Wie sehr fühlen sich Muslime dem Land verbunden, in dem sie leben? Wie oft machen sie Diskriminierungserfahrungen? Und wie häufig haben sie Kontakt zu Nicht-Muslimen? Die Bertelsmann-Stiftung hat dazu Befragungen in Frankreich, Großbritannien, Österreich, Deutschland und der Schweiz durchgeführt. Die Ergebnisse sind repräsentativ. Befragt wurden jedoch keine Muslime, die im Zuge der jüngsten Fluchtmigration nach Europa gelangt sind.
Für Deutschland ergaben sich folgende Zahlen:
- 78 Prozent der befragten Muslime gaben an, in ihrer Freizeit regelmäßigen Kontakt mit Nicht-Muslimen zu haben. Bei 64 Prozent der Muslime bestand der Freundeskreis mindestens zur Hälfte aus Nicht-Muslimen.
- 96 Prozent gaben an, sich mit Deutschland verbunden zu fühlen.
- Unter denjenigen, die selbst eingewandert sind, haben 23 Prozent im Kindesalter Deutsch als erste Sprache gelernt, in der Generation ihrer Kinder lag der Anteil bei 73 Prozent.
- Insgesamt waren Muslime stärker religiös als Gläubige anderer Religionen. 41 Prozent der befragten Muslime wurden als "stark religiös" eingestuft, im Vergleich zu 16 Prozent der befragten Nicht-Muslime.
Gerade in sozialen Netzwerken wird die Untersuchung heftig angegriffen. Die Ergebnisse fielen zu positiv aus, lautet ein Vorwurf. Dazu hat der MEDIENDIENST die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, die selbst nicht an der Studie beteiligt war, interviewt.
MEDIENDIENST: Dem Religionsmonitor wurde vorgeworfen, Zahlen geschönt zu haben. Für wie verlässlich halten Sie die Befunde der Studie?
Riem Spielhaus: Ich kann von den Ergebnissen nicht auf die Methodik der Studie schließen. Aber die Autoren der Untersuchung und die Bertelsmann-Stiftung sind nicht dafür bekannt, Studien zu verfälschen. Warum sollten sie auch? Mit Hilfe der Untersuchung können wir nun sehen, welche Rahmenbedingungen in den untersuchten Ländern die Teilhabe von Muslimen auf dem Arbeitsmarkt oder in der Bildung fördern oder verhindern. Daraus lässt sich viel für die künftige Integrationspolitik lernen.
Also ist aus Ihrer Sicht nichts dran an der Kritik?
Natürlich müssen wir Studien immer hinterfragen, das gehört zum wissenschaftlichen Arbeiten. Man könnte zum Beispiel diskutieren, warum ausgerechnet nach der Integration von Muslimen gefragt wird. Welche Grundannahmen schwingen da mit? Die Studie bezieht sich damit auf eine dominante Vorstellung im Diskurs, die davon ausgeht, Muslime seien aufgrund ihrer Religion integrationsbedürftig. Bei den aufgeregten Reaktionen auf die Studie zeigt sich aber: Einerseits verlangt man von Muslimen immer, dass sie sich integrieren. Belegen für einen Integrationserfolg von Muslimen wird hingegen prinzipiell misstrauisch begegnet. Ganz nach dem Motto: "Muslime können gar nicht integrierbar sein". Die Vorwürfe gegen die Studie zeigen die Schieflage der Islamdebatte.
Zeigen auch andere Studien, dass die Integration von muslimischen Migranten voranschreitet?
Nicht nur Studien sondern auch Statistiken geben uns Hinweise darauf. So wussten wir bereits, dass die Folgegeneration der Eingewanderten Erfolge im Bildungssystem vorzuweisen hat. Nehmen wir türkischstämmige Menschen: Viele der Arbeitsmigranten kamen aus Regionen mit einer vergleichsweise hohen Analphabetenrate und geringen Schulbildung. Bei ihren Nachkommen sehen wir demgegenüber einen erheblichen Bildungszuwachs. Die Bildungsmotivation ist unter ihnen enorm hoch, höher als bei bildungsfernen Familien ohne Migrationshintergrund.
Prof. Dr. RIEM SPIELHAUS ist Islamwissenschaftlerin
und leitet die Abteilung Schulbuch und Gesellschaft am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Selbstidentifikation und Fremdzuschreibung von Muslimen sowie die staatliche Anerkennung des Islam in Deutschland.
Ein Kritikpunkt an der Studie lautet, die Ergebnisse zur Arbeitslosenquote von Muslimen sei zu positiv ausgefallen. Die Daten der Bertelsmann-Stiftung beruhen auf Selbstauskünften der befragten Muslime. Macht es überhaupt Sinn, sich auf sie zu verlassen?
Das Problem ist, dass wir keine anderen Daten haben. Arbeitsmarktstatistiken sagen nichts über die Religionszugehörigkeit und schon gar nicht über die Religiosität von Menschen aus. Die Daten der Bertelsmann-Stiftung zeigen, dass fromme Muslime in Deutschland eine schlechtere Erwerbsbeteiligung haben als in Großbritannien. Es ist aber unklar, was die Gründe dafür sind. Um das herauszufinden, bräuchten wir qualitative Untersuchungen: Liegt es an den deutschen Muslimen selbst? Können oder wollen sie sich nicht stärker beteiligen? Oder liegt es am deutschen Arbeitsmarkt? Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Großbritannien gibt es eine Polizeiuniform für muslimische Kopftuchträgerinnen. In Deutschland hingegen – so vermuten einige Wissenschaftler – haben die Kopftuchverbote für den Schulkontext eine ausgrenzende Wirkung auf den ganzen Arbeitsmarkt. Denn auch Arbeitgeber in der Privatwirtschaft fühlen sich trotz Bekenntnisfreiheit ermutigt, Frauen mit Kopftuch abzulehnen.
Wie ließe sich besser erforschen, wie weit Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt verbreitet sind?
Vielen gegenüber dieser Studie erhobenen Bedenken ließe sich mit einer Studie begegnen, die nicht Muslime befragt, sondern Personalchefs. Es gab so etwas in kleiner Form 2007 von der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung Berlin. Befragt wurden Personaler eines großen Unternehmens zur Einstellungspraxis gegenüber Frauen mit Kopftuch. Diese standen mehrheitlich der Einstellung von Frauen mit Kopftuch kritisch gegenüber. Und das, obwohl Diskriminierung aufgrund von Religion nach unserer Verfassung verboten ist.
Eine andere Kritik an der Bertelsmann-Studie war, dass nicht nach Fundamentalismus gefragt wurde.
Diese Kritik stellt nicht zuletzt die Freiheit der Forschung in Frage. Muss man wirklich immer nach Fundamentalismus fragen, wenn es um Muslime geht? Sind keine anderen Themen mehr erlaubt? Zur Freiheit der Wissenschaft gehört auch die Formulierung der Fragestellung. Nur so ist überraschende und innovative Forschung möglich, die sich den dominanten Fragen des Diskurses widersetzt. Wissenschaftler sehen sich jedoch zunehmend durch die Öffentlichkeit unter Druck gesetzt, wenn sie dies tun. Der Sicherheitsaspekt ist mittlerweile so dominant, dass viele Menschen Studien zum Islam ohne ihn nicht mehr denken können. Ich trete daher ganz vehement dafür ein, dass Wissenschaftler auch andere Fragen stellen können.
Interview: Mehmet Ata
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