Zahlreiche Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, treffen auf überlastete Behörden und mangelhafte Strukturen. Sie brauchen jemanden, der die Verwaltungsanforderungen übersetzt und ihnen Orientierung im neuen Land bietet. In dieses Versorgungsvakuum springen offenbar immer öfter ehrenamtliche Helfer ein.
Eine neue Studie über "Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit" nimmt dieses Phänomen nun erstmals in den Blick. Für die Untersuchung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) gab es Ende 2014 eine Online-Umfrage, an der sich bundesweit mehr als 460 Bürgerinnen und Bürger und knapp 80 Organisationen beteiligt haben. Ein Ergebnis: Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, ist den letzten drei Jahren durchschnittlich um 70 Prozent gewachsen.
Das Engagement der Deutschen reicht von lokalen Nachbarschaftsinitiativen, Bildungsprogrammen bis zu professionellen Beratungsangeboten. Die meisten Ehrenamtler helfen bei Behördengängen, der Kommunikation mit Behörden und unterstützen durch Sprachkurse. Rund ein Viertel der Befragten ist in der Sozial- und Integrationsberatung tätig oder hilft bei der Wohnungssuche.
Mit dieser Arbeit füllen die Ehrenamtlichen häufig die Lücken, in denen der Staat derzeit versagt. "Ehrenamtliche sollten die staatlichen Aufgaben nur im Notfall ergänzen, keinesfalls aber ersetzten", sagt Serhat Karakayali, einer der beiden Autoren der Studie. Viele Bürger würden aber derzeit wegen der fehlenden Strukturen und Institutionen "spontan aktiv", so die Studie, sehr oft werde das Engagement "aus einer Notwendigkeit heraus" geboren. Dafür spricht auch ein weiteres Ergebnis der Studie: 40 Prozent der Befragten sind nicht Mitglieder in Vereinen und Verbänden, sondern engagieren sich in Initiativen, Projekten und selbstorganisierten Gruppen.
Ehrenamtliche wollen die "Gesellschaft gestalten"
Die freiwilligen Helfer treibt dabei oft nicht nur das Schicksal der Einzelnen an, die Mehrheit hat laut Umfrage ein größeres Bild vor Augen: drei Viertel der Befragten geben an, dass sie die "Gesellschaft mitgestalten" wollen. Nur 3,5 Prozent versprechen sich von ihrem Engagement berufliche Vorteile.
Doch wer sind die altruistischen Helfer? Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, weist sie darauf hin, dass die Gruppe ungewöhnlich vielfältig ist und weder dem demographischen Durchschnitt Deutschlands entspricht noch dem Durchschnitt in anderen Bereichen von ehrenamtlichem Engagement.
In der Flüchtlingsarbeit sind einige Gruppen deutlich überrepräsentiert:
- "Ein überraschend hoher Anteil, etwa 70 Prozent der Studien-Teilnehmer, ist weiblich", schreiben die Autoren.
- Fast 90 Prozent haben Abitur oder Fachhochschulreife gemacht
- und knapp 80 Prozent sind finanziell abgesichert und kommen aus "stabilen und relativ sicheren Lebensumständen".
- Gut 40 Prozent der Ehrenamtlichen sind erwerbstätig.
- Knapp 20 Prozent sind Rentner.
- Auch der Anteil der Studenten ist hier mit 23 Prozent deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung.
- Und der Anteil von Menschen aus Einwandererfamilien ist höher: ein Drittel der Befragten gab an, selbst einen Migrationshintergrund zu haben.
- Fast die Hälfte gab an, nicht religiös zu sein.
Zivile Willkommensgesellschaft stärken
Die Wissenschaftler kritisieren, dass die organisatorischen Hürden für die Ehrenamtlichen hoch seien, insbesondere bei selbstorganisierten Initiativen. Die Verfasser der Studie schlagen deshalb vor, dass größere, erfahrene Organisationen, wie Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Vereine, ihre Erfahrungen und Kompetenzen teilen und strukturelle Hilfestellung für neue Initiativen leisten. Damit könne die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit gestärkt und die oft zitierte "zivile Willkommensgesellschaft" etabliert werden.
Ob bei der Ausländerbehörde, der Schule oder dem Sozialamt: Auch auf Seiten der Ämter erkennt die Studie Handlungspotenzial. "Behörden sollten sich so einrichten, dass sie ohne weitere Hilfe mit Flüchtlingen und Asylbewerbern arbeiten können", meint der zweite Autor Olaf Kleist. Die Studie macht konkrete Vorschläge, wie sich die Verwaltung auf ein kulturell diverses, vielsprachiges Publikum einstellen kann: Formulare sollten auf verschiedenen Sprachen zugänglich sein und es müsste ein "bundesweiter, staatlich finanzierter telefonischer Übersetzungsservice" eingerichtet werden. Flüchtlinge wären damit weniger abhängig von Hilfswilligen und Ehrenamtliche könnten sich stärker für eine Willkommensgesellschaft engagieren.
Von Almut Dieden
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