Seit 2021 versuchen vermehrt Migrant*innen mit Unterstützung der belarusischen Regierung, über Belarus in die EU zu kommen. Ab Mai 2021 kamen die meisten zunächst über Litauen, ab August 2021 fast nur noch über Polen (Chronologie siehe unten). Polens Grenzpolizei zählte in der ersten Jahreshälfte wieder mehr versuchte Grenzübertritte aus Belarus.
Einige Personen, die über Belarus nach Polen kommen, reisen von dort aus weiter nach Deutschland; besonders viele von ihnen wurden von der Bundespolizei im Herbst 2021 und Sommer 2023 festgestellt
Humanitäre Krise im polnisch–belarusischen Grenzgebiet
Seit August 2021 herrscht im polnisch–belarusischen Grenzgebiet eine humanitäre Krise.
Zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien in Polen gehen inzwischen von mindestens 50 Todesfällen auf polnischer Seite (Stand: Juli 2024) aus; hinzu kommen Todesfälle auf belarusischer Seite infolge von Pushbacks. Insgesamt gehen Vertreter*innen der zivilgesellschaftlichen Organisation Grupa Granica von bis zu 80 Todesfällen aus (Stand: Juli 2024).Quelle
An der Lage hat auch der polnische Regierungswechsel nichts geändert: Seit Mitte Dezember 2023 bis Anfang Juni 2024 soll Polens Grenzschutz mehr als 7.000 Personen "an die belarusische Grenzlinie zurückgebracht" haben ("Pushbacks").Quelle
Die Gewalt zwischen Grenzbeamten und Geflüchteten an der polnisch–belarusischen Grenze eskaliert dieses Jahr zunehmend: Im Mai kam ein polnischer Grenzbeamter durch einen Messerstich zu Tode; auch gab es Berichte über Schussverletzungen, die Grenzbeamte in Polen Geflüchteten zugefügt haben sollen. Die polnische Regierung richtete diesen Juni wieder eine mindestens 200m breite Sonderzone entlang der polnisch–belarusischen Grenze ein, die etwa Vertreter*innen von Medien und NGOs das Betreten erschwert.
Seit Anfang 2023 bis Mitte Juni 2024 zählte Grupa Granica mehr als 3.000 Hilfsgesuche von Geflüchteten, die auf der polnischer Seite der Grenze in Not gerieten. Die hohe Zahl der Hilfsgesuche zeigt: Viele Menschen kommen weiterhin über Belarus nach Polen. Quelle
Chronologische Übersicht der ersten 12 Monate:
- Frühjahr 2021, Einreisen vor allem nach Litauen: Im Mai 2021 kündigt der belarusische Präsident Lukashenko an, Migrant*innen nicht mehr an der Ausreise in die EU zu hindern. Das belarusische Militär bringt Migrant*innen gezielt an die EU-Grenze, vor allem zu Litauen. Im Frühsommer überqueren mehrere Tausend Personen die Grenze nach Litauen und Lettland. Ende Juli 2021 registriert der litauische Grenzschutz täglich über 100 unerlaubte Einreisen. Litauen beginnt im Juli mit dem Bau eines Grenzzauns und kündigt an, ab August Migrant*innen an der Einreise zu hindern.Quelle
- Sommer und Frühherbst 2021, Route wechselt Richtung Polen: Nachdem am 1. August noch knapp 300 unerlaubte Einreisen von Belarus nach Litauen festgestellt werden, wechselt die Route die Richtung. Seitdem bringt das belarusische Militär die Migrant*innen vor allem an die EU-Grenze zu Polen. Die polnische Regierung erklärt das gesamte, mehrere hundert Kilometer lange Grenzgebiet zu Belarus zur Sperrzone. Der polnische Grenzschutz versucht, Migrant*innen daran zu hindern, die Grenze zu überqueren oder führt Pushbacks durch. Das belarusische Militär fängt die Menschen bei der Wiedereinreise ab und zwingt sie zurück zur Grenze. Viele Personen bleiben so im 'Niemandsland' im polnisch-belarusischen Grenzgebiet gefangen. Hilfsorganisationen wird der Zutritt zu den Geflüchteten verwehrt, erste Berichte über Todesfälle werden bekannt. Im Oktober 2021 steigt die Zahl der versuchten, unerlaubten Einreisen zeitweise auf über 700 pro Tag.Quelle
- November und Dezember 2021, Zahl der Einreisen geht zurück: Im November 2021 kündigt die EU Sanktionen für Fluglinien an, die Migrant*innen nach Belarus einfliegen. Zuvor war die Zahl der Flüge aus verschiedenen Regionen im Nahen Osten nach Belarus, vor allem dem Nordirak, der Türkei oder Dubai nach Minsk immer weiter gestiegen. Belarus förderte gezielt Einreisen ins Land. Viele Kurd*innen im Nordirak, sowie Syrer*innen und Afghan*innen, die zuvor als Geflüchtete im Libanon waren, nutzen die Möglichkeit. Nachdem einige Flugrouten nach Minsk eingestellt wurden, geht die Zahl der Migrant*innen, die über die Route in die EU kommen, deutlich zurück.Quelle
- Juli 2022: Die polnische Grenzmauer zu Belarus wird offiziell fertiggestellt und gleichzeitig die Sperrzone auf 200 Meter im unmittelbaren Gebiet an der Grenze beschränkt.
Wie kommen die Migrant*innen nach Belarus?
Es gibt weiterhin Reisebüros, die in verschiedenen Ländern vermeintlich touristische Angebote nach Belarus bewerben, mehrere Anbieter in Dubai, im Sommer 2022 beispielsweise im Sudan oder Ghana. Auch staatliche Reiseunternehmen aus Belarus bewarben touristische Angebote, wie Medien in Polen berichteten.Quelle
Einreise über Russland: Die meisten Flüge in Minsk kommen Stand Juni 2023 aus der Türkei oder Russland. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten seit Sommer 2022, dass immer mehr Migrant*innen, die über Belarus nach Polen kommen zuvor ein Studierenden-Visum in Russland hatten, darunter beispielsweise Menschen aus Ägypten, dem Jemen und der Demokratischen Republik Kongo. Ob es sich dabei um geflüchtete Studierende handelt, die sich bereits länger in Russland aufhalten, oder Menschen, die vor Kurzem über ein Studierenden-Visum eingereist sind, sei nicht klar.Quelle