Dieser Artikel ist ursprünglich am 9.12.2022 erschienen und wurde am 15.01.2024 aktualisiert.
Die Bundesregierung will mit einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts Einbürgerungen schneller möglich machen. Wer einen deutschen Pass beantragt, soll außerdem nicht mehr seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssen. Der Bundestag soll das Gesetz an diesem Freitag verabschieden. In Kraft treten könnten die Neuregelungen dann drei Monate nach Verkündung des Gesetzes.Quelle
Der Gesetzesentwurf sieht folgende wichtige Neuerungen vor:
- Die für die Einbürgerung erforderliche Aufenthaltsdauer in Deutschland soll von derzeit acht auf fünf Jahre verkürzt werden.
- Bei "besonderen Integrationsleistungen" soll eine Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein, etwa wenn sich jemand ehrenamtlich engagiert oder besonders gute schulische, berufsqualifizierende oder berufliche Leistungen vorweisen kann.
- Mehrstaatigkeit soll künftig akzeptiert werden: Wer sich in Deutschland einbürgern lässt, muss also künftig nicht mehr die bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben. Bisher galt dies nur für einen bestimmten Personenkreis.
- Bei Menschen, die der so genannten Gastarbeitergeneration angehören, soll auf die schriftlichen Sprachnachweise auf B1-Niveau verzichtet werden. Stattdessen soll ausreichen, wenn sie sich mündlich "ohne nennenswerte Probleme im Alltagsleben" auf Deutsch verständigen können. Damit soll die Lebensleistung dieser Generation gewürdigt werden, für die es damals noch keine Sprachkurse gab. Auch die Verpflichtung zu einem Einbürgerungstest entfällt. Diese Regelung soll ebenso für Vertragsarbeiter*innen aus der ehemaligen DDR gelten.
- Kinder, die in Deutschland geboren werden, können automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, wenn ein Elternteil seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland ist.
- Als weitere Einbürgerungsvoraussetzung kommt das Bekenntnis zur historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens hinzu. Sowohl dieses Bekenntnis als auch das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung sollen zudem keine formellen Voraussetzungen sein (etwa lediglich eine Unterschrift), sondern müssen inhaltlich richtig sein. Konkret bedeutet dies, dass die Einbürgerungsbehörden sich Gewissheit über die inhaltliche Richtigkeit verschaffen sollen und dass bei inhaltlicher Unrichtigkeit auch eine Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 StaG möglich sein soll. Wie das in der Praxis umsetzbar sein soll, ist zweifelhaft, sagt die Antisemitismus-Expertin Kati Lang im MEDIENDIENST-Interview.
- Personen, die antisemitische oder rassistische Straftaten begangen haben, sollen von der Einbürgerung ausgeschlossen sein. Das ist bereits Gesetzeslage, der aktuelle Entwurf sieht aber für die Umsetzung dieses Ausschlusses eine engere Zusammenarbeit der Einbürgerungsbehörden mit den Staatsanwaltschaften vor. Außerdem sollen antisemitische und rassistische Handlungen auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle die Einbürgerung ausschließen.
- Die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts soll weiter Voraussetzung für eine Einbürgerung sein. Bisher war diese trotz Sozialhilfebezug möglich, wenn jemand die Inanspruchnahme der Leistungen nicht zu vertreten hatte. Das fällt nun weg. Ausnahmen soll es nur für „Gastarbeiter“, Vollzeitarbeitende und Ehepartner eines Vollzeitarbeitenden mit minderjährigen Kindern geben. An der Verfassungsmäßigkeit dieser Neuregelung gibt es Zweifel. Wer nicht zu den Ausnahmen gehört, für den kommt nur eine "Ermessenseinbürgerung" über die Härtefallregelung in Frage. Diese Regelung soll laut einem Antrag der Koalitionsfraktionen unter anderem für Rentenbezieher*innen, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende und pflegende Angehörige genutzt werden.
- Nach dem Wunsch der Ampel-Fraktionen soll das Innenministerium außerdem die Einbürgerungsbehörden dafür sensibiliseren, die Besonderheiten im Einbürgerungsrecht für Staatenlose stärker zu berücksichtigen.
