Der Umgang mit dem Migrationshintergrund ihrer Kandidaten ist in den Parteien sehr unterschiedlich. Manche Landesparteien werben ausdrücklich damit, dass sie Einwanderer(kinder) ins Bundestagsrennen schicken. Andere können oder wollen keine Informationen dazu herausgeben. Entsprechend gab es bislang keine bundesweiten Angaben zur Anzahl von Bundestagskandidaten mit Migrationshintergrund. Dabei gibt die interkulturelle und ethnische Öffnung der Parteien Hinweise darauf, inwiefern sie in der Einwanderungsgesellschaft angekommen sind.
Der Mediendienst Integration hat erstmals recherchiert, wie viele der bundesweit aufgestellten Bundestagskandidaten auf den Landeslisten einen Migrationshintergrund haben. Für die Recherche wurden von April bis Juni 2013 jeweils alle 16 Landesgeschäftsstellen von SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP, Linke und Piraten angefragt.
Ergebnis: Für die Bundestagswahl 2013 sind mindestens 81 Kandidatinnen und -kandidaten mit einem sogenannten Migrationshintergrund aufgestellt. Im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Kandidaten der genannten Parteien liegt der Anteil von Menschen aus Einwandererfamilien somit bei unter vier Prozent. Lediglich ein Prozent davon belegt einen aussichtsreichen Platz oder Wahlkreis.
Nach Parteien sortiert finden sich
- 23 Kandidaten bei den Grünen,
- bei der SPD 18 Kandidaten,
- bei der Linken 18 Kandidaten,
- bei der FDP 9 Kandidaten,
- 7 Kandidaten bei den Piraten,
- 6 Kandidaten bei der CDU,
- die CSU hat offenbar keine.
Die entsprechende Zusammenstellung nach Bundesländern und Parteien erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In Fällen, in denen keine offiziellen Angaben von den Pressestellen vorlagen, wurden die Kandidaten- und Landeslisten nach Namen und Biografien gefiltert. (Mehr dazu, siehe Informationspapier)
Aussichtsreich oder nicht?
Mindestens 81 Menschen aus Einwandererfamilien streben also in die Bundespolitik. Doch wie viele von ihnen haben eine reelle Chance, im Herbst ein Büro im Bundestag zu beziehen? Die Parteien geben keine Auskunft darüber, ab welchem Listenplatz sie nicht mehr mit einem Einzug ins Parlament rechnen. Auch die Direktwahlen in den Wahlkreisen machen eine Listenplatz-Schätzung schwer. Einen Hinweis auf die Einzugs-Chancen geben allerdings die Ergebnisse der Bundestagswahl von 2009, wenn sie mit den aktuellen Umfragen abgeglichen werden.
- Demnach können bei SPD, Linke und Grüne jeweils fünf Plätze als aussichtsreich beschrieben werden.
- In der CDU haben die sechs Kandidaten zwar keine aussichtsreichen Listenplätze, doch zwei von ihnen kandidieren in Wahlkreisen, in denen die CDU zuletzt die Direktwahl gewonnen hatte.
- Falls sie die Fünfprozent-Hürde schaffen, kämen zwei FDP-Kandidaten hinzu, die auf Platz eins ihrer Landeslisten stehen.
- Dieselbe Hürde gilt für die Piraten: Hier könnte – im Fall eines Einzugs – ein deutsch-schwedischer Doppelstaatler auf Listenplatz zwei in den Bundestag kommen.
(Vergleiche Informationspapier des Mediendienstes, Kapitel "Kandidaten")
Chancen auf eine aktive politische Teilhabe haben demnach 15 bis 20 Kandidaten. Bei derzeit 620 Sitzen im Bundestag (kann nach der Wahl variieren) würden lediglich etwa drei Prozent der Abgeordneten die ethnische Vielfalt Deutschlands repräsentieren.
Unterscheidung nach Bundesländern
Die Verteilung der Kandidaten zeigt, wie unterschiedlich durchlässig einzelne Länderparteien für Einwanderer und ihre Nachkommen sind. Auf den ersten Blick wird in der Grafik erkennbar, in welchen Bundesländern die meisten aufgestellt sind.
Die Aussagekraft zur interkulturellen Öffnung der Parteien ändert sich jedoch, wenn man die Anzahl der Kandidaten ins Verhältnis zu Bevölkerung und Parteigröße stellt. Hier hat Berlin mit 3,2 Millionen Einwohnern beispielsweise den höchsten Wert: In der Hauptstadt kommen ca. 300.000 Einwohner auf einen Kandidaten mit Migrationskontext. Auch die anderen Stadtsaaten Bremen und Hamburg kommen auf gute Werte.
Schlusslichter sind hierbei ausgerechnet die Flächenländer, in denen der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund besonders hoch ist, wie Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In NRW (17,5 Millionen Einwohner) kommen auf einen Kandidaten mit Migrationshintergrund beispielsweise 2,2 Millionen Bürger.
Ausführliche Ergebnisse und Grafiken, in denen die Ergebnisse nach Parteien und Ländern aufgeschlüsselt sind, finden Sie in diesem Hintergrundpapier, das wir im August um einige Kandidaten ergänzt und aktualisiert haben.
Recherche und Text: Ferda Ataman, Maik Baumgärtner, Lea Hoffmann, Dominik Köhler, Thilo Schmidt
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