Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Migrationsgesellschaft entwickelt. Etwa 15 Millionen Menschen, das sind rund 19 Prozent der Bevölkerung, haben mittlerweile eine Migrationsgeschichte. In manchen Ballungsräumen liegt der Anteil von Migranten und ihren Nachkommen bei über 40 Prozent, bei Kindern und Jugendlichen ist er besonders hoch.
Der wachsende Anteil von Einwanderern und ihren Nachkommen stellt schon aus demografischen und wirtschaftlichen Gründen einen wichtigen Teil der deutschen Gesellschaft dar. Ob er mit der Mehrheitsbevölkerung integriert wird, ist für die Zukunft der Bundesrepublik von Bedeutung. Unter Integration sollte dabei nicht notwendig Assimilation im Sinne kultureller Homogenität verstanden werden, sondern ein Zusammenhalt der Gesellschaft dadurch, dass ihre Mitglieder sich über die Gültigkeit allgemeiner Werte (wie Menschenrechte, Verfassungsgrundsätze) einig sind, sich wechselseitig respektieren und über alle wichtigen Fragen verständigen, wobei Unterschiede in Bezug auf Religion, Sitten, Dialekte usw. erhalten bleiben können. Denn in Kindheit und Jugend erworbene kulturelle Identität lässt sich nicht austauschen, sondern allenfalls ergänzen und modifizieren. Für diesen modernen Typus sozialen Zusammenhalts bietet sich der Begriff der interkulturellen Integration an.
Interkulturelle Integration und Medien
Dass mediale Öffentlichkeit ein Faktor ist, der für interkulturelle Integration Bedeutung hat, wird kaum bestritten. Dabei geht es heute nicht mehr, wie in früheren Phasen der Einwanderung, um besondere Informations- und Unterhaltungsangebote für Migranten, sondern um die Partizipation aller Gruppen an einer öffentlichen Kommunikation, die die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft wiedergibt. Dazu bedarf es einerseits einer Sichtbarkeit der ethnischen Gruppen in den kommunizierten Inhalten. Besonders das Fernsehen leistet hier einiges, indem vermehrt Schauspieler, Moderatoren und Journalisten mit Migrationsgeschichte auf dem Bildschirm erscheinen.
Andererseits gehört zu einer öffentlichen Kommunikation, die integrativ wirken kann, eine angemessene Repräsentanz von Migranten und ihren Nachkommen im Personal hinter der Kamera, bei der Recherche oder am Redaktionscomputer. Denn nur so werden die Sichtweisen der ethnischen Gruppen öffentlich und können von anderen zur Kenntnis genommen werden. Die Chance, sich Gehör zu verschaffen, der Zutritt zur öffentlichen Kommunikation, ist von den Vereinten Nationen 1948 zum Menschenrecht erklärt worden. Im Übrigen können Medien den wachsenden Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund nur dann als Publikum und Kundschaft erreichen, wenn dessen Gruppen ihre Sichtweisen und Interessen in den Inhalten der Medien wiederfinden. Deshalb ist die angemessene Repräsentanz von Migranten und ihren Nachkommen im Redaktionspersonal auch von wirtschaftlicher Bedeutung für die Medienbranche.
Trotz der integrationspolitischen und ökonomischen Bedeutung entspricht der Anteil der Journalisten mit Migrationshintergrund nicht entfernt dem Anteil der Migranten an der Bevölkerung. Eine Totalerhebung bei Redaktionen kombiniert mit einem Schneeballverfahren bei Journalisten führte 2009 zu einem geschätzten Migrantenanteil von ein bis allerhöchstens zwei Prozent bei Tageszeitungen. Die Befragung einer Zufallsauswahl aus den Mitgliedern des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2007, die 200 Journalisten aus allen Medien umfasste, hat ergeben, dass 2,5 bis 3 Prozent einen Migrationshintergrund hatten.
Eine explorative Studie beim Rundfunk lässt darauf schließen, dass dort etwas, aber nicht erheblich mehr Journalisten mit Migrationsgeschichte arbeiten als in der Presse. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hat nach eigenen Angaben bei einer internen Befragung 2012 einen Anteil von 14 Prozent Mitarbeitern mit Migrationshintergrund festgestellt, wobei die gesamte Belegschaft von der Intendantin bis zu Sekretärinnen, Verwaltung und Kantinenpersonal freiwillig und anonym antworten konnte. Auch weil das nur 1.800 der rund 4.500 WDR-Beschäftigten getan haben, sagen die Ergebnisse über den Anteil der Journalisten mit Migrationshintergrund wenig aus. Immerhin gaben mehr der befragten WDR-Mitarbeiter an, im Beruf mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zu tun zu haben (80 Prozent) als im privaten Umfeld (70 Prozent) oder über Social Media (55 Prozent).
