Mit der Reform des Zuwanderungsgesetzes sind im August 2007 einige aufenthaltsrechtliche Neuregelungen in Kraft getreten. Seither verlangt der deutsche Gesetzgeber von aus dem Ausland nachziehenden Ehegatten, dass sie vor ihrer Einreise nachweisen, sich auf "einfache Art" auf Deutsch verständigen zu können. Im Regelfall geschieht das durch eine Prüfung bei einem Goethe-Institut im Herkunftsland.
Es gibt allerdings zahlreiche Ausnahmen, etwa wenn die bereits in Deutschland lebenden Ehepartner hochqualifiziert sind, die Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Landes haben oder aus wirtschaftlich starken Ländern wie den USA, Israel, Japan und einigen anderen Staaten kommen. Ziel der Regelung ist damit eindeutig eine Benachteiligung von Zuwanderern aus ärmeren Ländern, wie etwa der Türkei, bei der es nach dem Inkrafttreten der Vorschrift zu einem deutlichen Rückgang des Familiennachzugs kam. Offiziell gerechtfertigt wird sie allerdings mit einer Verbesserung der Integration und dem Schutz vor Zwangsehen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits in einem Urteil vom Juli 2014 entschieden, dass die Sprachanforderungen für Ehegatten türkischer Staatsbürger gegen die "Stillhalteklausel" des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei verstoßen, wenn keine Ausnahmen in Härtefällen zugelassen wurden. Nachdem dieses Urteil zunächst in rechtlich zweifelhafter Form nur durch einen Erlass des Auswärtigen Amtes umgesetzt wurde, hat der Bundestag Anfang Juli 2015 eine allgemeine Härtefallklausel in Paragraph 30 des Aufenthaltsgesetzes aufgenommen, der den Ehegattennachzug regelt. Danach wird in Zukunft auf den Sprachnachweis verzichtet, wenn „es dem Ehegatten aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen.“
Prof. Dr. Thomas Groß ist Rechtswissenschaftler an der Universität Osnabrück. Seit 2011 hat er dort den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung inne. Seit 2015 ist er Mitglied im Vorstand des "Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien" (IMIS). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das Ausländer- und Asylrecht.
Die Härtefallklausel bedeutet, dass im Einzelfall geprüft werden muss, ob es – wie dort beschrieben – ausländischen Ehegatten entweder von vorneherein nicht möglich oder zumutbar ist, vor der Einreise einfache deutsche Sprachkenntnisse zu erwerben oder das trotz "ernsthafter Bemühungen" innerhalb eines Jahres nicht gelungen ist. Vertreter von Linken und Grünen und Nichtregierungsorganisationen wie der Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) kritisieren, dass die Prüfung von Einzelfällen in der Praxis realitätsfern sei. So müssten die Betroffenen zum einen die Rechtslage kennen, um eine solche einzufordern, zum anderen könnten die Behörden wirkliche Einzelfallprüfungen gar nicht vornehmen.
Wie wirkt sich das Urteil auf Deutschland aus?
Am 9. Juli 2015 hat der EuGH ein Urteil gefällt. Konkret ging es dabei um die Frage, ob die von den Niederlanden beim Ehegattennachzug verlangte Integrationsprüfung zulässig ist. Dabei haben die Luxemburger Richter aber auch eine Grundsatzfrage entschieden: Die Mitgliedsstaaten können Sprachkenntnisse bereits vor der Einreise verlangen. Das sei mit der EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung vereinbar, weil dadurch die Integration gefördert werden könne. Mit dem Gegenargument, dass der Spracherwerb nach der Einreise viel leichter erfolgen kann, hat der EuGH sich leider nicht auseinandergesetzt.
Allerdings verlangt der oberste europäische Gerichtshof, dass das Recht auf Familienzusammenführung durch diese Anforderungen nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf. Die niederländische Härtefallklausel, die nur bei einer „erheblichen Unbilligkeit“ greift, wurde deshalb für unverhältnismäßig erklärt. Auch die dort anfallenden Prüfungskosten von insgesamt 460 Euro wurden als unzumutbar hoch verworfen.
Für Deutschland bedeutet dieses Urteil, dass die geltende Regelung, insbesondere mit der Anfang Juli 2015 beschlossenen Härtefallklausel, die etwas großzügiger als in den Niederlanden formuliert ist, nicht gegen europarechtliche Vorgaben verstößt. Es wird nun darauf ankommen, wie sie in der Praxis gehandhabt wird. Anders als in den Niederlanden sind die Prüfungskosten nicht einheitlich festgelegt, so dass hierzu keine allgemeinen Aussagen gemacht werden können, sondern ebenfalls eine einzelfallbezogene Zumutbarkeitsprüfung erforderlich ist.
Es ist aber auch klar, dass die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung der Sprachanforderungen verpflichtet und dass diese das Grundrecht auf Ehe und Familie einschränken. Deshalb sollte der Bundestag bald erneut überprüfen, wie sich die Härtefallklausel auswirkt und ob die Regelung gerechtfertigt ist. Der Bundesrat hat sich in einer Stellungnahme bereits der Auffassung angeschlossen, dass es aus integrationspolitischer Sicht sinnvoller ist, die deutsche Sprache dort zu lernen, wo sie im Alltag gesprochen wird.
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