Vor der italienischen Insel Lampedusa erlitt am 3. Oktober 2013 ein Flüchtlingsboot mit hunderten von Flüchtlingen Schiffbruch, über 300 Menschen starben. Etwa eine Woche darauf ertranken dort erneut hunderte Menschen auf hoher See. Die Vorfälle vor eineinhalb Jahren lösten eine Debatte über die europäische Asylpolitik aus. Als Konsequenz verabschiedet das Europäische Parlament kurz darauf die Eurosur-Regeln: ein Grenzkontrollsystem, mit dem der Austausch zwischen der Grenzschutzagentur Frontex und den EU-Ländern optimiert werden sollte.
Doch bis heute müssen weiterhin viele Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien ihr Leben aufs Spiel setzen. Seit Jahresbeginn sind 23.000 Menschen auf diesem Weg angereist, gibt das italienische Innenministerium auf Anfrage des MEDIENDIENSTES bekannt. Ihre Zahl soll in den nächsten Monaten steigen, erklärt die Grenzschutzagentur Frontex im Februar 2015, denn aufgrund der angespannten Situation in Ägypten und Libyen machen sich immer mehr Menschen mit Schlepperbooten auf den Weg Richtung Italien.
2014 registrierte das „Missing Migrants Project“ 3.279 tote oder vermisste Geflüchtete im Mittelmeer. Seit Anfang des Jahres 2015 zählte die Organisation 866 Tote oder Vermisste – dazu kommen die Opfer des jüngsten Unglücks am 18. April 2015, deren Zahl auf 700 bis 950 geschätzt wird. Niemand weiß, wie viele Boote sich tatsächlich auf den Weg machen, weshalb die Dunkelziffer wahrscheinlich höher liegt.
Laut Frontex erreichten vergangenen Jahr rund 171.000 Menschen Europa über die zentrale Mittelmeerroute. Abgefangen wurden die meisten von der italienischen Seerettungsoperation „Mare Nostrum“, die im November 2014 eingestellt wurde. Der Grund: Italien bekam dabei kaum Unterstützung von anderen europäischen Ländern. Im vergangenen Sommer meldete der italienische Innenminister Angelino Alfano, dass Italien die kostspielige Seenotrettungsoperation allein nicht tragen könne.
Nachfolger wurde die europäische Operation Triton. Laut Pro Asyl verfügt sie jedoch lediglich über drei Millionen Euro pro Monat – ein Drittel des Budgets, das Italien für Mare Nostrum zur Verfügung gestellt hatte. Triton patroulliert nur 30 Seemeilen vor der italienischen Küste, der Hilfsaktivitäten von Mare Nostrum reichten dagegen bis in die libyschen Gewässer hinein.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte kritisiert, dass Mare Nostrum Flüchtlinge anreizt, nach Europa zu kommen. Dem widersprechen die Zahlen von Frontex, wie aus einem Informationspapier vom MEDIENDIENST hervorgeht: Den stärksten Anstieg der Flüchtlingszahlen gab es vier Monate bevor Mare Nostrum mit der Arbeit begann.
Ein ausführliches Informationspapier zum Thema finden Sie hier.
Oftmals liegt das Schicksal der Menschen im Mittelmeer in den Händen von Menschenrechtsorganisationen und privaten Initiativen, wie zum Beispiel diesen:
- Eine gemeinsame Seenotrettungsoperation von Ärzte ohne Grenzen (MSF) und Migrant Offshore Aid Station (MOAS) soll im Mai beginnen. Rund 3.000 Migranten konnten während einer zweimonatigen Testphase im vergangenen Jahr gerettet werden.
- Die Initiative "Alarm Phone" betreibt eine Telefonhotline, an die sich Menschen in Seenot wenden können. Sollten Behörden nicht schnell genug reagieren, kann die Initiative Druck ausüben, damit Rettungstrupps gesendet werden.
- Weitere Todesfälle verhindern möchte auch der Brandenburger Harald Höppner: Er ist mit seinem Kutter "Sea-Watch" auf dem Weg Richtung Mittelmeer, um dort Menschenleben zu retten.
Von Fabio Ghelli und Almut Dieden
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