Wenn es um Fluchtmigration aus Afrika geht, steht Italien oft im Fokus. Denn Personen, die aus Nordafrika Europa erreichen möchten, nutzen mehrheitlich die zentrale Mittelmeer-Route, die nach Italien führt. 2023 kamen die meisten von ihnen ursprünglich aus Bangladesch, Syrien, Tunesien und Guinea. Die Zahl der Personen, die Italien über diese Route erreichen, schwankt massiv von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr: Nach einem starken Anstieg 2022-2023 ging sie in den vergangenen vier Monaten deutlich zurück.
In der italienischen Politik wird das Thema Migration meistens im Hinblick auf Grenzpolitik, Seenotrettung oder die Aufnahme von Geflüchteten behandelt. In den vergangenen Jahren war oftmals von einem erhöhten „Migrationsdruck“ (pressione migratoria) die Rede. Die Daten zeigen allerdings: Sowohl die Zahl der Ausländer*innen als auch die der im Ausland geborenen Personen (foreign born) ist in den vergangenen zehn Jahren nicht signifikant gestiegen.
Geflüchtete spielen eine geringere Rolle in der ausländischen Bevölkerung als oft angenommen: Von den rund 6,4 Millionen „foreign borns“ kommen rund die Hälfte aus europäischen Ländern – ein Viertel aus einem Land der Europäischen Union. Die Top-4 Nationalitäten sind Rumänien (etwa 902.000 Personen), Albanien (534.000), Marokko (473.000) und China (235.000).
Einwanderer*innen spielen eine wichtige Rolle im italienischen Arbeitsmarkt. Die rund 2,4 Millionen ausländische Beschäftigte machen mehr als 10 Prozent aller Beschäftigten aus. Die Beschäftigungsquote liegt für Ausländer*innen bei 60,6 Prozent (0,5 Prozentpunkte höher als bei Italiener*innen). Ausländer*innen sind besonders im Niedriglohnsektor und als Geringqualifizierte tätig.
Europawahl: Die Wahl spaltet die Regierungskoalition
Die italienische Parteienlandschaft ist traditionell sehr heterogen mit zahlreichen Parteien, die breite Wahlbündnisse schmieden. Die aktuelle Regierungskoalition besteht aus drei Hauptparteien: „Fratelli d’Italia“, „Lega“ und „Forza Italia“. Die Partei von Regierungschefin Giorgia Meloni, „Fratelli d’Italia“ ist die stärkste Partei im italienischen Parlament mit 26 Prozent der Wähler*innenstimmen.
Alle Parteien beklagen eine zu geringe Solidarität unter EU-Mitgliedstaaten, wenn es darum geht, Schutzsuchende und Migrant*innen zu verteilen. Italien gilt als erster Einreisestaat für viele Asylbewerber*innen – und sollte somit laut Dublin-III-Verordnung für ihre Asylanträge zuständig sein. Viele der Migrant*innen und Geflüchtete, die die italienischen Küsten erreichen, reisen jedoch in andere EU-Länder weiter. Verteilungsmechanismen haben bis jetzt nur bedingt funktioniert.
Die Parteien von Melonis Regierungskoalition stehen für eine strenge Migrationspolitik, engmaschige Grenzkontrollen und eine allgemeine Einschränkung von irregulärer Zuwanderung. Innerhalb der Koalition gibt es allerdings erhebliche Unterschiede. Matteo Salvinis „Lega“ (teil der „Identität und Demokratie“-Fraktion des Europäischen Parlaments) verfolgt eine strenge Anti-Einwanderungspolitik mit starkem Bezug zur „Europäischen Identität“ – nach dem Muster von anderen Parteien der Fraktion wie etwa dem französischen Rassemblement National und der niederländischen PVV. Obwohl sie vor wenigen Jahren ähnliche Töne anschlug, hat sich Regierungschefin Meloni inzwischen in ihren Äußerungen zum Thema deutlich gemäßigt.
