Wiederholt plädierten deutsche und europäischer Politiker*innen dafür, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern.
2024 hat das Bundesinnenministerium von Sachverständigen prüfen lassen, ob Asylverfahren in Drittstaaten rechtlich und praktisch möglich sind. Ihr Fazit
- Asylverfahren in Drittstaaten erfordern umfangreiche Rechtsänderungen im nationalen sowie im EU-Recht.
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Bei Überstellungen in Drittstaaten müssen Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Asylsuchende vor Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung geschützt werden (non-refoulement, s. Box).Quelle
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Schutzsuchende müssen die Möglichkeit haben, im Drittstaat ein Schutzgesuch zu stellen. Zudem müssen sie die Möglichkeit haben, Argumente gegen die Überstellung vorzubringen.Quelle
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Die Betroffenen Personen müssen im Drittstaat ein Bleiberecht sowie Zugang zu ausreichenden Existenzmitteln haben (wirksamer Schutz).Quelle
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Die Überstellung eines Asylsuchenden in ein Land, zu dem sie oder er keinen Bezug hat, ist nach aktuellem EU-Recht nicht möglich (sogenanntes Verbindungselement).Quelle
- Nur eine kleine Anzahl von Drittstaaten käme für das Modell Frage.
Das Gutachten bestätigt das Ergebnis früherer Evaluationen.Quelle
Im Dezember einigten sich die Innenminister/innen der EU-Staaten (Rat der EU) und das Europäische Parlament darauf, dass das “Verbindungselement” nicht mehr bindend sein soll. Das heißt: EU-Mitgliedstaaten sollen künftig die Möglichkeit haben, Asylsuchende für das Asylverfahren in Drittstaaten zu überstellen – auch wenn die asylsuchende Person keinerlei eigene Beziehung zu diesem Staat hat. Eine formelle Bestätigung der Gesetzesänderung steht noch aus.Quelle
Das non-refoulement-Prinzip
Ein Staat, der die Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 33) und die Europäische Menschenrechtskonvention (Artikel 3) unterschrieben hat, darf keine schutzsuchende Person in ein anderes Land überstellen, ohne zu prüfen, ob ihr eine Gefahr für Leib und Leben droht. Das gilt auch für Überstellungen in "sichere" Drittstaaten, wenn es die Gefahr gibt, dass die Person von dort unrechtmäßig in ihr Herkunftsland abgeschoben wird (sogenannte Kettenabschiebung). Mehr dazu hier.
Wo gibt es schon Drittstaaten-Verfahren?
Italien - Albanien
Im November 2023 haben die italienische und albanische Regierung ein Kooperationsabkommenim Bereich Migration unterzeichnet. Demzufolge sollten Geflüchtete aus "sicheren Herkunftsstaaten", die in internationalen Gewässern vor der italienischen Küste aufgegriffen werden, nach Albanien gebracht werden. Hier sollten sie im Aufnahmezentrum Shengjin ein Screening- und Registrierungsverfahren durchgehen. Im Anschluss hätten sie die Möglichkeit gehabt, einen Asylantrag zu stellen. Ausgenommen waren den Plänen zufolge Frauen, Kinder und besonders schutzbedürftige Personen.
Asylbewerber*innen, denen Schutz gewährt wird, sollten nach Ende des Asylverfahrens (oder nach maximal 18 Monaten) zurück nach Italien gebracht werden. Abgelehnte Asylbewerber*innen sollten in einer weiteren Eirichtung festgehalten und von dort abgeschoben beziehungsweise nach Italien gebracht werden – in der Zuständigkeit der italienischen Behörden. Die Aufnahmeeinrichtungen sollten bis zu 3.000 Personen aufnehmen können.Quelle
Kann das funktionieren?
