Am 1. Januar 2005 trat das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Kraft. Gemeinsam mit der Integrationskursverordnung (IntV) vom 13. Dezember 2004 markiert es einen entscheidenden Schritt in der Migrations- und Integrationspolitik: Zum ersten Mal wurde in Deutschland ein zentrales, einheitliches und rechtlich verbindliches Konzept der Integrationsförderung eingeführt. Rund eine Million Menschen haben seitdem an Integrationskursen teilgenommen – die Bilanz klingt nach einer Erfolgsgeschichte.
Die Integrationskurse bestehen in erster Linie aus einem Sprachkurs, der 600 Stunden umfasst. Hinzu kommt ein Orientierungskurs im Umfang von 60 Stunden, der in das gesellschaftliche Leben in Deutschland einführen soll. Darüber hinaus gibt es mittlerweile spezielle Kurse für Migranten mit verschiedenen Voraussetzungen und Bedürfnissen, wie etwa Kurse mit Alphabetisierung, für Eltern oder bereits länger in Deutschland lebende Einwanderer. Diese speziellen Kursarten dauern bis zu 960 Stunden.
Was allen Kursen gemein ist: Neben Kenntnissen über das Leben in Deutschland sollen sie in erster Linie "ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache" vermitteln. So enden alle Kurse mit dem "Deutsch-Test für Zuwanderer". Die meisten Kursbesucher kamen 2013 aus Polen (rund 11 Prozent) und der Türkei (8 Prozent), gefolgt von Rumänien, Bulgarien, Syrien, Griechenland und Spanien. Rund vier Prozent waren Deutsche mit Migrationshintergrund.Quelle
Nur 40 Prozent der bisherigen Kursbesucher waren zur Teilnahme verpflichtet. Darunter fallen jene, die als "integrationsbedürftig" eingestuft werden – was sich in erster Linie auf ihre Sprachkenntnisse bezieht. Ob sie den Test bestehen, kann rechtliche Folgen haben, etwa für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Erteilung der Niederlassungserlaubnis oder die Aufenthaltsdauer, die einer Einbürgerung vorauszugehen hat. Eine Verletzung der Teilnahmepflicht kann zu weiteren Sanktionen führen. Rund 60 Prozent der Kursbesucher waren dagegen zur Teilnahme berechtigt, konnten also freiwillig teilnehmen.Quelle
Zentrale Organisation durch das BAMF
Das Angebot der Integrationskurse wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) koordiniert und gesteuert: Das BAMF zertifiziert und kontrolliert die öffentlichen und privaten Träger, die die Integrationskurse und die abschließenden Tests durchführen. Es veröffentlicht die Lehrpläne und zugelassenen Lehrmaterialien. Last but not least untersucht es die Integrationskurse und veröffentlicht regelmäßig Teilnehmerstatistiken.
Das "Zentrum Sprache, Variation und Migration" (SVM) an der Universität Potsdam bietet ein Dach für interdisziplinäre Forschungsprojekte und will neue Perspektiven auf das Thema ermöglichen. Daraus ist auch ein Netzwerk hervorgegangen, das den Austausch von Forschern aus Teildisziplinen fördert. Prof. Dr. Christoph Schroeder ist im Team Experte für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Natalia Zakharova ist Doktorandin am SVM.
Eine Besonderheit der Integrationskurse ist die Vielfalt der Teilnehmer: Sie unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf ihre Herkunft, ihren Bildungsgrad und ihr sprachliches Vorwissen, sondern auch in Bezug auf die Gründe, ihre Heimat zu verlassen und die Pläne, die sie mit ihrer Migration nach Deutschland verbinden. Und während einige freiwillig teilnehmen, sind andere dazu verpflichtet und müssen mit rechtlichen Folgen rechnen, wenn sie den Test nicht mit "ausreichenden Deutschkenntnissen" abschließen. Sie alle absolvieren einen Kurs mit einheitlichem Lehrplan, weitgehend einheitlichen Lehrbüchern und einheitlichem Abschlusstest.
Diese hohe Heterogenität birgt besondere Anforderungen an den Lehrplan und die Methoden der Sprachvermittlung. In den Jahren der Vorbereitungsphase der Integrationskurse gab es einen interessanten Vorschlag der Sprachwissenschaftler Utz Maas und Ulrich Mehlem: Deutschland sei ein Land mit ausgeprägter Schriftlichkeit. Einwanderer müssten sich demnach vor allem in der schriftlichen Kommunikation zurechtfinden, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, sich also integrieren zu können. Die Kurse sollten in erster Linie darauf ausgerichtet sein. Ohne dass es hier eine Diskussion gab, ließ das BAMF eine weitere Expertise vom Goethe-Institut erstellen. Diese sah den Bedarf der Teilnehmer vor allem in der mündlichen Kommunikation. Letzteres wurde in das 2008 veröffentlichte Rahmencurriculum aufgenommen.
Wie erfolgreich sind die Integrationskurse?
