Für Lehrer und Pädagogen gibt es zwei neue Handreichungen rund um das Thema Islam und junge Muslime in Deutschland. Die Herausgeber wollten damit eine Lücke füllen, denn bislang bieten Schulbücher wenig dazu.
- Die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg hat „Muslime in Deutschland. Lebenswelten und Jugendkulturen“ veröffentlicht. Die erste Auflage ist bereits vergriffen und kann derzeit nur als PDF heruntergeladen werden.
- Der Verein „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ hat „Islam und Ich“ erstellt. Die Broschüre kann gegen eine geringe Gebühr bestellt werden.
Thematisch überschneiden sich die Hefte auf den ersten Blick und richten sich an die selbe Zielgruppe. Konzeptionell sind sie jedoch unterschiedlich — die eine ist zum Lehren, die andere zum Lernen. „Islam & Ich“ wendet sich an Pädagogen und andere in der Jugendarbeit, das Heft ist nicht als Material für den Unterricht gedacht. Die Hintergrundinformationen sollen Pädagogen helfen, die „sehr polarisiert geführte Islamdebatte“ nachzuvollziehen, erklärt Mitherausgeber Eberhard Seidel. Die Publikation umfasst fünf Kapitel mit griffigen Überschriften: „Die Muslimhasser“, „Lifesytle für die Umma“, „Soundtrack für Allah“, „Dschihad 2.0“ und „Jung, Deutsch, Gotteskrieger“.
Die Autoren – darunter Fachjournalisten und Experten – beschreiben die unterschiedlichen Lebenswelten junger Muslime. Sie machen unter anderem deutlich, dass für sie Religiösität nicht im Widerspruch zu Weltoffenheit steht. Theologische Informationen über den Islam als Religion sind auf den rund 70 Seiten bewusst ausgespart, denn dazu gibt es Seidel zufolge „genug Material“.
Islamhasser UND Islamisten thematisieren
Einen Schwerpunkt des Heftes bildet der Extremismus: Im ersten Kapitel werden die „Muslimhasser“ und die „Religionisierung der Ausländer- und Integrationsdebatte“ skizziert. Im letzten Kapitel wird exemplarisch beschrieben, was hierzulande den Reiz des Salafismus für junge Menschen ausmacht und wie aus jungen Männern „Dschihadisten“ – Gotteskrieger – werden.
Diese extremen Pole seien ganz bewusst ins Heft aufgenommen worden, sagt Seidel. In Deutschland werde über Islam und Muslime aus der Perspektive „von wir und ihr“ diskutiert. Wolle man aber „Ideologien der Ungleichwertigkeit“ aufdecken, dann müsse man sich mit Islamhassern und Islamisten gleichermaßen befassen.
Auch im Heft „Muslime in Deutschland“ wird islamistischer Extremismus thematisiert – hier mit dem Hinweis darauf, dass „Vorhaltungen“ aus der Mehrheitsgesellschaft zu Isolierung führen können und junge Muslime „anfällig für Radikalisierungen“ machen. Das Interesse der Jugendlichen etwa für Salafisten stehe im Zusammenhang mit dem, was sie im Alltag vermissten: „Anerkennung, Zugehörigkeit, Gemeinschaft und ein Gefühl von Stärke“.
Das knapp 70 Seiten umfassende Heft für den Schulunterricht ist in drei Teile gegliedert: Am Anfang werden kurz die gesellschaftlichen Entwicklungen und die „Diskursverschiebungen“ seit dem 11. September 2001 dargestellt. Der zweite Teil setzt sich zusammen aus Lehrmaterial zu
A) Muslime in Deutschland
B) Muslimisches Leben in Deutschland
C) Muslimische Jugendkulturen.
Das dritte Kapitel enthält Texte, Bilder und Arbeitsaufträge.
„Perspektivwechsel in der Darstellung von Muslimen“
„Muslime in Deutschland“ ist in der Reihe „Politik & Unterricht“ erschienen und wendet sich an Lehrer der Sekundarstufe II in den Fächern Politik, Religion und Ethik. Götz Nordbruch, einer der Autoren des Heftes, spricht von einem „Perspektivwechsel in der Darstellung von Muslimen“. Sowohl die einführenden Texte als auch die Arbeitsvorschläge zielten darauf ab, die gesellschaftliche Vielfalt zu thematisieren, aber eben nicht als Problem, sondern als Normalität. Es gelte, „deutlich und offen zu zeigen, dass Islam und Muslime zu Deutschland selbstverständlich und vorbehaltlos dazu gehören“: So formulieren die Verfasser vom Berliner Verein ufuq.de im Vorwort ihren Anspruch.
„In Schulbüchern fehlen Kapitel zu Deutschland als Einwanderungsland“, erläutert Nordbruch, der auch Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung ist. Nordbruch betont: Schulbücher "hinken der gesellschaftlichen Realität leider immer noch hinterher“. "Die deutschen Lehrpläne hinken hinter der Unterrichtsrealität her", sagt auch Wolf-Jürgen Karle, Pressesprecher des Bildungs-Ministeriums in Rheinland-Pfalz. Eine Erklärung dafür sei, dass die Überarbeitung von Lehrplänen "sehr arbeits- und zeitaufwändig" sei.
Pädagogen müssen entsprechendes Material „häufig selbst zusammensuchen“, sagt Silvia Agde-Becke, Ausbilderin am Studienseminar Frankfurt für die Fächer allgemeine Pädagogik und Religion. Die Oberstudienrätin weist auf einen weiteren Mangel im Bundesland Hessen hin: Es gebe im Lehrplan für Gymnasien keine Unterrichtseinheiten zu Fragen der religiösen und kulturellen Identität oder Integration.
Von Canan Topcu
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