Zahlen und Fakten zum Thema Einbürgerungen in Deutschland
Wie viele Ausländer*innen haben die deutsche Staatsangehörigkeit erworben? Wie viele haben das nicht getan – und warum? Der MEDIENDIENST beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema Einbürgerung.
Wer kann sich einbürgern lassen?
Ausländer*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben möchten, müssen bisher verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Einen Anspruch auf Einbürgerung hat, wer:
- seit acht Jahren dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebt,
- sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennt,
- zum Zeitpunkt der Einbürgerung ein unbefristetes oder auf Dauer angelegtes Aufenthaltsrecht hat,
- seinen Lebensunterhalt eigenständig sichern kann,
- über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt,
- nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist und
- den "Einbürgerungstest" bestanden hat (hier gibt es Ausnahmeregelungen),
- seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt (auch hier gibt es Ausnahmeregelungen).
Für Antragsteller*innen, die nicht alle Voraussetzungen erfüllen, gibt es die Möglichkeit einer "Ermessenseinbürgerung". In diesen Fällen muss die Einbürgerungsbehörde entscheiden, ob ein "öffentliches Interesse" an der Einbürgerung besteht und einige Mindestanforderungen erfüllt sind.
Die Einbürgerung kostet 255 Euro für Erwachsene und 51 Euro für minderjährige Kinder, die zusammen mit ihren Eltern eingebürgert werden.
Was sind die Vorteile einer Einbürgerung?
Ausländer*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle deutsche Staatsbürger*innen. Sie können an allen Wahlen (Bundes-, Landestags- und Kommunalwahlen sowie Volksentscheiden) teilnehmen und selbst für politische Ämter kandidieren. Sie können in allen Ämtern der Bundesrepublik arbeiten – zum Beispiel bei der Polizei oder bei der Bundeswehr. Sie können mit dem deutschen Pass visafrei in viele Länder der Welt einreisen und genießen das Recht auf EU-Freizügigkeit – das heißt: sie können in alle sogenannte Schengen-Länder einreisen und sich dort aufhalten.
Wie viele Menschen lassen sich einbürgern?
Rund 168.500 Menschen wurden im Jahr 2022 in Deutschland eingebürgert. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Einbürgerungen damit um rund 28 Prozent (36.900 Personen). Den größten Anteil an Einbürgerungen machten syrische Staatsangehörige aus (rund 48.300 Menschen). Von ihnen konnten rund 13.900 Personen schon nach sechs Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit "aufgrund besonderer Integrationsleistungen" erwerben. Ein weiterer Grund für den Anstieg der Einbürgerungszahlen waren ukrainische Staatsangehörige: 2021 gab es rund 1.900 Einbürgerungen von Ukrainer*innen, 2022 waren es rund 5.600.Quelle
Die häufigsten Herkunftsländer der Eingebürgerten im Jahr 2022 waren:
- Syrien: Rund 48.300 Einbürgerungen (Plus 153 Prozent im Vergleich zum Vorjahr)
- Türkei: Rund 14.200 Einbürgerungen (Plus 16 Prozent)
- Irak: Rund 6.800 Einbürgerungen (Plus 54 Prozent)
- Ukraine: Rund 5.600 Einbürgerungen (Plus 191 Prozent)
Zwischen 2000 und 2020 wurden insgesamt mehr als 2,7 Millionen Menschen in Deutschland eingebürgert. Mehr als 700.000 von ihnen waren Türk*innen.
Wie viele könnten sich einbürgern lassen?
Wer die Kriterien für eine Einbürgerung erfüllt, ist statistisch nur schwer zu erfassen. Das Statistische Bundesamt geht deshalb vereinfachend von der Annahme aus, dass ausländische Staatsbürger*innen, die seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben, eingebürgert werden könnten.
Ende 2022 waren das laut Ausländerzentralregister (AZR) rund 5,3 Millionen Menschen. Im Jahr 2022 wurden allerdings nur 168.500 Personen eingebürgert. Das "ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial" liegt daher lediglich bei rund 3,1 Prozent.Quelle
Wie ist die Situation in anderen EU-Ländern?
