Als die Europäische Union im Jahr 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, verwiesen Kritiker auf die Migrationspolitik der Staatengemeinschaft. Wie, so die Frage, könne eine so moralisch hochwertige Auszeichnung einer Organisation zuteilwerden, die auf dem Mittelmeer und anderswo so lange wie möglich wegsehe, wenn sich Flüchtlingskatastrophen abspielten?
So gewichtig dieses Argument ist, so wenig Einfluss hatte es auf die Debatte. Dies ist in gewisser Weise ein zentrales Merkmal der öffentlichen Auseinandersetzungen zu Flüchtlingen, Asyl, Migration und Integration: Während die Themen oftmals Emotionen hochkochen lassen, kommen inhaltliche Argumente und klare politische Botschaften noch zu wenig vor. Und das, obwohl sie genug Anknüpfungspunkte bieten: An sich berühren diese Themen jede und jeden von uns. Es handelt sich hier um Herausforderungen, die sich überall auf der Welt stellen – und somit eben nicht nur in fernen Ländern, sondern buchstäblich auch bei uns vor der Haustür.
Die öffentliche Wahrnehmung hält damit aber nicht Schritt und sieht die Asylsuchenden zumeist entweder als Notleidende, die vor Krieg und Verfolgung fliehen (und somit bitteschön auch wieder gehen sollen, sobald sich die Lage im Herkunftsland verbessert – was übrigens ohnehin auch sehr viele wollen …), oder als Menschen, die bessere ökonomische Gegebenheiten suchen, sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“, die man sich kaum leisten könne. Dass so einfache Differenzierungen zwischen hunderttausenden Asylsuchenden nicht möglich sind, wird kaum gesehen.
Gleichzeitig gibt es einen hohen Bedarf an Menschen, um etwa die Versorgungs- und Personallücken in vielen Berufsfeldern zu decken. Aber dies ist schlichtweg eine andere Debatte, nämlich die über den demografischen Wandel. Mitunter werden hier Verbindungen zur Migrationspolitik hergestellt, Verbindungen zu konkreten Flüchtlings- und Asylfragen jedoch kaum.
Prof. Dr. ANDREA RÖMMELE ist Professorin für "Communication in Politics and Civil Society" an der Hertie School of Governance. Zuvor hatte sie eine Professur für "Communication and Media Management" an der Internationalen Universität Bruchsal inne. Sie forscht zu Kommunikation in Politik und Wirtschaft und gibt die „Zeitschrift für Politikberatung" heraus.
In den USA haben David Laitin und Marc Jahr ganz aktuell die Idee formuliert, dass man syrische Flüchtlinge in Detroit ansiedeln könne. Die Stadt stehe unter großem sozialen und wirtschaftlichen Druck, es gebe große Bedarfslücken. Man kann so eine gelenkte Bevölkerungspolitik kritisch sehen. Aber der Grundgedanke, dass diese Flüchtlinge eben nicht das Sozialsystem einer ohnehin schon bankrotten Stadt weiter strapazieren würden, sondern vielmehr einen Beitrag zur sozioökonomischen Konsolidierung leisten könnten, verdient Beachtung.
Solche Vorstöße sind allerdings hier wie da die Ausnahme. Zur Erinnerung: Auch die USA bauen Zäune, um sich von Einwanderern aus Lateinamerika abzuschotten. Womit sich die Frage stellt, wie es sein kann, dass ein so emotionales, den Menschen an sich nahestehendes Thema so schwer zu vermitteln ist. Darauf möchten wir mit Hilfe der politischen Kommunikationswissenschaft eine Antwort suchen.
Klare Botschaften, richtiges Timing, gute Argumente
Klassischerweise findet politische Kommunikation insbesondere zu Wahlkampfzeiten statt, die in der Wissenschaft gerne als prototypische, besonders dichte Kommunikationssituationen verstanden werden. Doch die immer umfassendere und ausdifferenziertere Mediendemokratie sorgt dafür, dass Themen inzwischen zu jeder Zeit bekannt werden und Debatten hervorrufen können – auch ohne die Intention von Politikern und Meinungsmachern. Zudem kann die Bevölkerung immer stärker ihre Fragen formulieren und Antworten erzwingen – nicht zuletzt durch Volksbegehren und -entscheide. Damit wird der politische Prozess vollständig für Diskurse geöffnet.
Die Kommunikationsforschung unterscheidet mit Blick auf den politischen Prozess oder die Genese eines Themas nach fünf Phasen eines Diskurses:
- Problemidentifikation,
- Agenda-Setting,
- Entscheidungsfindung,
- Implementierung
- und Evaluation.
Danach beginnt der Prozess von vorn. Es ist schon in der ersten Phase relevant, ein Thema kommunikativ einzubetten. Diese Einbettung wird "Framing" genannt. Ein Frame ist die Einrahmung eines Themas, durch den Inhalt und Ausrichtung verortet und verständlich gemacht werden sollen.
