"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU)

Von 2000 bis 2007 verübten die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zehn rechtsextreme Morde – die größte rechte Mordserie der Bundesrepublik. Lange verkannten Behörden die Motive und verdächtigten Angehörige der Opfer.

"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ist die Selbstbezeichnung einer rechtsextremen Terrorgruppe, die in den späten 1990er Jahren bis 2011 rassistische Morde und Sprengstoffanschläge sowie Raubüberfälle verübte. Bisher werden dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge, 15 bewaffnete Raubüberfälle sowie eine Brandstiftung zugerechnet. Hinzu kommen mehrere Mordversuche. Neun der zehn Mordopfer kamen aus Einwandererfamilien.QuelleNebenklage NSU-Prozess (2017): Protokoll zum "Plädoyer der Bundesanwaltschaft 1. Tag" 

Der NSU-Komplex ist einer der größten Skandale der Nachkriegszeit – auch, weil Polizei und Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zur rassistischen Mordserie eklatant versagten: Jahrelang haben sie Angehörige und Bekannte der Opfer verdächtigt. Zudem wurden Akten vernichtet sowie Hinweise von V-Leuten nicht weitergegeben.

Selbstenttarnung

Am 4. November 2011 töteten sich die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im thüringischen Eisenach, nachdem sie von Polizisten in ihrem Wohnmobil entdeckt worden waren. Dort hatten sie sich nach einem Banküberfall versteckt. Kurze Zeit später legte Beate Zschäpe einen Brand in einer Zwickauer Wohnung, die den dreien über Jahre als Versteck gedient hatte. Durch gefundene und verschickte Bekennervideos wurde klar, dass sich die mutmaßlichen Terrorist*innen als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bezeichneten. 

Die Morde

  • Enver Şimşek (9. September 2000, Nürnberg)
  • Abdurrahim Özüdoğru (13. Juni 2001, Nürnberg)
  • Süleyman Taşköprü (27. Juni 2001, Hamburg)
  • Habil Kılıç (29. August 2001, München)
  • Mehmet Turgut (25. Februar 2004, Rostock)
  • İsmail Yaşar (9. Juni 2005, Nürnberg)
  • Theodoros Boulgarides (15. Juni 2005, München)
  • Mehmet Kubaşık (4. April 2006, Dortmund)
  • Halit Yozgat (6. April 2006, Kassel)
  • Michèle Kiesewetter (25. April 2007, Heilbronn)

Die Sprengstoffanschläge

  • SprengstoffanschlagDer Anschlag ist im Münchener NSU-Prozess nicht zur Anklage gekommen: Die Bundesanwaltschaft leitete zwar Ermittlungen ein, verzichtete aber aus "verfahrensökonomischen Gründen" darauf, die Tat anzuklagen im Lokal eines türkeistämmigen Inhabers (23. Juni 1999, Nürnberg)
  • Sprengstoffanschlag auf das Lebensmittelgeschäft einer iranischstämmigen Familie (19. Januar 2001, Köln)
  • Nagelbombenanschlag in der Keupstraße, in der überwiegend türkeistämmige Menschen lebten und arbeiteten (9. Juni 2004, Köln)

Juristische Aufarbeitung

Wegen mutmaßlicher Unterstützung des NSU läuft in Dresden seit 2025 ein Strafverfahren des Generalbundesanwalts gegen Susann E. (Verhandlungsbeginn: November). Sie ist die Ehefrau des in München verurteilten André E. und soll den NSU-Terroristen Bahncards besorgt und Beate Zschäpe ihre Krankenkassenkarte geliehen haben. Zudem gab es 2025 Medienberichten zufolge eine Strafanzeige gegen einen mutmaßlichen Helfer der Terrorzelle, Matthias D.. Er soll vor einem Untersuchungsausschuss in Bayern eine Falschaussage gemacht haben. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dazu dauern an (Stand: Oktober 2025).QuelleMedienservice Sachsen (2025): "Beginn der Hauptversammlung gegen Susann E.", LINK; Bayerischer Rundfunk (2025): "NSU-Komplex: Anzeige wegen Falschaussage gegen Zeugen", LINK; Staatsanwaltschaft München I auf Anfrage des Mediendienst im Oktober 2025

Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe und Unterstützer

2013 begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) München der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche UnterstützerZu den Mitangeklagten gehören: Ralf W., Holger G., André E. und Carsten S. des Terrornetzwerks. 91 Opfer und Angehörige waren Nebenkläger*innen. Im Juli 2018 wurde die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt – unter anderem wegen mehrfachen Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Gericht stellte die besondere SchwereEine lebenslange Haft kann in der Regel nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Stellt das Gericht aber die besondere Schwere der Schuld fest, kann der Täter nur in Ausnahmefällen vorzeitig aus der Haft entlassen werden – etwa bei hohem Alter oder schwerer Krankheit. Dass Beate Zschäpe nach 15 Jahren freikommt, ist daher unwahrscheinlich. ihrer Schuld fest.QuelleOberlandesgericht München auf Anfrage des MEDIENDIENSTES, 05.07.2018

Drei Mitangeklagte wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie das Terrornetzwerk unterstützt und/oder Beihilfe zum Mord geleistet haben: Ralf W., Holger G., und André E. Der vierte Mitangeklagte, Carsten S., erhielt eine Jugendstrafe von drei Jahren. André E. und Ralf W. wurden kurze Zeit nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassensiehe Oberlandesgericht München: Pressemitteilung 80 vom 11.07.2018 und Pressemitteilung 84 vom 18.07.2018.