„Diversity policy“ in Nordamerika
Für die Frage, wie sich der geringe Anteil von Journalisten mit Migrationshintergrund in den Redaktionen deutscher Medien steigern lässt, lohnt sich ein Blick nach Nordamerika. In den USA und Kanada, von Anfang an Einwanderungsgesellschaften, hat man von jeher nicht nur den politischen Willen, die Immigration zu regulieren, man verfolgt auch bewusst eine Integrationspolitik gegenüber ethnischen Minderheiten, die einmal eingewandert sind oder noch einwandern.
Die Integrationsmodelle der klassischen Einwanderungsländer Nordamerikas sind weniger auf Assimilation als auf Anerkennung und gesellschaftliche Partizipation der Minderheiten gerichtet. Das hängt auch damit zusammen, dass viele ursprüngliche Einwanderer Europa verlassen mussten, weil sie aufgrund religiöser Besonderheiten dort nicht geduldet wurden, und dass mit den Afro-Amerikanern eine „visible minority“ nach Nordamerika verschleppt worden ist, deren sichtbarstes Merkmal, die Hautfarbe, sich nicht assimilieren lässt.
Das moderne, kulturelle Pluralität schützende Integrationsprinzip bringt der Begriff „diversity“ zum Ausdruck. Die „diversity policy“ bedient sich bevorzugt der Methode, die Anteile der großen ethnischen Minderheiten (Afro-Amerikaner, Asiaten, Latinos und Amerikanische Ureinwohner) an wichtigen öffentlichen Sektoren zu erheben, mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung zu vergleichen und diese Daten zu publizieren. Vor allem über das Wirkungsprinzip Öffentlichkeit wird also das Ziel der Akzeptanz und angemessenen Repräsentanz der Minoritäten in den verschiedenen Sektoren angestrebt.
Journalisten sind Subjekte und Objekte solcher Bemühungen zugleich. Diversity-Aktivitäten gehen von den amerikanischen Zeitungsredakteuren und –verlegern aus, wohinter sicher auch das Motiv steckt, die ethnischen Minderheiten als Kunden zu binden. Im Rundfunksektor gibt es mit der „Federal Communication Commission“ (FCC) eine Kontroll- und Zulassungsinstanz, die auch mit verbindlichen Lizenzierungs-Auflagen ethnische Vielfalt in den mehrheitlich privaten Sendern durchsetzt.
Transparenz durch Zahlen
Die „American Society of Newspaper Editors“ (ASNE) publiziert seit Ende der 1970er Jahre jährlich Statistiken über die Anteile der vier ethnischen Minderheiten in den Newsrooms der US-Presse. Die Zahlen werden in Zusammenarbeit mit der „School of Journalism“ der Universität Missouri, dem ältesten der über hundert akkreditierten Journalistik-Institute und -Fakultäten an US-Universitäten, und unterstützt von der Robert R. McCormick-Stiftung erhoben. Der Erfolg dieser Maßnahme zeigt sich daran, dass der Anteil der Minderheiten sich in 20 Jahren mehr als verdoppelt hat: von 6,3 Prozent 1986 auf 13,7 Prozent im Jahre 2006. 1978 betrug der Anteil 4,0 Prozent, das waren 1.700 Angehörige der ethnischen Minderheiten unter den damals 43.000 Zeitungsjournalisten.
Quelle: ASNE, Table A, Minority Employment by Race and job category.
Aus ihnen sind 2011 immerhin 5.300 unter 41.600 Pressejournalisten insgesamt geworden. Damit ist aber immer noch nicht die von der FCC für den Rundfunk zur Auflage gemachte Hälfte des Minderheitenanteils an der Bevölkerung im Einzugsgebiet eines Mediums erreicht, geschweige denn die angestrebte volle Proportionalität. Und in der Zeitungskrise sinkt seit einigen Jahren der Minderheitenanteil bei den Pressejournalisten wieder leicht. Dass die Zahlen regelmäßig veröffentlicht werden, ist auch eine Voraussetzung, damit solche problematischen Phänomene gesellschaftlich wahrgenommen und verarbeitet werden können.
Eine der von der ASNE kontinuierlich publizierten Tabellen zeigt, dass 2011 knapp die Hälfte der aus den ethnischen Minderheiten stammenden Zeitungsjournalisten normale Reporter und Redakteure waren, während mehr als ein Fünftel der Leitungsebene angehörten:
Quelle: ASNE, Table B, Minority Employment by Race and job category.
