„Migrationshintergrund“ verwenden
Was steckt hinter dem Begriff „Migrationshintergrund“? Wann ist ein Migrationshintergrund in der Berichterstattung erwähnenswert, wann nicht? Eine Orientierungshilfe für Journalist*innen.
BEI DER RECHERCHE
Achtung bei Statistiken und Definitionen:Neben der Statistik zum „Migrationshintergrund“ gibt es mittlerweile eine weitere Statistik:
• Es gibt einerseits den klassischen „Migrationshintergrund
Mit dieser Statistik arbeiten etwa das Statistische Bundesamt im Mikrozensus und die Arbeitsagentur.
": Personen, die selbst oder von denen mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden, haben einen Migrationshintergrund. Zentrales Definitionsmerkmal ist hier also die eigene oder elterliche Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Geburt.
• Das Statistische Bundesamt arbeitet parallel dazu auch mit der neuen Kategorie „Menschen mit Einwanderungsgeschichte“. Dazu zählen Personen, die selbst oder deren Eltern beide seit 1950 zugewandert sind. Zentral ist hier also die eigene oder elterliche Migrationserfahrung und nicht die Staatsangehörigkeit. Der neue Integrationsbericht aus dem Dezember 2024 verwendet vorwiegend diese Kategorie.
• Einige Statistiken verwenden die Begriffe mit eigenen Definitionen, etwa das Panel SOEP
LINK, siehe Fußnote 1
oder einige Schulstatistiken
Migrationshintergrund wird hier über Sprache definiert, vgl. Berliner Schulstatistik
.
Journalist*innen sollten also darauf achten, welche Statistik und welche Definition den eigenen Quellen zugrunde liegt. Denn die Zahlen unterscheiden sich: Es gibt 24,9 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, aber nur rund 21,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte (Stand 2024). Mehr dazu hier.
Klären, was die Nennung des Migrationshintergrunds aussagen soll: Der Begriff Migrationshintergrund umfasst in Deutschland 24,9 Millionen Menschen – das ist fast ein Drittel der Bevölkerung. Bei Kindern unter 6 Jahren hat fast jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund. Die Gruppe ist also sehr groß, die Nennung des Migrationshintergrunds entsprechend aussageschwach. Bei der Recherche kann man sich fragen: Was will ich konkret mit der Nennung des Migrationshintergrunds aussagen? Meistens gibt es präzisere Beschreibungen. Zum Beispiel: Die beschriebene Person ist geflüchtet, hat Rassismus-Erfahrungen gemacht, spricht Deutsch nicht als Erstsprache usw.
Protagonistinnen und Protagonisten nach ihrer Selbstbezeichnung fragen: Eine Möglichkeit ist, die Protagonist*innen selbst zu fragen, wie sie sich nennen würden und die Selbstbezeichnung zu verwenden. Ein Beispiel: Schwarze Menschen in Deutschland bezeichnen sich vorwiegend als Schwarze, Afrodeutsche oder People of Colour.
Bei Unsicherheiten: Der Mediendienst unterstützt Journalist*innen in der Berichterstattung. In Hintergrundgesprächen können wir Ihnen Einordnungen bieten, außerdem vermitteln wir auf Anfrage innerhalb von einer halben Stunde Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft für die Berichterstattung. Für diese Expertenvermittlung führen wir eine hauseigene Datenbank mit über 1800 Fachleuten.
IM ARTIKEL
Korrekte Bezeichnung: Die eigenen Quellen prüfen – wird dort mit „Migrationshintergrund“ oder mit „Einwanderungsgeschichte“ gearbeitet? Mehr zum Unterschied hier.
Migrationshintergrund nicht mit Rassismuserfahrungen gleichsetzen: Viele Menschen mit Migrationshintergrund erfahren Diskriminierung. Aber: Nicht alle Menschen, die Diskriminierung erfahren, haben auch einen Migrationshintergrund. So gibt es etwa Schwarze Personen, Sinti*zze und Rom*nja oder Muslim*innen, die Deutsche ohne Migrationshintergrund sind und von Diskriminierung betroffen sind. Zu den verschiedenen Diskriminierungsformen siehe: Anti-Schwarzer Rassismus, Anti-Asiatischer Rassismus, anti-muslimischer Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus und Antislawischer Rassismus.
Migrationshintergrund nicht mit bestimmter sozialer Situation gleichsetzen:Menschen mit Migrationshintergrund werden in Deutschland strukturell benachteiligt – das zeigen Forschungsergebnisse der letzten Jahre. Zu den Benachteiligungen etwa auf dem Job- oder Wohnungsmarkt siehe hier. Dennoch sollte „Migrationshintergrund“ nicht synonym für eine schlechte soziale Lage gesetzt werden. Denn Personen mit Migrationshintergrund sind zwar häufiger und somit wahrscheinlicher, aber eben nicht notwendigerweise prekären Lebensbedingungen ausgesetzt.
LINKS & QUELLEN

• MEDIENDIENST Artikel (2023): Kein Abschied vom Migrationshintergrund
• MEDIENDIENST Zahlen und Fakten: Migration/Bevölkerung
https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/MEDIENDIENST_Herkunftsnennung_Expertise_Walburg_Singelnstein_final.pdf