Frühestens nach 15 Jahren kann die lebenslange Haft zur Bewährung ausgesetzt werdenihrer Schuld fest. Drei Mitangeklagte wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt: Ralf W. zu 10 Jahren, Holger G. zu 3 Jahren und André E. zu 2 Jahren und 6 Monaten. Der vierte Mitangeklagte, Carsten S., erhielt eine Jugendstrafevon 3 Jahren. André E.und Ralf Wohllebenwurden kurze Zeit nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen.QuelleOberlandesgericht München:Pressemitteilung 78vom 11.07.2018,Pressemitteilung 80vom 11.07.2018 undPressemitteilungvom 18.07.2018ihrer Schuld fest. Die Verteidiger aller Angeklagten haben Revisiongegen die Urteile eingelegt. Das heißt: Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig und müssen vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe geprüft werden. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist unklar. Auch die Bundesanwaltschaft hat Revision eingelegt, allerdings nur gegen das Urteil gegen André E.: Für ihn hatte die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft gefordert.QuelleNebenklage NSU-Prozess:Pressemitteilungvom 26.07.2018ihrer Schuld fest.

Vertreter*innen der Nebenklage haben den Ausgang des Prozesses deutlich kritisiert: Die Urteile gegen André E. und Ralf W. seien zu milde ausgefallen. Zudem seien im Prozess viele Fragen unbeantwortet geblieben. So sei unklar geblieben, nach welchen Kriterien der NSU seine Opfer ausgesucht hat und inwieweit Behörden für die Taten mitverantwortlich waren. Zudem habe die Bundesanwaltschaft zu wenig getan, um Unterstützer*innen oder Mittäter*innen aus der rechten Szene ausfindig zu machen. Stattdessen habe sie an ihrer These festgehalten, der NSU habe lediglich aus dem "Trio" Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bestanden.QuelleNebenklage NSU-Prozess: Pressemitteilung vom 11.07.2018; Interview des MEDIENDIENSTES mit dem Nebenklageanwalt Carsten Ilius, Oktober 2016; Mehmet Daimagüler (2018): "Empörung reicht nicht! Unser Staat hat versagt. Jetzt sind wir dran"; Antonia von der Behrens (2018): "Kein Schlusswort. Plädoyers im NSU-Prozess"

Untersuchungsausschüsse

Unabhängig vom Gerichtsverfahren in München wurden auf Bundes- und Landesebene mehrere Untersuchungsausschüsse eingerichtet. Die meisten haben ihre Arbeit abgeschlossen. Nur in Mecklenburg-Vorpommern ist noch ein Ausschuss im Einsatz, der neben dem NSU weitere rechtsterroristische Strukturen  untersucht. In einem Forschungsbericht (2025) haben Wissenschaftler*innen analysiert, inwiefern die Empfehlungen aus den Untersuchungsausschüssen politisch umgesetzt wurden. Das Ergebnis ist ambivalent, die Expert*innen sehen erhebliche Umsetzungsdefizite und fehlende Informationen. Die Untersuchungsausschüsse im Überblick:

  • Auf Bundesebene tagten zwei NSU-Untersuchungsausschüsse (Abschlussbericht I 2013, Bericht II 2017). Im zweiten Ausschuss krisitisierten die Abgeordneten die von der Generalbundesanwaltschaft vertretene These, der NSU sei lediglich ein "Trio" gewesen. Zudem stellte der Ausschuss weitreichende Mängel bei der strafrechtlichen Aufklärung der Mordserie fest.
  • Untersuchungsausschüsse auf Länderebene:
    • Baden-Württemberg:Bericht des ersten Ausschusses (2016); Bericht des zweiten Ausschusses (2019)
    • BayernBericht des ersten Ausschusses (2013), Bericht des zweiten Ausschusses (2023)
    • Brandenburg: Abschlussbericht (2019)
    • Hessen: Die beteiligten Landtagsfraktionen präsentierten jeweils eigene Berichte (2018).
    • Nordrhein-Westfalen: Schlussbericht (2017)
    • Mecklenburg-Vorpommern: Zwischenbericht erster Ausschuss (2021), zweiter Ausschuss tagt noch (Stand: September 2025)
    • Sachsen: Bericht des ersten Ausschusses (2012), Zweiter Ausschuss (2019, CDU/SPD sowie Grüne/Linke legten jeweils unterschiedliche Berichte vor)
    • Thüringen: Bericht des ersten Ausschusses (2014), Bericht des zweiten Ausschusses (2019)
    • Hamburg hat als einziges Bundesland, in dem die Terrorgruppe einen Mord verübte, keinen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Seit 2025 untersucht dort ein Forschungsteam den NSU-Komplex.

Weitere Informationen

  • Im Mai 2025 eröffnete in Chemnitz unter dem Namen Offener Prozess ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex.
  • Die Website "NSU-Watch" begleitete den NSU-Prozess in München und hat Protokolle zu fast allen Verhandlungstagen veröffentlicht.
  • Auf der Website "NSU Nebenklage" berichteten zwei Nebenklage-Anwälte vom Prozess.
  • Weitere Blogs zum Prozess finden sich bei Zeit Online und beim Bayerischen Rundfunk (BR).
  • Wie Betroffene den NSU-Prozess und die Arbeit der Untersuchungsausschüsse wahrnehmen, hat der Historiker Massimo Perinelli im Interview mit dem Mediendienst erklärt.
  • Welche Lehren die Sicherheitsbehörden gezogen haben, haben wir 2021 in diesem Artikel erläutert.
  • Einen Überblick von Büchern zum NSU bieten zwei ArtikelArtikel vom 28.10.2016 und Artikel vom 08.05.2018 des Mediendienstes.