Mediendienst: Die Teilnehmer des Workshops wollten den Begriff „Migrationshintergrund“ durch einen neuen ersetzen – warum?
Konstantina Vassiliou-Enz: Weil der "Migrationshintergrund" für viele, die er beschreibt, nicht positiv oder neutral klingt, sondern eher als das Merkmal einer Problemgruppe wahrgenommen wird. Das kommt daher, dass zumeist in problematischen Zusammenhängen vom Migrationshintergrund die Rede ist, etwa in Debatten um Kriminalität, gescheiterte Integration, mangelnde Bildungschancen oder sozial benachteiligte Menschen aus Einwandererfamilien.
Was assoziieren Sie mit "Migrationshintergrund"?
Besonders schön ist das Wort nicht. In der deutschen Sprache ist "Migration" ursprünglich ein Begriff aus der Tierwelt, wie Dr. Asiem El Difrauoui in einem Artikel in unserem Blog geschrieben hat. Die Kombination mit dem "Hintergrund" suggeriert zudem wenig Offenheit. Ein Hintergrund hat etwas Nebulöses, Schattenhaftes und klingt nicht nach einer interessanten Familiengeschichte, sondern mehr wie ein Malus. Wenn ich mir das bildlich vorstelle, ist das eine dunkle, verschlissene Theaterkulisse, die man lebenslang hinter sich herschleppt.
Brauchen wir überhaupt noch einen Begriff wie „Migrationshintergrund“?
Nein, wir brauchen den Begriff nicht, aber viele andere brauchen ihn. Die meisten Teilnehmer in unserem Workshop "Was heißt hier Migrationshintergrund?" hätten diese Kategorisierung in Menschen mit und ohne Migrationshintergrund auch gern gänzlich abgeschafft. Aber weder im akademischen Betrieb, noch in Verwaltung, Statistik und in den Medien werden wir ohne diesen Begriff auskommen. Wenn zum Beispiel Schulen mit einem bestimmten Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund finanzielle Unterstützung bekommen, muss man sie benennen können. Und wenn es dieses Wort schon geben muss, dann wollen wir es selbst bestimmen und positiv besetzen. Auch wenn die Gefahr besteht, dass es in einigen Jahren vielleicht ebenso negativ konnotiert sein wird. Dann müssen wir eben nochmal ran.
Zu den Ergebnissen: Was hat der Workshop als Ersatzbegriff vorgeschlagen?
Wir haben in dem Workshop "Was heißt hier Migrationshintergrund" intensiv mit zwanzig Heidelberger Bürgern – etwa 90 Prozent mit "Migrationshintergrund" – diskutiert, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven an die Sache herangegangen sind. Wir waren uns lange nicht einmal einig darüber, was wir hervorheben sollten: Sozialisation oder Kultur? Wir haben zum Beispiel auch über "Menschen mit heterogener/exogener Sozialisation" diskutiert, aber es ging ja darum, eine Bezeichnung zu finden, die weniger abstrakt als "Migrationshintergrund" klingt. "Divers" klingt zum Beispiel schön neutral und lehnt noch dazu an Diversity, also Vielfalt an. So konnten die meisten Teilnehmer sich in der Schöpfung "Diverskulturelle" wiederfinden, abgekürzt "Dikulturelle".
Gab es andere Optionen?
Für eine andere Gruppe war es wichtig, gar nicht von Kultur zu sprechen, sondern einfach die eigene Geschichte in den Vordergrund zu stellen, verbunden mit ihrer Internationalität. So ist zunächst der Begriff "Menschen mit internationaler Familiengeschichte" entstanden und um alle einzuschließen, die ohne Familie nach Deutschland eingewandert sind, wurde daraus "Mensch mit internationaler Geschichte".
Hat der Workshop aus Ihrer Sicht sein Ziel erreicht?
Wir sind recht zufrieden mit den Ergebnissen. Er ist für uns aber vor allem als Beginn eines Prozesses zu verstehen, in dem wir den Migrationshintergrund als Begriff in Frage stellen. Insbesondere wollen wir eine Debatte darüber anstoßen, warum die internationale Geschichte eines Menschen, egal wie man sie nennt, überhaupt zu einem problembesetzten Merkmal wird.
Was soll nun mit den Ergebnissen des Workshops geschehen?
Der Plan ist, dass die Stadt Heidelberg die Begriffe in den nächsten Monaten weiter diskutiert und in ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Kontext der Gründung des International Welcome-Centers übernimmt. Um sie auf Tauglichkeit und für die praktische Verwendung an relevanten Stellen abzuklopfen, wäre unser Wunsch, im Herbst ein vertiefendes Arbeitsmeeting zu machen, mit Vertretern der Stadtgesellschaft, der Verwaltung, Mitarbeitern des Welcome-Centers, aber auch mit Journalisten der ansässigen Medien und Jagoda Marinic, der Leiterin des Interkulturellen Zentrums, die das Projekt initiiert hat. Besonders wichtig ist natürlich weiterhin, dass die Heidelberger Bürger einbezogen werden. Und wenn wir die Stadt in dieser Breite mitnehmen können, dann gibt es in Heidelberg demnächst keine Migrationshintergründler mehr, sondern vielleicht nur noch Diverskulturelle und Menschen mit internationaler Geschichte. Oder wir einigen uns auf andere, ganz neue Begriffe.
Konstantina Vassiliou-Enz ist Journalistin und Geschäftsführerin der Neuen deutschen Medienmacher (NdM), einem Zusammenschluss von Medienschaffenden mit und ohne Einwanderungsgeschichte, die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen. Sie ist Rundfunkjournalistin und Radiomoderatorin, aktuell bei radioeins vom rbb, und leitet verschiedene Projekte zur Förderung differenzierter Berichterstattung und medialer Integration. Foto: rbb
Interview: Fabio Ghelli
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