Dieser Artikel ist erstmals im Oktober 2018 erschienen. Zur Veröffentlichung des Mikrozensus 2019 präsentieren wir ihn erneut.
Das Statistische Bundesamt erfasst den sogenannten Migrationshintergrund seit über zehn Jahren im Mikrozensus. Die Daten des Mikrozensus beeinflussen politische Zielvorgaben, zum Beispiel in der Bildungs- oder Arbeitsmarktpolitik. Auch in öffentlichen Debatten dreht sich vieles um die "Migrationshintergründler".
Früher gab es in der Statistik nur "Ausländer" und "Deutsche". Zunehmend wurden "Ausländer" für die Statistiker jedoch unsichtbar, weil sie sich einbürgern ließen oder ihre Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden. Erst mit dem Mikrozensusgesetz 2005 wurden diese Menschen wieder in der Statistik sichtbar. Die Definition des Migrationshintergrundes und die Erhebungsmerkmale wurden im Jahr 2016 angepasst.
Was hat sich dadurch geändert? Und warum steht die Erfassung des Migrationshintergrundes im Mikrozensus immer wieder in der Kritik? Das erklärt die Sozialanthropologin Anne-Kathrin Will in einer aktualisierten Expertise für den MEDIENDIENST.
Die Expertise können Sie HIER herunterladen.
Erfassung zu komplex
Im öffentlichen Diskurs scheint die Zuordnung zu "Menschen mit Migrationshintergrund" einfach. Die statistische Erfassung im Mikrozensus sei jedoch sehr komplex, schreibt Anne-Kathrin Will in ihrem Informationspapier. Das neue Mikrozensus-Gesetz habe die Erfassung noch undurchsichtiger gemacht.
Eine Frage à la "Haben Sie einen Migrationshintergrund?" gibt es nicht. Stattdessen werde der Migrationshintergrund mithilfe zahlreicher Fragen erhoben: Neuerdings müssen Teilnehmende bis zu 27 Fragen beantworten, von denen 19 zur Erhebung des Migrationshintergrundes genutzt werden. Das Statistische Bundesamt erfragt heute weitere Sachverhalte. Neu sind Fragen zum Geburtsland der Teilnehmenden, zu den Geburtsländern der Eltern, zum Grund des Zuzugs und dazu, welche Sprache die Befragten vorwiegend zu Hause sprechen. Das Statistische Bundesamt wertet diese Fragen aus. Doch wie die Zuordnung eines Migrationshintergrundes erfolgt, sei nicht transparent, so Will. Mit anderen Worten: Die Befragten ordnen sich nicht selbst in die Kategorie ein und können somit auch nicht mitbestimmen, ob sie sich als Mensch mit Migrationshintergrund sehen oder nicht.
Mit dieser Kritik ist Anne-Kathrin Will nicht allein. Die Soziologin Linda Supik hat untersucht, wie der Migrationshintergrund in anderen europäischen Staaten erhoben wird. Demnach können Menschen etwa in Polen oder Großbritannien selbst entscheiden, zu welcher "ethnischen" oder "nationalen Gruppe" sie gehören. Dadurch werde die Zugehörigkeit nicht von einer Behörde festgelegt, sondern von den Befragten selbst. Jedem stehe frei, "polnisch" beziehungsweise "britisch" anzugeben.
Neue Definition
Neben den zusätzlichen Fragen, die das Statistische Bundesamt jährlich zum Migrationshintergrund und zur Staatsangehörigkeit stellt, ist seit der Veröffentlichung der Ergebnisse des Mikrozensus 2016 auch die Definition neu. Zu den "Personen mit Migrationshintergrund" zählen nun Menschen, "wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt" besitzen.
Bis 2016 lautete die Definition: "Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen alle Ausländer und eingebürgerte ehemalige Ausländer, alle nach 1949 als Deutsche auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderte sowie alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil".
Migrationsbezüge deutscher Flüchtlinge, Vertriebener und ihrer Nachkommen wurden im Mikrozensus nach dieser alten Definition nicht erfasst. Obwohl die neue Definition es nicht explizit sagt, werden diese Migrationserfahrungen nach wie vor nicht berücksichtigt, erklärt Anne-Kathrin Will.
Ethnische Herkunft statt Migrationserfahrung
Zwar hat sich mit der neuen Definition nicht grundsätzlich geändert, wen das Statistische Bundesamt zu den "Personen mit Migrationshintergrund" zählt. Die neue Definition mache jedoch noch deutlicher, dass es beim Konzept des "Migrationshintergrundes" um ethnische Abstammung geht, und nicht um Migrationserfahrung, wie es der Begriff " Migrationshintergrund" eigentlich nahelege, schreibt Will.
So hätten Kinder, die seit Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit und zugleich deutsche Eltern haben, aber im Ausland geboren wurden, keinen Migrationshintergrund. Eingebürgerte hingegen vererben ihre Migrationserfahrung sogar an ihre als Deutsche in Deutschland geborenen Nachkommen. Die aktuelle Abgrenzung eines Migrationshintergrundes biete keinen Raum für ein vielfältiges Deutschsein, so Will.
Will kritisiert, dass die Zuschreibung eines Migrationshintergrundes Nachkommen von Zugewanderten stigmatisiere. Zudem helfe die Art der Erfassung nicht, Diskriminierungserfahrungen sichtbar zu machen. Wenn es darum gehe, die Benachteiligungen von Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungssystem abzubilden, so sei das mit dem Migrationshintergrund im Mikrozensus auch nach der Gesetzesänderung weiterhin nicht möglich.
Von Lea Hoffmann
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