Wie die Erfahrungen angesichts dieser hohen Vielfalt und sich stets verändernden Lerngruppen sind, wissen wir nicht: Das Bundesamt diskutiert und evaluiert das Curriculum nicht. Eine Bewertung der Integrationskurse anhand der Testergebnisse führt zu ähnlichen Fragen. In einer frühen Phase der Kurse, 2006, wurde das Institut Rambøll Management mit einem externen Gutachten beauftragt. Es wies darauf hin, dass nur etwa die Hälfte der Teilnehmer innerhalb von 600 Stunden die im Test verlangte Niveaustufe B1 ("ausreichende Deutschkenntnisse") erreichten. Die meisten, denen dies gelang, hatten ein höheres Bildungsniveau und brachten bereits Deutschkenntnisse mit.
Das lässt folgende Deutung zu: Gerade die bildungsfernen Einwanderer, die die Kurse am nötigsten hatten, profitierten am wenigsten von ihnen. Diejenigen, die aufgrund ihrer Bildung oder Vorkenntnisse ohnehin erfolgreich Deutsch gelernt hätten, waren auch hier erfolgreich. Hat sich daran inzwischen etwas geändert?
2013 schlossen 58 Prozent der Teilnehmer den Integrationskurs mit einer Bescheinigung über "ausreichende Deutschkenntnisse" (Niveau B1 des "Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens" GER) ab. 33 Prozent erreichten lediglich "hinreichende Deutschkenntnisse" (Niveau A2 des GER), der Rest blieb darunter.Quelle
Damit erreichten nicht viel mehr Prüfungsteilnehmer das anvisierte Niveau B1 als 2006. Geändert hat sich allerdings, dass mit dem Niveau A2 ein zweites Kompetenzlevel eingeführt wurde, das jedoch eigentlich wertlos ist, da es nicht ausreicht, um mögliche rechtlichen Sanktionen zu verhindern. Auch ist das BAMF inzwischen davon abgerückt, externe Gutachten erstellen zu lassen. Eine unabhängige Evaluierung der Kurse findet nicht mehr statt.
Die Diskrepanzen, auf die das Gutachten von 2006 hingewiesen hatte, hätten vor allem zielgruppenorientierte Kurse für Teilnehmer mit besonderem Förderbedarf erfordert. 2006 machten sie etwa 10 Prozent aller Integrationskurse aus, inzwischen sind es knapp 20 Prozent. Ob das dem Bedarf entspricht, ist unklar: Die Kursträger – die wirtschaftlich zu denken haben – tun sich mit dem erhöhten Organisations-, Konzeptions- und Kostenaufwand der spezifischen Kurse schwer. Sie erhalten vom BAMF einen Betrag von 2,94 Euro pro Unterrichtseinheit und anwesenden Teilnehmer. Entsprechend müssen sie die Kurse auffüllen. Als Lehrkräfte werden in der Regel nur Honorarkräfte angestellt. Diese werden mit 20 bis 25 Euro pro Unterrichtsstunde bezahlt – was zu prekären Arbeitsbedingungen führt.
Sprach- oder Integrationskurse?
Eine kritische Würdigung der Integrationskurse darf aber eigentlich nicht dabei stehen bleiben, sie als reine Sprachkurse zu betrachten. Wie sollen wir sie also als Integrationskurse bewerten?
Fraglos erwerben inzwischen mehr Einwanderer Deutschkenntnisse als vor der Einführung der Integrationskurse. Aber wie effektiv ist das? Hilft es ihnen, mehr am gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik teilhaben zu können, etwa dadurch, dass sie wirtschaftlich selbstständig sind? Und liegt das daran, dass sie „ausreichende deutsche Sprachkenntnisse“ nachweisen können, die sie sonst nicht erworben hätten? Diese Fragen bleiben unbeantwortet. Vielleicht sind sie so global auch nicht beantwortbar, denn es sind viele Faktoren, die zu einer „erfolgreichen Integration“ führen. Eine Schlüsselfunktion erfüllt dabei die Sprache, aber keinesfalls die einzige.
Es ist und bleibt ein großer Fortschritt, dass ein Staat Einwanderern das Recht auf einen Deutsch- und einen Orientierungskurs garantiert. Andererseits aber hat Deutschland sich damit, dass es diese Kurse als Integrations- und nicht als Sprachkurse deklariert und sich vorbehält, mit dem Abschluss einschneidende Sanktionen zu verbinden, einer gewichtigen Aufgabe entzogen: Es überlässt die Verantwortung, sich zu "integrieren" den Migranten. Und "Integration" bedeutet in den Augen des Staates vor allem, dass die Migranten „messbar“ Deutsch zu lernen haben.
Insgesamt lässt die zentralisierte Steuerung der sprachlichen Förderung und der Weiterentwicklung der Kurse zu wenig Raum für Vielfalt und Veränderung. Den sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen der Teilnehmer wird ein hohes Maß an Standardisierung gegenübergestellt. Profitieren wirklich diejenigen, die es nötig haben? Diese entscheidende Frage stellen sich die Verantwortlichen offenbar nicht.
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