Frau Wehling, in Ihrem Buch über "Politisches Framing" kritisieren Sie den Gebrauch des Wortes "Islamophobie". Warum?
Elisabeth Wehling: Islamophobie ist, wie Homophobie, ein ganz schlechter Frame. Eine Phobie ist eine Angststörung, die zu panischen Reaktionen führt. Der Begriff blendet aus, dass Ausgrenzung und Herabwürdigung selten aus einem Affekt heraus geschehen, sondern meist Ausdruck von bewussten Haltungen sind. Das ideologische Konzept, das dahinter steht, ist die Idee eines gesellschaftlichen Antagonismus: Die passen nicht zu uns, die gehören nicht hierher. Diese Haltung führt zu bestimmten Handlungen.
Manche Wissenschaftler sprechen lieber von "antimuslimischem Rassismus". Ist das ein besserer Begriff?
Es gibt ja eine ganze Reihe von Gruppen, die angefeindet, systematisch ausgegrenzt oder unterdrückt werden. Dazu gehören Schwarze in den USA, da nennt man es Rassismus. Bei Frauen ist es Sexismus. Ich weiß nicht, ob man den Begriff des Rassismus übertragen sollte auf Gruppen, die wegen ihrer Religion angefeindet werden. Ich denke, dafür sollte es einen eigenen Begriff geben, weil es ein eigenes Phänomen ist.
Dr. ELISABETH WEHLING ist Sprach- und Kognitionsforscherin aus Hamburg. Sie lehrt am International Computer Science Institute (ISCI) der Universität Berkeley in Kalifornien, USA. 2016 erschien ihr Buch über "Politisches Framing", das ein großes Medienecho fand. Foto: elisabethwehling.com
Was schlagen Sie vor?
Alles, was die jeweilige Aktivität in den Vordergrund stellt: also Ausgrenzung, Abwertung, Hassrede oder Hetze. Ich würde für einen weiter gefassten Begriff plädieren und von Hetze sprechen, von Hetze gegen eine religiöse Minderheit. Denn wenn wir von Islamfeindlichkeit und Islamhass sprechen, lenken wir davon ab, dass meist ganz konkrete Menschen davon betroffen sind und nicht eine Religion.
Viele ziehen sich auf den Standpunkt zurück, sie übten bloße "Islamkritik". Wie begegnet man dem Argument?
Ja, das ist sehr beliebt. Aber man kann den Islam gar nicht kritisieren.
Kann man nicht?
Kritik kann man an einem Sachverhalt üben. Ich sehe den so, andere sehen den anders. Man kann kritisieren, dass es Menschen gibt, die an Religionen glauben. Oder bestimmte Aspekte einer Religion. Aber eine Religion an sich kann man nicht kritisieren. Was soll denn das Äquivalent sein? Judentumskritik, Buddhismuskritik? Ich würde deshalb auch nicht von Islamkritik sprechen.
Trotzdem hat sich das Wort "Islamkritik" eingebürgert, es steht sogar im Duden. Was bedeutet das?
Dass sich ein Wort zunehmend durchsetzt. Das merken Sie auch daran, dass es plötzlich in ganz vielen grammatikalischen Formen auftritt. "Islamkritisch" als Adjektiv zum Beispiel. Dann heißt es, jemand ist "islamkritisch" eingestellt, und keiner fragt mehr: Was heißt denn das?
Der Begriff "islamkritisch" wurde anfangs sogar für Pegida und den radikal antimuslimischen Rechtspopulisten Geert Wilders verwendet. Ist das symptomatisch?
Ja, das ist eine Verharmlosung. Das, was "Islamkritik" genannt wird, läuft meist darauf hinaus, die Religion verantwortlich zu machen für alle Dinge, die in ihrem Namen getan werden. Das spiegelt sich auch in Begriffen wie "islamistischer" Terror wieder. Manche reden sogar von "islamischem Terror". Damit etabliert man eine Interpretation der gesamten Religion, die sie per se in die Nähe von Gewalt rückt. Das halte ich für problematisch.
Je mehr man sich über Provokationen von Rechtspopulisten empört, desto mehr verschafft man ihnen Aufmerksamkeit. Manchmal kann man sich aber auch schlecht nicht empören. Wie kommt man aus diesem Dilemma raus?
Das stimmt, es ist ein Dilemma. Sie können sich aber faktisch empören, ohne sich in die Frames ihrer Gegner einzukaufen. Nehmen Sie den Begriff "Fake News". Trump hat den Begriff erfunden und in die Debatte eingeführt. Und viele Medien verteidigen sich, indem sie sagen: Wir sind keine "Fake News". Sie sind aber nicht gezwungen, solche Begriffe aufzugreifen. Sie können darüber sprechen, dass der US-amerikanische Präsident ein Problem mit offener und transparenter Berichterstattung hat. Sie müssen Debatten nicht aus dem Weg gehen. Aber sie müssen zusehen, dass sie ihre eigenen Deutungsmuster sprachlich umsetzen.
Ein weiteres Beispiel: Wenn die AfD von einer "Flüchtlingswelle" oder gar von "Invasoren" spricht, dann sollte man sagen, "Ich finde, das sind Menschen auf der Flucht, die sollten bei uns erst einmal ein Obdach bekommen". Alles andere hieße, die eigenen moralischen Prämissen und die eigenen Handlungsvorschläge im Dunkeln zu lassen.
Selbst Leitmedien fällt es manchmal schwer, sich bestimmten Frames zu entziehen. Was können Journalisten tun?
Als Einzelkämpfer hat man mit seiner Kommunikation und seiner Sprache immer einen begrenzten Radius. Diesen Radius kann man so gut wie möglich nutzen und sich in seiner Sprache möglichst ehrlich und transparent machen, indem man zeigt, wofür man steht. Denn Sprache spiegelt immer den eigenen Standpunkt wider. Als Gruppe hat man natürlich mehr Gewicht, wenn man sagt: "Wir sprechen jetzt so, wie wir es meinen. Und wir sprechen nicht mit den Schlagworten, die uns hingeworfen werden".
Interview: Daniel Bax
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