Die Reform des Asylrechts, welche die Bundesregierung infolge der „Flüchtlingskrise“ in die Wege geleitet hat, geht in die entscheidende Runde: Nachdem es nun vom Bundeskabinett beschlossen wurde, soll das sogenannte „Asyl-Beschleunigungsgesetz“ schon am 15. Oktober vom Bundestag verabschiedet werden.
Dem Plan der Regierung zufolge soll das Asylrecht in folgenden Eckpunkten reformiert werden:
- Ausreisepflichtige Flüchtlinge und diejenigen, die im Rahmen der geplanten EU- Verteilungsquote einem anderen EU-Staat zugeteilt wurden, sollen keine Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Unterbringung, Kleidung, Essen) mehr erhalten.
- Asylbewerber sollen in den Erstaufnahmeeinrichtungen keine Geldleistungen, sondern flächendeckend Sachleistungen erhalten. Damit sollen vermeintliche Fehlanreize vermieden werden.
- Der Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen wird von drei auf sechs Monate erhöht, bei Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ bis zum Ende des Asylverfahrens.
- Albanien, Kosovo und Montenegro sollen auf die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ gesetzt werden.
- Asylbewerber aus „sicheren Herkunftsstaaten“ sollen in separaten Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden („Aufnahme- und Rückführungslager“).
- Ausländerbehörden sollen eine „Duldung“ (Aussetzung der Abschiebung) nur noch für maximal drei statt bislang sechs Monate aussprechen können.
- Die Abschieberegelungen sollen verschärft werden.
Gewerkschaften, Vereine und Menschenrechtsorganisationen von PRO ASYL über die DGB bis hin zur Evangelischen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz haben das Gesetzesvorhaben kritisiert.
Auch der Rat für Migration (RfM), ein bundesweiter Zusammenschluss von Migrationsforschern, hat sich nun in die Debatte eingeschaltet und das Gesetzesvorhaben in einem Positionspapier bewertet. „Der aktuelle Plan der Bundesregierung zur Reform des Asylrechts setzt eine Politik fort, die in erster Linie auf Abschottung basiert“, sagt Werner Schiffauer, Ethnologe und RfM-Vorsitzender. „Damit verschlechtert sie nicht nur die Situation der Flüchtlinge, sondern erstickt auch die Bereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv für Schutzsuchende einzusetzen“.
Zwar wurden im Rahmen des aktuellen Reformplans Maßnahmen beschlossen, die Migrationsforscher schon seit Langem fordern: unter anderem eine monatliche „Flüchtlingspauschale“ für die Unterbringung und Versorgung in den Bundesländern sowie die Möglichkeit, Menschen aus Südosteuropa ein Arbeitsvisum zu gewähren.
Kern des Reformpakets seien jedoch Gesetzesänderungen, die die Aufnahme von Flüchtlingen restriktiv gestalten. Auch das Ziel, die Asylverfahren zu beschleunigen wird dabei verfehlt, sagt Migrationshistoriker Jochen Oltmer. „Der Maßnahmenkatalog wirkt widersprüchlich: Einerseits soll die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen entbürokratisiert werden, andererseits sind Maßnahmen zur Kontrolle von Flüchtlingen vorgesehen, die letztendlich eine stärkere Belastung und mehr Kosten für die Behörden in den Ländern und Kommunen bedeuten.“
Der Rat für Migration sieht in den steigenden Flüchtlingszahlen nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance, die Migrationspolitik grundsätzlich neu auszurichten. Der RfM stellt zehn Forderungen für eine zukunftsfähige Flüchtlingspolitik:
- Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Irak erhalten eine Aufenthaltserlaubnis, die der Schutzgewährung nach der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, ohne dass eine Einzelfallprüfung stattfinden muss.
- Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt deutlich mehr Mitarbeiter ein, gewährleistet durch Supervision die Qualität der Arbeit und wird von unnötigen Aufgaben wie der Überprüfung und Verhängung von Wiedereinreisesperren befreit.
- Initiativen aus der Zivilgesellschaft werden gefördert. Die geplante Unterstützung dieser Initiativen durch 10.000 neue Stellen im Bundesfreiwilligendienst ist deshalb zu begrüßen. Dies entbindet den Staat jedoch nicht von der Wahrnehmung seiner Aufgaben.
- Legale Einwanderungswege nach Europa öffnen: Menschen aus Krisengebieten müssen in ihren Heimatländern die Möglichkeit erhalten, Visa zu beantragen, um Schutz in Europa zu finden.
- Das aktuelle Dublin-System wird ausgesetzt, bis eine europäische Lösung in Sicht ist, die den Menschenrechtsstandards Rechnung trägt. Bei der Umsetzung der EU-Verteilungsquote müssen Flüchtlinge in die Entscheidung einbezogen werden, etwa wenn Familienangehörige in einem bestimmten EU-Land leben.
- Im Ausland erworbene Berufsabschlüsse werden schneller anerkannt und alle bestehenden Hindernisse beim Zugang zum Arbeitsmarkt (z.B. Vorrangprüfung) abgeschafft. Asylbewerber erhalten die Möglichkeit, ihren Status zu wechseln, um ein Arbeitsvisum zu beantragen.
- Flüchtlinge aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten werden nicht unterschiedlich behandelt: Durch ein faires, effizientes und schnelles Verfahren sollen Asylbewerber unabhängig von ihrem Herkunftsland möglichst schnell Gewissheit über ihre Zukunft haben.
- Die beschleunigte Bearbeitung von Anträgen mit hohen beziehungsweise sehr niedrigen Erfolgschancen darf nicht zulasten anderer Flüchtlingsgruppen gehen. Asylbewerber, die schon lange auf eine Entscheidung ihres Antrags warten, müssen prioritär behandelt werden (Altfall- Regelung).
- Asylsuchende werden so schnell wie möglich in Wohnungen untergebracht. Eine private Wohnsitznahme wird erleichtert und gefördert, um eine schnelle Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen.
- Geflüchtete Kinder und Jugendliche werden zügig und unbürokratisch in das reguläre Schulsystem integriert. Grundsätzlich gilt für alle neuen Regelungen: Das Kindeswohl muss Vorrang haben.
Von Fabio Ghelli
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