Anfang 2010 machte eine Meldung die Runde: Der Wissenschaftsrat empfehle der Politik, Hochschulzentren für islamisch-theologische Forschung einzurichten. Deutschland brauche eine "fundierte Ausbildung von Religionsgelehrten" an staatlichen Hochschulen. Hintergrund war die steigende Zahl von Schulversuchen mit Islamkunde oder bekenntnisorientiertem Religionsunterricht für Muslime. Zu dieser Zeit wurden lediglich an der Universität Münster einige wenige Lehrer für islamischen Religionsunterricht ausgebildet. Inzwischen hat sich das geändert.
Für eine flächendeckende Einführung islamischen Religionsunterrichtes in Deutschland werden rund 2.000 Lehrkräfte benötigt, so das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Nach dem Aufruf des Wissenschaftsrats stellte das Ministerium rund 20 Millionen Euro für fünf Jahre zur Verfügung, um vier Zentren für islamische Theologie einzurichten. Dabei handelt es sich um (gemeinsame) Zentren der Universitäten
Prof. Dr. Bülent Uçar, Direktor des Ende 2012 eröffneten Instituts für Islamische Theologie (ITT) an der Universität Osnabrück, spricht von einem Paradigmenwechsel. "Das Angebot der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten zeigt, dass Muslime hier sesshaft und damit ein Teil Deutschlands geworden sind." Das ITT Osnabrück wurde am 30. Oktober 2012 als letzte der vier geplanten Einrichtungen eröffnet.
Die vier Zentren für Islamische Theologie sind teilweise noch im Aufbau. Die Ziele sind aber an allen Universitäten dieselben: Es sollen islamisch-theologische Wissenschaftler ausgebildet werden, die tätig werden als
- Imame und Seelsorger
- Lehrer
- Nachwuchstheologen in der akademischen Forschung
Neben Lehrern ist also auch die Ausbildung von Imamen ein zentrales Anliegen der neuen Institute. In Osnabrück wird es allerdings noch bis 2020 dauern, bis die ersten rund 100 Studenten ihre Abschlüsse als islamische Geistliche erhalten werden, sagt Bülent Uçar. Dafür müssen sie nach dem fünfjährigen Studium eine zweijährige praktische Tätigkeit an einer theologischen Akademie absolvieren, ähnlich einem Priesterseminar für Katholiken oder dem Vikariat für Protestanten. Doch hier wird es kompliziert: Für muslimische Theologen gibt es in Deutschland noch keine adäquate Ausbildungsstätte, sagt Institutsdirektor Uçar. Er bleibt dennoch optimistisch, dass dafür bald eine Lösung gefunden wird.
Die für die Lehrerausbildung notwendige islamische Religionspädagogik wird zurzeit nur an den Zentren Erlangen und Osnabrück-Münster angeboten. An den Instituten Frankfurt-Gießen und Tübingen befindet sich das Lehramtsstudium noch im Aufbau.
Bachelor, Master oder Staatsexamen
Islamische Theologie kann entweder als ein dreijähriger Bachelor-Studiengang belegt oder auf fünf Jahre angelegt mit einem Master abgeschlossen werden. Der Masterstudiengang ist an einigen Zentren noch in Planung. Um als Lehrer für islamische Religion arbeiten zu können, muss das Lehramtsstudium nach fünf Jahren mit einem Staatsexamen abgeschlossen werden. Zum Inhalt des Studiums der islamischen Theologie gehören (entsprechend der Empfehlung des Wissenschaftsrates) in jedem Fall:
- Genese der schriftlichen Quellen des Islam
- Systematische Theologie, inkl. Mystik, Ethik und Philosophie
- Islamisches Recht
- Gesellschaften und Kulturen des Islam in Geschichte und Gegenwart
- Religionspädagogik
Wichtig vor dem Hintergrund der Diskussionen um Islam und Muslime ist, dass das Studium auch den Islam im europäischen Kontext erforschen will und einen interreligiösen Vergleich vorsieht. Hierbei ist eine Kooperation mit christlichen Theologien und benachbarten Wissenschaften vorgesehen.
Bis eine flächendeckende Einführung des islamischen Religionsunterrichtes möglich wird, müssen noch unzählige Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden. Dass das Fach in den meisten Bundesländern noch nicht unterrichtet wird, liegt aber nicht an fehlendem Lehrpersonal, sondern vielmehr daran, dass die islamischen Verbände nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt sind. Sie erfüllen somit verfassungsrechtlich noch nicht die Voraussetzung, bekenntnisorientierten Religionsunterricht an staatlichen Schulen erteilen zu dürfen, wie etwa die christlichen Kirchen. Bis sie als Religionsgemeinschaft anerkannt werden, gibt es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen die Übergangslösung eines islamischen Beirates, der als Ansprechpartner fungiert und die Lehrinhalte mitbestimmt. NRW hat im Schuljahr 2012/2013 als erstes Bundesland den islamischen Religionsunterricht als ordentliches Fach eingeführt.
Von Kemal Hür