Im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten ist der Anteil von Ausländer*innen, die sich in Deutschland einbürgern lassen, relativ gering.
Das liegt daran, dass die Voraussetzungen, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, relativ streng sind. Zum einen ist die Aufenthaltszeit vor Einbürgerung vergleichsweise lang – in der Mehrheit der Länder weltweit liegt sie bei fünf Jahren oder weniger. Zum anderen müssen Antragsteller*innen überdurchnittlich viele Kriterien erfüllen (s. Tabelle).
Warum gibt es so wenige Einbürgerungen?
Schon seit vielen Jahren betonen Expert*innen, dass Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben möchten, zu hohe Hürden überwinden müssen. Dadurch würde ein erhebliches Einbürgerungspotential ungenutzt bleiben. Ein weiterer Grund, weshalb viele Ausländer*innen bisher auf eine Einbürgerung verzichtet haben ist, dass sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssen. Das betrifft vor allem Einwanderer*innen aus der Türkei: Die Zahl der türkischen Staatsbürger*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Laut einer Studie des "Maastricht Centre für Citizenship" gehört Deutschland zu einer Minderheit von Staaten, die die doppelte Staatsangehörigkeit nur in Einzelfällen zulassen: In 76 Prozent der Länder weltweit wird inzwischen die doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell zugelassen.
Wie das anders gehen kann, sieht man anhand des Beispiels Schwedens: "Schweden hat eine sehr liberale Einbürgerungspolitik", sagt Swantje Falcke, Migrationsforscherin an der Universität Utrecht. Eingebürgerte Ausländer*innen dürfen ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten. Sie können die schwedische Staatsangehörigkeit schon nach fünf Jahren beantragen – ohne spezifische Voraussetzungen wie etwa Sprach- oder Wissenstests. Das führe zur höchsten Einbürgerungsquote in Europa: knapp neun Prozent.
Fördert Einbürgerung die Integration?
Sollte das Anrecht auf die Staatsbürgerschaft eine Art "Belohnung" für gelungene Integration sein - und erst am Ende des Prozesses stehen, wie einige fordern? Oder kann der Pass des neuen Heimatlandes Integration sogar beschleunigen? "Einbürgerung ist oft ein Katalysator für Integration", sagt Niklas Harder vom Deutschen Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung (DeZIM).
Studien zeigen einen solchen Zusammenhang: So führte die Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland laut einer Untersuchung der Humboldt Universität und Universität Heidelberg dazu, dass die Integrationsanreize für Zuwanderer*innen stiegen. Vor allem bei Migrantinnen gab es positive Arbeitsmarkteffekte nach der Einbürgerung: Ihr durchschnittliches Arbeitseinkommen stieg, die Arbeitsbedingungen verbesserten sich, sie waren außerdem häufiger erwerbstätig und arbeiteten mehr Stunden pro Woche. "Diejenigen, die vorher benachteiligt waren, profitierten am meisten von der Einbürgerung", sagt Harder.
Ähnliche Effekte konnten Forscher*innen in den Niederlanden und der Schweiz nachweisen. In den Niederlanden haben Forscher*innen fesgestellt, dass die Perspektive einer zügigen Einbürgerung Ausländer*innen motiviert, Sprach- und Fachkenntnisse für das Berufsleben zu erwerben.
In der Schweiz haben Forscher*innen im Rahmen eines Experiments Gemeinden ausgewählt, in denen per Volksabstimmung über Einbürgerungsanträge entschieden wurde. Sie schauten sich die Personen an, die entweder knapp abgelehnt oder knapp ausgewählt wurden. Die Personen, die einen Schweizer Pass erhielten, verdienten in den folgenden 15 Jahren im Durchschnitt im Jahr 5000 US-Dollar mehr. Eine andere Studie kommt zum Ergebnis, dass die Eingebürgerten auch politisch integrierter waren als die Vergleichsgruppe: Ihre Wahlbeteiligung war deutlich höher und sie waren informierter.
Von Cordula Eubel und Fabio Ghelli
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