HENRIK SCHOBER ist Chefredakteur der "Zeitschrift für Politikberatung" und Koordinator für "Executive Education" an der Hertie School of Governance in Berlin. Seine wissenschaftliche Tätigkeit liegt im Bereich der Regierungsforschung, politischer Kommunikation sowie digitalen Medien. Er ist Mitgründer der Initiative „Dritte Generation Ostdeutschland“.
Solche Frames existieren zumeist auf beiden Seiten einer Debatte. Berühmtes Beispiel hierfür ist etwa die Abtreibungsdebatte in den USA, in der Abtreibungsgegner mit dem Schutz des ungeborenen Lebens argumentieren („Pro Life!“), die Befürworter hingegen mit der Selbstbestimmung und Wahlfreiheit des Einzelnen („Pro Choice!“). Beide Slogans sind unheimlich wirkungsvoll – wer würde intuitiv einem Appell für das Leben oder einem für die Freiheit widersprechen wollen?
Ein zweiter Aspekt der politischen Kommunikation ist das richtige Timing. Es kann sein, dass Herausforderungen oftmals viele Jahre bekannt sind und dennoch keine große öffentliche Debatte nach sich ziehen. Die Aufmerksamkeitszyklen sind teils durch externe Faktoren gegeben, teilweise kann man sie aber auch durch ein gutes Kommunikationsmanagement steuern und somit öffentliche Wahrnehmung erzeugen.
Drittens ist die sachliche Auseinandersetzung mit einem Thema unverzichtbar. Aktuell zeigen etwa die Konflikte zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, was passiert, wenn man sich nicht dem Diskurs stellt. Auch die Euro-Rettungspolitik ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar, die Folgen sind Desinteresse und Frustration, aber auch Radikalisierung. Viele, bis hin zum Bundespräsidenten, haben bereits angemahnt, dass Politik, und damit auch ihre Kommunikation, darauf achten muss, die getroffenen Entscheidungen zu erklären.
Gerade bei moralisch aufgeladenen Themen wird dieser Aspekt mitunter vergessen.
Die Asyldebatte hat zwei Ebenen
In der Migrationspolitik besteht derzeit eindeutig eine kommunikative Lücke, denn einerseits ist das Thema hoch emotional, wie sich nicht zuletzt an der enormen Hilfsbereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger erkennen lässt. Andererseits scheint die öffentliche Diskussion aber festgefahren zu sein. Konkret existieren zwei Frames, mit denen das Thema derzeit aufbereitet wird:
- der soziale Frame, der auf die Notwendigkeit abzielt, Hilfe zu leisten,
- und der ökonomische Frame, der Zuwanderung als Unterstützung für Wirtschaftswachstum und soziale Versorgungssysteme ansieht.
Beide Rahmen und die damit verbundenen Argumente haben etwas für sich, und es liegt nahe, sie als untrennbar verbunden zu betrachten. Das sind sie politisch gesehen auch. Kommunikativ aber funktioniert diese Verbindung nicht: Den Bürgerinnen und Bürgern wird erklärt, dass Menschen aufgenommen werden sollen, weil sie Not leiden und der deutschen Wirtschaft nützlich sein können. Und auch wenn das faktisch stimmen mag (in der Tat sind viele Zuwanderer qualifizierte Arbeitskräfte, was zugleich ein Problem für ihre Herkunftsländer darstellt), passt es nicht in eine Botschaft: Die Frames sind zu unterschiedlich und damit auch das Timing für die öffentliche Debatte. Jeder Aspekt erfordert seine eigene Form der Ansprache und muss die Zielgruppe auf eigene Art „abholen“.
Der Ausweg aus diesem kommunikativen Dilemma ist daher die Trennung der beiden Frames „Flüchtlinge/Nothilfe“ und „Wachstum/Demografie“. Das ist weder politisch noch kommunikativ einfach und wird weiter erschwert, da zum Beispiel auch die Wissenschaft hier wenig gesichertes Wissen bereithält. So unterscheiden viele Umfragen in ihren Fragestellungen nicht nach Migranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen – stattdessen werden oft nur Einstellungen gegenüber „Ausländern“ abgefragt. Natürlich wäre es für die passende Ausgestaltung der genannten Frames aber essenziell, zu wissen, was die Bevölkerung über diese Gruppen denkt.
Der humanitäre und der ökonomische Frame müssen also in enger Abstimmung miteinander, aber doch separat voneinander, weiterentwickelt werden.
Das ist kein leichter Weg, und idealerweise hätte er bereits früher beschritten werden müssen. Aber weil politische Kommunikation in allen Phasen des politischen Prozesses notwendig ist und bei der Vermittlung von Argumenten helfen kann, ist es eben auch niemals zu spät.
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