Dieser Artikel ist erstmals im Februar 2020 erschienen und wurde aktualisiert.
Niqab-Verbote an Schulen und Hochschulen
Anfang Februar kündigten Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg an, Vollverschleierung an Schulen künftig untersagen zu wollen. Hintergrund war ein Fall in Hamburg, bei dem die Schulbehörde einer Schülerin verbieten wollte, mit einem Niqab am Unterricht teilzunehmen. Das Oberverwaltungsgericht lehnte das ab, da für die Anordnung die gesetzliche Grundlage fehlte.Quelle
Baden-Württemberg hat das Verbot nun durchgesetzt. Bayern und Niedersachsen haben bereits 2017 vergleichbare Regelungen für Schulen erlassen. Zudem haben die Universität Gießen und die Kieler Christian-Albrechts-Universität vollverschleierten Studentinnen verboten, an Lehrveranstaltungen teilzunehmen, oder sie verpflichtet, bei Prüfungen ihr Gesicht zu zeigen.Quelle
Welche gesetzlichen Regelungen zur Vollverschleierung gibt es?
Mehrere europäische Länder, darunter Frankreich, Belgien und Dänemark, haben das Tragen eines Ganzkörperschleiers in der Öffentlichkeit verboten oder zumindest eingeschränkt. Eine Untersuchung der Open Society Foundations aus dem Jahr 2018 gibt einen Überblick über Verbote von Kopftüchern und Gesichtsverschleierung in Europa.Quelle
Auch in Deutschland wird immer wieder über ein Verbot von Niqabs diskutiert. Ein generelles Verschleierungsverbot wäre aber nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Zu diesem Ergebnis kam der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2014 in einem Gutachten. Das Tragen eines Ganzkörperschleiers sei Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses und damit durch die im Grundgesetz gewährte Religionsfreiheit geschützt. Das gelte unabhängig davon, dass die meisten Muslim*innen den Ganzkörperschleier keineswegs als eine religiöse Pflicht ansehen. In Deutschland trägt nur eine Minderheit der muslimischen Frauen ein Kopftuch, Niqabs und Burka sind die große Ausnahme.Quelle
Die Bundesregierung hat 2017 aber das Tragen eines Gesichtsschleiers in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens verboten. Seitdem ist es beim Fahren eines Fahrzeugs im Straßenverkehr verboten, das Gesicht zu verhüllen oder zu verdecken. Auch Beamtinnen, Soldatinnen und Richterinnen ist es nicht gestattet, im Dienst ihr Gesicht zu verhüllen. Frauen, die einen Schleier tragen, wurden außerdem dazu verpflichtet, in bestimmten Situationen ihr Gesicht zu zeigen. Dies gilt für die Beantragung von Ausweispapieren, bei der Ausweis-Kontrolle oder im Wahllokal. Verstöße gelten als Ordnungswidrigkeit.Quelle
Wo ist das muslimische Kopftuch verboten?
Im Staatsdienst:
Das Bundesverfassungsgericht hat 2015 ein generelles Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen für unzulässig erklärt, weil es dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit widerspreche. Alle Bundesländer bis auf Berlin lassen das Kopftuch für Lehrerinnen seither grundsätzlich zu. Nur bei einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens seien Einschränkungen erlaubt, urteilten die Richter in Karlsruhe.Quelle
In mehreren Bundesländern unterrichten heute vereinzelt Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen.Quelle
In Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gab es nie ein Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen und andere Beamtinnen. Andere Bundesländer haben seit 2015 ihre bis dahin geltenden Verbote für Lehrerinnen und andere Staatsbeamte geändert oder legen bestehende Gesetze nun verfassungskonform aus.
Nur das Bundesland Berlin hält an seinem strikten Kopftuch-Verbot fest. Dem 2005 erlassenen "Neutralitätsgesetz" zufolge dürfen Lehrkräfte keine "sichtbaren religiösen und weltanschaulichen Symbole" wie das Kopftuch tragen. Dieses Verbot gilt auch für Beamtinnen und Beamte in der Rechtspflege, dem Justizvollzug und der Polizei. Es gilt aber nicht für den Religions- und Ethikunterricht sowie für private Schulen und Berufsschulen.Quelle
Für den Justizbereich gibt es in den Bundesländern Hessen, Bremen, Baden-Württemberg und Bayern gesetzliche Einschränkungen. Richterinnen, Staatsanwältinnen und Referendarinnen dürfen demnach bei ihren Amtshandlungen im Gerichtssaal kein Kopftuch tragen. Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und das Saarland planen ähnliche gesetzliche Regelungen.
Pläne, auch Kindern an öffentlichen Schulen das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten, hat die nordrhein-westfälische Landesregierung 2018 ins Spiel gebracht, aber dann ad acta gelegt. Wie viele Mädchen in Nordrhein-Westfalen ein Kopftuch tragen, ist ihr nicht bekannt.Quelle
In der Privatwirtschaft:
Private Arbeitgeber, die ihren Angestellten verbieten, am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, verstoßen gegen das Allgemeine Antidiskriminierungsgesetz. Gleiches gilt, wenn sie Bewerberinnen einen Ausbildungsplatz oder eine Stelle verwehren, weil sie ein Kopftuch tragen. Ein Kopftuch-Verbot am Arbeitsplatz aus sachlichen Gründen – etwa, wenn die Arbeit mit Maschinen durch das Tragen eines Kopftuchs zu gefährlich ist – ist aber zulässig.
Arbeitgeber dürfen außerdem das Kopftuch am Arbeitsplatz verbieten, wenn sie zugleich das sichtbare Tragen jedes anderen politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbieten. Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil von 2017 klargestellt, dass Arbeitgeber das Recht haben, nach außen hin neutral aufzutreten und entsprechend von ihren Beschäftigten ein neutrales Auftreten einzufordern. Das gilt aber nur für Tätigkeiten, die im weiteren Sinne für das Unternehmen repräsentativ sind.Quelle
In kirchlichen Einrichtungen:
Für kirchliche Einrichtungen gelten erhebliche Ausnahmen vom übrigen Arbeitsrecht. Sie dürfen ihren Mitarbeiterinnen deshalb ebenfalls das Tragen eines Kopftuchs untersagen. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt 2014 entschieden.Quelle
Was bringt ein Niqab-Verbot?
Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus von der Universität Göttingen hält Verschleierungsverbote für wenig hilfreich. Wenn eine Frau Niqab trägt, kann das auf eine radikale Auslegung des Islams bei ihr selbst oder in ihrem Umfeld hindeuten, muss es aber nicht, so Spielhaus. Verbote würden voraussichtlich zu einer weiteren Ausgrenzung der betroffenen Frauen führen, und das könne eine mögliche Radikalisierung verstärken.
Gerade im Bildungskontext sei der souveräne und professionelle pädagogische Umgang mit einer Kleiderwahl, die als Provokation gemeint sein kann, wichtig. Lehrkräfte sowie Schul- und Uni-Leitungen brauchen dabei fachliche Unterstützung, betont Spielhaus.
Von Tomma Neveling (mit Material aus dem Handbuch Islam und Muslime)
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