamali-Chirani (forscht am Sustainable Development Policy Institute in Islamabad zu interkulturellem Dialog)
Zur Lage an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan:
Afghan*innen haben kaum eine Chance, nach Pakistan auszureisen. Es sei denn, sie haben schon längst ein Visum oder sehr gute Kontakte zur pakistanischen Botschaft.
Wer jetzt nach Pakistan flüchten will, sieht sich mehreren Hürden gegenüber: die Taliban kontrollieren die Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan. Die Flüchtenden haben zudem kein Bargeld, um Schmuggler oder Visa zu bezahlen, denn die Banken in Afghanistan sind geschlossen.
Dr. Nader Talebi (Migrationsforscher am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung)
Zur Situation von afghanischen Geflüchteten im Iran:
Afghan*innen erhalten im Iran höchstens einen temporären Aufenthalt. Von geschätzt drei Millionen afghanischen Schutzsuchenden im Iran haben rund zwei Millionen kein Bleiberecht. Afghan*innen werden in allen Lebensbereichen diskriminiert.
Die Grenzübertritte von Afghanistan in den Iran sowie vom Iran in die Türkei sind lebensgefährlich: Es gibt Pushbacks und Grenzposten, die auf Menschen schießen.
Prof. Deniz Sert (Migrations- und Integrationsforscherin an der Özyeğin University, Istanbul)
Zur Situation in der Türkei:
Die türkische Regierung hat 3,8 Millionen Flüchtlingen aus Syrien subsidiären Schutz gewährt. Für Migrant*innen aus Afghanistan sieht man sich allerdings nicht verantwortlich, weil es keine gemeinsame Grenze zwischen den Ländern gibt. Deshalb versucht die türkische Regierung, Migrant*innen aus Afghanistan abzuschrecken: Eine neue Mauer an der Grenze zum Iran soll afghanische Flüchtlinge draußen halten. Afghan*innen, die es trotzdem in die Türkei schaffen, bekommen in der Regel kein Bleiberecht.
Prof. Vassilis Tsianos (Soziologe an der Fachhochschule Kiel)
Zur Frage, ob sich 2015 wiederholt:
Man mag es gut oder schlecht finden: 2015 wird sich in Europa nicht wiederholen. Afghanische Geflüchtete schaffen es schlicht nicht nach Europa, weil die Grenzen dicht sind. Das Grenzregime, das in der sogenannten Flüchtlingskrise etabliert worden ist, funktioniert. Afghanische Geflüchtete sind auf allen Hauptrouten nach Europa eine Minderheit. Im vergangenen Jahr stammten lediglich drei Prozent der Menschen, die über die Türkei nach Griechenland kamen, aus Afghanistan.
Von Martha Otwinowski
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