Deutschland

Schutzquote für Uiguren liegt bei 96 Prozent

Wie viele Uiguren beantragen Asyl in Deutschland? Wie hat sich in den letzten zehn Jahren die Schutzquote entwickelt? Der MEDIENDIENST hat die Zahlen recherchiert.

Altstadt in der Stadt Kaschgar in der westchinesischen Provinz Xinjiang. Foto: dpa

Hunderttausende Uiguren werden laut Enthüllungen von internationalen Medien in "Umerziehungslagern" der chinesischen Regierung festgehalten. Die chinesische Regierung wirft den Angehörigen der Minderheit vor, sie seien vom "Virus des radikalen Islamismus" infiziert. Die Bundesregierung zeigte sich besorgt. Deutschland und andere europäische Länder haben China für die Inhaftierungen kritisiert.QuelleNew York Times, ‘Absolutely No Mercy’: Leaked Files Expose How China Organized Mass Detentions of Muslims, November 2019

Wie viele Uiguren weltweit auf der Flucht sind, ist nicht bekannt. Auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR erfasst keine Daten dazu. Für Deutschland liegen jedoch Informationen vor. Schutzsuchende können im Asylverfahren angeben, ob sie einer Minderheit angehören. Seit 2010 haben rund 500 Uiguren Schutz in Deutschland gesucht, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem MEDIENDIENST mitteilte (siehe Tabelle). Die Zahl der Asylanträge ist zuletzt deutlich gestiegen: von 31 im Jahr 2017 auf 149 in den ersten zehn Monaten 2019. Auch die Schutzquote ist in den vergangenen Jahren gestiegen: Von rund 32 Prozent im Jahr 2015 auf etwa 96 Prozent im laufenden Jahr.QuelleBundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Anfrage des MEDIENDIENSTES

Die meisten Uiguren, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, kommen nicht direkt aus China, sagt Rune Steenberg, Anthropologe an der Universität Kopenhagen. Steenberg hat lange in der west-chinesischen Provinz Xinjiang geforscht und begleitet häufig Uiguren im Asylverfahren in Deutschland.

"Die Uiguren, die derzeit Europa erreichen, haben vorher in der Türkei gelebt", sagt Steenberg. Schon im frühen zwanzigsten Jahrhundert sind einige Tausend Uiguren in die Türkei übergesiedelt. Nach der Entstehung der Volksrepublik 1949 sind noch mehr Uiguren in Richtung Türkei ausgewandert – eine Migrationsbewegung, die in den vergangenen Jahren noch stärker geworden ist. Uiguren-Verbände in der Türkei schätzen, dass die Community derzeit ungefähr 35.000 Personen zählt.QuelleAbdürreşit Celil Karluk, Uyghur refugees living in Turkey and their problems, in "Exchange of Experiences for the Future: Japanese and Turkish Humanitarian Aid and Support Activities in Conflict Zones", November 2018 und REUTERS, Without papers, Uighurs fear for their future in Turkey, März 2019

"Die türkische Regierung pflegt seit einigen Jahren eine bessere Beziehung zu China", sagt Steenberg. Das habe unter anderem dazu geführt, dass Uiguren neuerdings in Abschiebungshaft genommen werden. Es sollen bereits mehrere Hundert sein. Sie befürchten, dass sie nach China abgeschoben werden. "Die Uiguren in der Türkei fühlen sich nicht mehr sicher. Deshalb suchen viele von ihnen Schutz in Europa – vor allem in Schweden, Norwegen und Deutschland", so der Anthropologe.QuelleFinancial Times, Turkey’s Uighurs fear for future after China deportation, August 2019

UIGUREN UND XINJIANG
Rund neun Millionen Uiguren leben in der westlichsten Provinz Chinas Xinjiang. Sie gehören einer Minderheit an, die vor etwa Tausend Jahren über einen Großteil Zentralasiens herrschte. Die meisten Uiguren sind Muslime. Seit den fünfziger Jahren übt die Regierung der Volksrepublik China eine zunehmend starke Kontrolle über die Region aus. Unter anderem sind viele Chinesen aus dem Osten nach Xinjiang gezogen: Der Anteil von Ost-Chinesen in der Region ist in der Nachkriegszeit von sechs auf 40 Prozent gestiegen. Die Region ist wegen ihrer Bodenschätze (vor allem Öl und Gas) von strategischer Bedeutung für die Regierung. 2009 gab es in Xinjiang Proteste, die von der chinesischen Regierung blutig unterdrückt wurden. 2014 gab es in China eine Welle terroristischer Attacken, die Uiguren zugeschrieben wurde. Seitdem wurden Polizeikontrollen in der Region verstärkt und viele Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen.

Von Fabio Ghelli