Andere Tabellen geben über die regionale und mediale Verteilung der Minderheiten in der Presse Auskunft. Fast die Hälfte der von der ASNE-Statistik erfassten Zeitungen, vor allem solche mit geringer Auflage, beschäftigt überhaupt keine Journalisten aus den Minderheiten, aber immerhin neun der 100 größten Zeitungen hatten 2005 das Ziel der vollen Proportionalität zur demografischen und sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung im Verbreitungsgebiet erreicht. Die Unterschiede erklären sich hauptsächlich aus der Personalpolitik der Verlage.
Kulturelle Vielfalt in deutschen Redaktionen
Letzteres stützt die verbreitete Annahme, die Unterrepräsentation von Einwanderern und ihren Nachkommen in deutschen Redaktionen sei auf Vorbehalte in den Medienbetrieben zurückzuführen. Dabei wird oft nicht geprüft, ob und bei welchen Migrantengruppen überhaupt eine Bereitschaft besteht, im Journalistenberuf eine Perspektive zu erkennen. Viele streben sozialen Aufstieg über akademische Berufe wie Arzt oder Ingenieur an. Und Programme zur Ausbildung von Journalisten mit Migrationshintergrund werden aufgelegt, ohne zu prüfen, ob und wo es überhaupt Medienbetriebe gibt, die gezielt an ihrer Beschäftigung interessiert sind. Diese vernachlässigten Fragen hängen zusammen, weil die Motivation junger Menschen mit Migrationskontext, den Journalistenberuf zu ergreifen, häufig an die realistische Aussicht gebunden ist, eine Beschäftigung zu finden, die Sicherheit und sozialen Aufstieg verspricht.
In Deutschland neigen journalistische Selbstkontrollorgane, Journalistenverbände und die Kommunikationswissenschaft dazu, sich über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit, Nützlichkeit oder Schädlichkeit von Medieninhalten Sorgen zu machen. Das kann leicht mit der im Grundgesetz verankerten Kommunikationsfreiheit und dem für die Selbstregulierungsfähigkeit einer modernen Gesellschaft wichtigen Öffentlichkeitsprinzip kollidieren. Um ohne solche Reibungen zu mehr ethnischer Vielfalt in den Medienbetrieben zu gelangen, bietet es sich an, von der Diversity-Politik in den Einwanderungsgesellschaften Nordamerikas zu lernen. Der DJV etwa brauchte nur – eventuell in Kooperation mit einem Journalistik-Institut und einer Pressestiftung – den Anteil von Journalisten mit Migrationshintergrund zu erheben - anfangs vielleicht sogar nur bei seinen Mitgliedern – und die Ergebnisse mit seiner zweifellos vorhandenen Kompetenz zum Herstellen von Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Die Steigerung des Anteils von Einwanderern und ihren Nachkommen in den Redaktionen deutscher Medien ist aber auch ein Ziel, für das eine lösungsorientierte Forschung nötig ist. Während der Mangel an kultureller Diversität im Journalismus von Politik und Wissenschaft unter Hinweis auf die mögliche Integrationsfunktion der Medien zurecht beklagt wird, sind Untersuchungsergebnisse zu den Gründen dieses Mangels sowie dazu, wie er sich beheben lässt, rar und wenig belastbar.
Um die kulturelle Vielfalt in deutschen Medien zielgerichtet steigern zu können, sind verlässliche Kenntnisse sowohl über Erwartungen junger Menschen mit Migrationshintergrund an den Journalistenberuf als auch über Einstellungen des Medienmanagements zur Beschäftigung von Journalisten mit Einwanderungsgeschichte wichtig. Erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts im Zentrum für mediale Integration (ZFMI) am Institut für Journalistik der TU Dortmund lassen darauf schließen, dass das Ziel der Steigerung ethnischer Diversität von den Medienbetrieben zwar geteilt wird, dass die Umsetzung aber an Vorurteilen etwa über mangelnde Sprachbeherrschung bei Migranten scheitert, wobei im Rundfunk mehr Offenheit zu herrschen scheint als bei Presse und Online-Medien. Und es zeichnet sich ab, dass die Bereitschaft zum Journalistenberuf sich effektiver über Eltern und Angehörige fördern lässt als über die Jugendlichen mit Migrationshintergrund selbst. Sie scheinen von Arbeitsweisen, Anforderungen und Chancen im Journalismus noch weniger realistische Vorstellungen zu haben als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
Prof. Dr. phil. Horst Pöttker ist pensionierter Hochschullehrer am Institut für Journalistik der TU Dortmund und Leiter des dortigen Zentrums für mediale Integration. Zudem war er über zehn Jahre Geschäftsführer der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA), in der er weiterhin aktiv ist.
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