Über ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in Deutschland hat einen sogenannten Migrationshintergrund. Einige von ihnen sind neu zugewandert oder haben Fluchterfahrung. Für Schulen ist das oft mit Herausforderungen verbunden: Viele der Kinder und Jugendlichen sprechen zuhause kein Deutsch. Zudem kommen immer wieder neue Kinder in die Klassen, die teils länger nicht zur Schule gegangen sind.Quelle
Wie können Schulen damit umgehen? Welche Konzepte haben sich bewährt? Und wie ist die Situation in Bremen, wo mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund hat? Darüber diskutierten Expertinnen bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES:
Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Leiterin des Arbeitsbereichs Interkulturelle Bildung an der Universität Bremen
Wir müssen Schule fundamental neu denken
"Migration führt dazu, dass Kinder und Jugendliche mit sehr unterschiedlichen Kenntnissen an die Schulen kommen – und zwar in allen Jahrgangsstufen. Das ist natürlich herausfordernd und braucht selbstverständlich zusätzliche Ressourcen, etwa den Einsatz multiprofessioneller Teams im Regelunterricht. Wenn diese Ressourcen richtig eingesetzt werden, kann Vielfalt eine große Chance sein. Denn Kinder mit Migrationshintergrund bringen Perspektiven ein, die den Unterricht bereichern können – etwa im Fach Geschichte oder Mathematik. Die Lehrkräfte müssen hierfür besser ausgebildet werden: Sie müssen darauf vorbereitet sein, Kinder zu unterrichten, die zuhause kein Deutsch sprechen. Und sie brauchen professionelle Unterstützung: In Alberta/Kanada bieten Schulen zum Beispiel Übersetzungsdienste für Eltern an. In Deutschland tut man sich schwer mit solchen Angeboten. Sie existieren lediglich auf Projektbasis."
Sabine Jacobsen, ehemalige Leiterin der Neuen Oberschule Gröpelingen, Bremen
Wir zeigen den Schülerinnen und Schülern, dass sie bei uns willkommen sind
"An unserer Schule haben fast achtzig Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Damit sie gut zusammen lernen können, haben wir zahlreiche Konzepte entwickelt. Zum Beispiel ist das Wegeleitsystem im Schulgebäude durchgängig dreisprachig verfasst – und zwar auf Deutsch, Englisch und Türkisch. Das gilt auch für innerschulische Informationsschreiben und Einladungen an die Eltern. Zudem gibt es Projekttage, bei denen die Schülerinnen und Schüler ihre Sprachen vorstellen können. Wir wollen damit zeigen, dass alle bei uns willkommen sind – unabhängig von der Herkunft. Lehrerinnen und Lehrer müssen darauf Rücksicht nehmen, dass für viele Kinder Deutsch nicht die Erstsprache ist. Wenn sie mehr Bilder oder digitale Hilfsmittel einsetzen, können sprachliche Hürden überwunden werden."
Scharajeg Ehsasian, Referentin für Migration und interkulturelle Angelegenheiten bei der Bremer Senatorin für Kinder und Bildung
Geflüchtete Kinder und Jugendliche brauchen längere Lernzeiten
"Seit 2012 hat Bremen rund 9.000 geflüchtete und neu zugewanderte Kinder und Jugendliche aufgenommen. An fast allen Schulen wurden für sie sogenannte Vorkurse eingerichtet. Dort lernen sie Deutsch und nehmen parallel dazu nach und nach am Unterricht in anderen Fächern teil. Die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen sind sehr unterschiedlich: Manche können weder lesen noch schreiben und benötigen Alphabetisierungskurse. Andere standen in ihrem Herkunftsland kurz vor dem Abitur. Momentan beschäftigen wir uns viel mit geflüchteten Jugendlichen, die relativ spät ins deutsche Schulsystem eingestiegen sind und Lücken in ihrer Bildungsbiografie aufweisen. Teils haben sie jahrelang keine Schule besucht, müssen Deutsch lernen und sich gleichzeitig auf einen Abschluss vorbereiten. Für sie gibt es in Bremen spezielle Klassen, in denen sie über einen längeren Zeitraum und mit Hilfe von sprachsensiblem Fachunterricht einen Abschluss erlangen können. Für alle, die nach der offiziellen Schulpflicht noch keinen Abschluss haben, wurden an der sogenannten Erwachsenenschule Kurse für Geflüchtete und Neuzugewanderte eingerichtet. Hier haben sie über die Schulpflicht hinaus Zeit einen Abschluss zu erwerben."
Video-Statement von Prof. Dr. Karakaşoğlu
Kontakte
Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Universität Bremen / Kontakt
Sabine Jacobsen, ehemals Neue Oberschule Gröpelingen / Kontakt
Scharajeg Ehsasian, Referentin bei der Bremer Senatorin für Kinder und Bildung / Kontakt
Wichtige Quellen
Ergebnisse des Mikrozensus 2018 – Statistisches Bundesamt (2019), S. 46 / PDF
Schulischer Umgang mit transnationaler Migration und Mobilität – Yasemin Karakaşoğlu, Matthias Linnemann und Dita Vogel (2019) / PDF
Zahlen und Fakten zu Geflüchteten an Bremer Schulen – Bremer Senatorin für Kinder und Bildung (2019) / Link
Informationen zur Schulkultur – Neue Oberschule Gröpelingen (2012) / Link
Von Andrea Pürckhauer
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