Auch in der Regierungspolitik gibt es scheinbar Widersprüche. Einerseits hat Italien die Regeln für Seenotrettung verschärft – und dadurch die Arbeit von Rettungsschiffen im Mittelmeer deutlich erschwert.
Andererseits will die Regierung viel mehr Arbeitsmigrant*innen nach Italien holen. Allein für 2024 hat die Regierung mehr als 150.000 Aufenthaltserlaubnisse für Drittstaatsangehörige vorgesehen. In vielen Fällen ermöglichen sie Personen, die schon länger irregulär in Italien arbeiten und leben, ihren Aufenthaltsstatus zu regularisieren. Der Bedarf nach ausländischen Arbeitskräften geht jedoch weit über die vorgegebenen Quoten hinaus: Innerhalb weniger Tage haben italienische Arbeitgeber rund 690.000 Aufenthaltserlaubnisse für Arbeitskräfte gestellt – fast fünfmal mehr als per Gesetz vorgesehen.
Das Thema legale Migration steht auch im Mittelpunkt für die größte Oppositionspartei, Partito Democratico (PD). Auch die PD fokussiert sich in ihren Richtlinien zum Thema Migration weitestgehend auf die Themen Fluchtmigration, Grenzpolitik und Seenotrettung.
Die Debatte um Migration
Einer der zentralen Punkte von Melonis Migrationspolitik sind die Beziehungen zu Drittstaaten. Im Sommer 2023 hat die italienische Regierung ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und der tunesischen Regierung in die Wege geleitet. Dadurch verpflichtet sich Tunesien, die Migrationsrouten stärker zu kontrollieren. Das Abkommen wurde von Flüchtlingshilfsorganisationen aufgrund zahlreicher Menschenrechtsverletzungen in Tunesien vehement kritisiert. Die Meloni-Regierung strebt weitere Abkommen mit anderen afrikanischen Ländern an.
Im November 2023 hat die italienische Regierung ein weiteres Abkommen mit Albanien unterschrieben. Demnach verpflichtet sich das Balkanland dazu, Migrant*innen und Geflüchtete, die in internationalen Gewässern aufgefangen werden, aufzunehmen. Schutzsuchende sollen in Albanien einen Asylantrag nach italienischem und EU-Asylgesetzt stellen können. Das Abkommen ist sehr umstritten, denn es bestehen Zweifel über die rechtliche Umsetzung sowie darüber, wie Migrant*innen und Geflüchtete in Albanien untergebracht – und später nach Italien übermittelt oder zurückgeführt werden sollen.
Während die Drittstaaten-Lösung von allen Regierungsparteien unterstützt wird, sind diese in anderen zentralen migrationspolitischen Fragen uneinig. So unterstützen Meloni und die Verbündeten von „Forza Italia“ die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems als wichtigen Fortschritt in der europäischen Asylpolitik. Die Gruppe ihrer Koalitionspartner*innen der „Lega“ im EU-Parlament hat sich hingegen gegen das Reformpaket gestellt.
Wie stark die italienische Politik und Öffentlichkeit sich mit dem Thema Migration auseinandersetzen, hängt maßgeblich von der Nachrichtenlage ab. Dadurch, dass weniger Migrant*innen und Geflüchtete über das Mittelmeer in Italien ankommen, spielt das Thema derzeit offenbar keine zentrale Rolle in der politischen Debatte. Das Thema Migration wird laut dem Eurobarometer im März 2024 nur von 17 Prozent der Befragten in Italien als Priorität angesehen – deutlich unter dem europäischen Durchschnitt (24 Prozent). Italiener*innen sehen tendenziell Einwanderung als Problem. Obwohl der italienische Arbeitsmarkt offenbar auf Einwanderung angewiesen ist, ist der Anteil der Italiener*innen, die Einwanderung als Problem ansehen deutlich höher als in anderen europäischen Ländern.
Von Fabio Ghelli
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.