Juni 2012: Ein Mann wird auf der Bahnstrecke zwischen Bielefeld und Dortmund von zwei Bundespolizisten in Zivil aufgefordert, sich auszuweisen. Er fragt die Polizisten ebenfalls nach ihren Papieren, fragt, worauf die Maßnahme basiert. Denn der so aufgehaltene Bielefelder Rechtsanwalt geht davon aus, dass er wegen seiner dunklen Hautfarbe und Haare kontrolliert wird. Er erhielt keine zufriedenstellende Antwort, wird er später sagen. Stattdessen sei sein Ausweis nach der Kontrolle auf den Platz neben ihm geschmissen worden. Einige Wochen später zieht er vor Gericht, weil er sich ungerecht behandelt fühlt.
Vor Kurzem wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln von Juni letzten Jahres bekannt. Es besagt, dass die Polizeiaktion den Kontrollierten "in seinen Rechten verletzt" hat und durch das Bundespolizeigesetz "nicht gedeckt" war. Der Kläger sei einer Identitätskontrolle unterzogen worden, obwohl die Bedingungen dafür offenkundig nicht vorgelegen hätten.
Menschenrechtsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen kritisieren immer wieder, dass "verdachtsunabhängige Personenkontrollen" durch die Bundespolizei zu diskriminierender Behandlung von Menschen mit bestimmten phänotypischen Merkmalen führen. Sie sprechen von Racial Profiling.
Wie das "Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung“ (BUG) mitteilte, wurde Anfang April mit Unterstützung des Vereins eine weitere Klage beim Verwaltungsgericht München eingereicht. Der betroffene Kläger wurde im Januar im Zug von Kempten nach Augsburg durch einen Beamten der Bundespolizei aufgefordert, sich auszuweisen. Laut Vera Egenberger von BUG habe sich dem Kläger aufgedrängt, „dass bei der Auswahl seiner Person für die Kontrolle rassistische Muster zum Tragen gekommen seien“. Bis es in dem Fall eine Entscheidung gibt, wird noch einige Zeit vergehen. „Im Schnitt dauert ein verwaltungsgerichtliches Verfahren derzeit gut ein Jahr in der ersten Instanz“, erklärt der Rechtsanwalt des Klägers, Sven Adam, dem Mediendienst.
Mit der Praxis des Racial Profiling konfrontiert, wiegeln deutsche Behörden in der Regel ab. In einem Bericht der Bundesrepublik an das Sekretariat des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) von Januar 2013 heißt es: "Die Polizeien der Länder und des Bundes bedienen sich eines 'Ethnic Profiling' oder ähnlicher Instrumente nicht". Die Begründung: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Eine unterschiedliche Behandlung von Personen nach ihrer Herkunft sei in den Polizeigesetzen nicht enthalten, weil dies unvereinbar sei mit dem Verständnis von Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat.
Auf der Homepage der Bundespolizei heißt es dazu: Es sei "ein klassisches Dilemma", in dem man bei der Thematik "Ethnic Profiling" stecke: "Der gesetzliche Auftrag besteht in der Bekämpfung der irregulären Migration nach Deutschland." Die Zahlen des Bundespolizeipräsidiums zeigten zudem ein völlig anderes Bild von den „angeblichen“ Problemen, die von den Betroffenen beklagt würden. "Im Zeitraum von 2009 bis Mitte 2013 wurden mehr als 16 Millionen lageabhängige Befragungen und Kontrollen durchgeführt. Dabei kam es insgesamt zu 113 Beschwerden, bei denen eine Diskriminierung beklagt wurde." Das enstpreche "einem Anteil von 0,0007 Prozent". Und: "Fast alle Beschwerden stellten sich als unbegründet heraus."
Internationale Gremien fordern unabhängige Kommission
Dabei häufen sich die Hinweise auf Personenkontrollen nach rassistischem Muster in den vergangenen Jahren:
- Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) sieht deutlichen Nachholbedarf für Deutschland, was die Diskriminierung von Minderheiten betrifft. Ende Februar übte ECRI in seinem neuen Deutschland-Bericht deutliche Kritik. Darin wirft ECRI der Bundesregierung unter anderem vor, beim Blick auf Hass-Delikte ("Hate-Crimes") zu sehr auf den organisierten Rechtsextremismus fixiert zu sein. Bereits im Bericht von 2009 hatte ECRI festgestellt, dass in Puncto "Verhalten der Polizei" ein unabhängiges Untersuchungsverfahren notwendig wäre, um Anschuldigungen zu polizeilichem Fehlverhalten nachzugehen. In anderen Ländern wie Großbritannien existieren bereits unabhängige Kommissionen, die Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten nachgehen.
- Der Sonderberichterstatter für Rassismus und rassistische Diskriminierung, Githu Muigai, äußerte sich in einem Bericht über eine Reise nach Deutschland 2009 ebenfalls zu Ethnic Profiling. Er hält fest, dass Nichtregierungsorganisationen Bedenken formulierten, dass die Polizei in Deutschland nach dem 11. September 2011 rassistisches und religiöses Profiling gegen Araber, Personen afrikanischer Abstammung und Muslime bemühe.
- Mitte September letzten Jahres diskutierte der Menschenrechtsrat der UNO in Genf im Rahmen der Erstellung regelmäßiger Berichte über die Menschenrechtslage in einzelnen Staaten. Auch die Situation in Deutschland war Thema. Die Bundesrepublik wurde laut einer Mitteilung der UN-Menschenrechtskommissarin Navanethem Pillay aufgefordert, "weitere Maßnahmen zu unternehmen", um "rassistische Diskriminierung" zu bekämpfen.
- Im Januar 2013 wurde durch einen Artikel des Magazins "Der Spiegel" eine Liste mit 57 Fällen bekannt, in denen sich Menschen beklagten, aufgrund ihrer ausländischen Herkunft oder ihrer Hautfarbe von Bundespolizisten diskriminiert worden zu sein.
- Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellte Ende Juni 2013 eine Studie zum Thema "Racial Profiling" vor. Das Institut wurde 2001 auf Empfehlung des Bundestages gegründet. Es informiert über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland und soll den Schutz der Menschenrechte fördern. Direktorin Beate Rudolf forderte anlässlich der Veröffentlichung der Studie die "Abschaffung rassistischer Personenkontrollen durch die Bundespolizei". Paragraf 22 Absatz 1a Bundespolizeigesetz verstoße nämlich "gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz und gegen internationale Menschenrechtsverträge." Die Bundespolizei könne, so steht es in der Studie des Instituts, im Rahmen solcher Kontrollen "völlig frei und 'aus dem Bauch heraus' handeln."
Von Marvin Oppong
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