Ihre Zahl ist überraschend hoch: Rund 20.000 Migrantenorganisationen gibt es in Deutschland, so schätzt die Bundesregierung in einer Publikation. Bislang haben sich diese eingetragenen Vereine oder Dachverbände entweder über eine ethnische Zugehörigkeit definiert, wie der Bund der spanischen Elternvereine, der Zentralrat der Serben in Deutschland und die Türkische Gemeinde Deutschland. Oder sie organisieren sich unabhängig vom Herkunftsland, wie etwa im "Bundesverband ausländischer Studierender" oder im "Bundeszuwanderungs-und Integrationsrat".
Doch es ändert sich gerade etwas. Die zweite und dritte Generation schließt sich zwar immer noch über das Merkmal "Migrationshintergrund" zusammen und hat in den vergangenen Jahren entsprechende Organisationen und Initiativen gegründet. Doch sie definiert sich nicht mehr als Ausländer oder Einwanderer. Vielmehr bezeichnen sie sich schon im Vereinsnamen als Deutsche. Sie verorten sich damit anders als ihre Elterngeneration und machen einen neuen Anspruch auf Mitsprache deutlich.
Wer sind die neuen deutschen Organisationen? Wir haben einige Beispiele für Sie zusammengestellt:
Deutschplus
Deutschplus – besteht aus Schriftstellern, Filmemachern, Wissenschaftlern, Unternehmern und vielen anderen, die sich 2010 als junge "Initiative für eine pluralistische Gesellschaft" zusammengeschlossen haben. Der Verein organisiert unter anderem Hintergrundgespräche mit Politikern. Die aktiven Mitglieder bauen ein breites Netzwerk auf, damit die Erfolgreichen unter ihnen nicht nur Vorbilder werden, sondern auch anderen dabei helfen, es ihnen gleich zu tun. Und sie haben einen "Wissenschaftspool" gegründet, der für neue Denkanstöße sorgen soll.
Deutscher.Soldat.
Die Kombination aus "Deutscher" und "Soldat" klingt zunächst wie ein nationalistischer Verein und überrascht, wenn man die Gesichter auf der Startseite im Internet sieht. Schwarze und andere "People of Colour" in Bundeswehr-Uniform. Dieser Effekt ist gewünscht. Hauptmann Ntagahoraho Burihabwa bezeichnet die Gründung des Vereins als Reaktion auf die Sarrazin-Debatte. Die Mitglieder wollen Menschen außerhalb der Bundeswehr zum Nachdenken darüber anregen, was Deutschsein bedeutet. Die Initiative startete bereits 2010, wurde jedoch erst Anfang 2013 durch Berichte in der Zeit und anderen Medien bekannt.
Typisch Deutsch
Sie lehnen den Begriff "Integration" ab: Jugendliche und junge Erwachsene aus Berlin haben 2010 unter dem Namen "typisch deutsch" einen Verein gegründet, der zeigen soll, wie unterschiedlich Deutschsein gelebt werden oder aussehen kann. Über soziale Medien wie facebook, Twitter oder Videos auf Youtube vernetzen sie sich und halten sich auf dem Laufenden. In ihrer Kolumne kommentieren die Typischdeutschler politische Entwicklungen und teilen mit, was sie denken.
Neue deutsche Medienmacher
Die Neuen deutschen Medienmacher sind vor allem Journalisten mit Migrationshintergrund und setzen sich dafür ein, dass mehr Einwanderer, schwarze Deutsche und "Bindestrich-Bürger jeder Art" in den Redaktionen vertreten sind. Ihr oberstes Ziel: Die multikulturelle Normalität soll in deutschen Medien abgebildet werden. Dafür erarbeiten sie unter anderem derzeit eine Experten-Datenbank für vielfältige Interviewpartner und fördern journalistischen Nachwuchs aus Einwandererfamilien.
Diversity 21
Diversity 21 ist der Berliner Ableger des französischen "Club XXIe siecle". Das Vorbild hat sich 2004 in Paris gegründet und ist dort die erste Adresse für People of Color, die Karriere gemacht haben und weiter kommen wollen. Die Berliner Gruppe kooperiert unter anderem mit dem Rotary-Club und organisiert eine jährliche Schülermesse, bei der Jugendliche Vorbilder und Ansprechpartner für ihre Berufswahl finden. An den Dinner-Debatten von Diversity 21 nehmen Unternehmens-Chefs oder Politiker teil. Den Auftakt machte: Thilo Sarrazin.
Public Diversity
Die Mitglieder von Public Diversity wollen Vielfalt im öffentlichen Dienst durchsetzen und sichtbar machen. Vorläufer war das "Netzwerk von Lehrkräften mit Zuwanderungsgeschichte", die sich in Nordrhein-Westfalen für mehr Viefalt im Klassenzimmer stark machen und in Berlin Nachahmer gefunden haben. Public Diversity bietet nun Strategien für den Bildungsbereich, organisiert Konferenzen und wirbt bei Schülern aus Einwandererfamilien für eine Laufbahn als Pädagoge.
Buntesrepublik e.V.
Buntesrepublik ist ein kleiner Verein, der von Berlinern mit Migrationshintergrund gegründet wurde und Jugendprojekte anbietet. Seine Mitglieder vereint laut Website das „Deutsche“ in ihnen und dass sie sich als neue Generation einer bunten Bundesrepublik betrachten – daher das Wortspiel. Aus ähnlichen Motiven hat sich in Hamburg eine Gruppe gegründet, die sich "Stimme buntes Deutschland" nennt und noch kein eingetragener Verein ist.
AuchichbinDeutschland
"Warum interessiert sich jemand wie Sie für deutsche Politik?" "Wo kommst du wirklich her?" Viele Nachkommen von Einwanderern werden täglich mit solchen Fragen konfrontiert und nicht als "Deutsche" wahrgenommen. Um das zu ändern, haben Stipendiaten der "Deutschlandstiftung Integration" die Online-Kampagne "AuchichbinDeutschland" ins Leben gerufen. Sie ruft Menschen mit und ohne Migrationshintergrund dazu auf, Erfahrungen mit Alltagsrassimus oder Willkommensbotschaften mit einem Fotobeitrag zu dokumentieren und zu teilen. Aus der Kampagne ist inzwischen ein Aktionsbündnis mit mehreren Vereinen und Initiativen entstanden.
Ferda Ataman, MDI
Dieser Artikel wurde auch zu späteren Zeitpunkten noch um Initiativen ergänzt und aktualisiert.
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