Migration im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1918

Im Deutschen Kaiserreich gab es sowohl Aus- als auch Einwanderungsbewegungen: Für die Industrialisierung wurden Arbeitskräfte benötigt, gleichzeitig erleichterten schnellere Transportwege und eine zunehmende Globalisierung die Auswanderung.

Kolonialismus und Migration

Britische und französische Siedlungskolonien, der Sklavenhandel und die Migration innerhalb des Commonwealth sind Beispiele dafür, dass Kolonialismus und Migration eng miteinander verbunden sind. Dies gilt auch in kleinerem Umfang für das Deutsche Reich: Bis 1914 ließen sich etwa 23.000 Deutsche in den Kolonien nieder. Zugleich wurden Schwarze Menschen in Deutschland sichtbarer, 1890 lebten schätzungsweise 150 in Hamburg sowie 1903 rund 200 in Berlin. Mehr zur Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland hier.QuelleFélix-Eyoum und Wagner (2021): "Das verdrängte Politikum. (Post-)Koloniale Migration nach Deutschland", zeitgeschichte-online, LINK; Lebendiges Museum Online: "Kolonialpolitik", LINK; Aitken (2022): "Black in Germany", bpb, LINK

Landflucht und Urbanisierung

Mit dem 19. Jahrhundert begann auch in Deutschland die Industrialisierung, die Bevölkerung wuchs stark. So setzte eine Verstädterung der landwirtschaftlich geprägten Gebiete ein und die Städte wuchsen rasant: 1871 gab es acht Städte im Deutschen Reich, die mehr als 100.000 Einwohner*innen hatten, 1910 waren es 48. Es begann eine umfangreiche Binnenwanderung, mit der "Landflucht" zogen viele Menschen von den Dörfern in die Städte. Zuwanderung von Ausländer*innen machte nur einen kleinen Teil aus: 2,4 Prozent der 2 Millionen Berliner*innen kamen 1907 aus dem Ausland.QuelleLebendiges Museum Online (2022): "Urbanisierung im Deutschen Reich", LINK

Dienstmädchenmigration – ein internationaler Arbeitsmarkt

Auch junge Frauen und Mädchen aus unteren sozialen Schichten zogen vermehrt in die Städte. Hier arbeiteten sie als Dienstmädchen in bürgerlichen Haushalten. Das Besondere an dieser Migration war, dass alleinstehende Frauen international so mobil wurden wie nie zuvor: Der Arbeitsmarkt für deutsche Dienstmädchen erstreckte sich in die europäischen Hauptstädte und sogar nach Übersee. Besonders attraktiv waren Städte wie Berlin, Paris, Budapest und Wien. In Paris kamen im Jahr 1901 rund 7.600 der 17.700 ausländischen Dienstbotinnen aus Deutschland.Quellevgl. Mediendienst Integration (2022): „Frauen in der Migrationsgeschichte“, LINK

Arbeiter*innen für die Industrialisierung

Die Hochphase der Industrialisierung begann im Deutschen Reich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Es wurden verstärkt Arbeitskräfte gebraucht: Innerhalb weniger Jahre wurde das Deutsche Reich so vom Auswanderungsland zum weltweit zweitwichtigsten Einwanderungsland nach den USA. So wanderten etwa die sogenannten "Ruhrpolen" aus dem damals preußischen Teil Polens in das westdeutsche Industriegebiet ein. Sie waren polnischsprachige preußische Staatsbürger*innen, es handelte sich also um Binnenmigration. Auch Ostpreußen wurde Ziel von Wanderarbeiter*innen aus dem russischen Teil Polens sowie aus Italien und Österreich-Ungarn. Vor allem die ausländischen Pol*innen stießen hier auf eine nationalistisch geprägte "Abwehrpolitik". 1914 gab es 1,2 Millionen ausländische Wanderarbeiter*innen im Deutschen Reich. Im Ersten Weltkrieg wurden weiter ausländische Arbeiter*innen angeworben. Hinzu kamen 1,5 Millionen Kriegsgefangene, die zur Arbeit in Deutschland gezwungen wurden.QuelleBade et al (Hrsg., 2010): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 3. Auflage, S. 149-152.