Die Aufnahmeeinrichtung in Shengjin stand seit der Eröffnung im August 2024 fast durchgehend leer. Etwa 60 Personen (vor allem aus Bangladesh und Ägypten), die bei der Überfahrt im zentralen Mittelmeer aufgegriffen wurden, wurden von italienischen Schiffen nach Albanien überführt. Sie wurden allerdings nach kurzem Aufenthalt zurück nach Italien gebracht: Italienische Gerichte haben die Überstellungen suspendiert – wegen Unstimmigkeiten bei der Feststellung der "sicheren Herkunftsstaaten" Die Gerichte haben das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Inzwischen hat die italienische Regierung bestimmt, dass die Einrichtung ab April 2025 ausreisepflichtige Ausländer*innen aufnehmen wird, die abgeschoben werden sollen. Derartige "Return Hubs" sind auch von der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorgesehen.Quelle
Wer ist zuständig? In einer Stellungnahmehat der UNHCR betont, dass laut Genfer Flüchtlingskonvention der erste Staat, in dem Flüchtlinge ankommen, dafür sorgen muss, dass sie nicht in eine Gefahrsituation abgeschoben werden (Refoulement). Da Albanien die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben hat, können Flüchtlinge dorthin gebracht werden – aber nur, wenn sie nicht davor in italienischen Gewässern waren.
Werden Asylbewerber*innen inhaftiert? Im Abkommen steht, dass die italienischen Behörden dafür sorgen müssen, dass die Schutzsuchenden in den Aufnahmeerinrichtungen bleiben (Artikel 6). Eine Inhaftierung von Asylbewerber*innen ist jedoch laut EU-Asylrecht nur in besonderen Fällenmöglich.
Haben Asylbewerber*innen Zugang zu Rechtsberatung? Das EU-Recht sieht vor, dass alle Asylbewerber*innen Anspruch auf Rechtsbehelf und Rechtsberatung haben, wenn sie gegen einen Asylbescheid klagen möchten (Asylverfahrensrichtlinie, Artikel 39). Inwiefern sie dieses Recht in Albanien ausüben können, ist fraglich.
Das Transitstaat-Modell
Asylverfahren in sogenannten Transitstaaten finden schon seit mehreren Jahren mit Unterstützung des UN-Flüchtlingshilfswerks oder der Internationalen Organisation für Migration statt – etwa in Jordanien. Der UNHCR identifiziert besonders schutzbedürftige Personen vor Ort, die dann im Rahmen von "Resettlement"-Programmen etwa nach Europa, Australien oder Nordamerika verteilt werden.
Kann das funktionieren?
Ja. Das "Resettlement"-System funktioniert allerdings nur eingeschränkt: Gebraucht wurden 2024 knapp 3 Millionen "Resettlement"-Plätze. Tatsächlich verteilt wurden nach UNHCR-Angaben etwa 189.000 Personen (jüngste Erfassung). Auch gibt es derzeit wenige Staaten, in denen derartige Verfahren möglich sind. So wurden zum Beispiel 2011 im tunesischen Flüchtlingslager Chouchamehrere Zehntausend Geflüchtete aus dem Bürgerkireg in Libyen aufgenommen – mit dem Ziel, sie nach Europa, Australien und Nordamerika zu verteilen. Das Camp wurde nach nur zwei Jahren aufgrund zahlreicher Probleme in der Verwaltung geschlossen
UK - Ruanda
Im April 2022 unterzeichnete die britische Regierung ein Abkommenmit Ruanda. Dieses sah vor, dass Schutzsuchende, die irregulär Großbritannien erreichen, ins ostafrikanische Land überstellt werden, um dort ihren Asylantrag zu stellen. Im Fall eines positiven Bescheids sollten die Flüchtlinge in Ruanda bleiben. Bei negativem Bescheid sollten sie in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Nach Angaben der britischen Regierung hätte Ruanda zunächst rund 200 Schutzsuchende pro Jahr aufnehmen können.
Kann das funktionieren?
Der britische "Supreme Court" hat das Abkommen im November 2023 für rechtswidrig erklärt, weil es gegen etliche internationale Abkommen verstößt – unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 33) und die Europäische Menschenrechtskonvention (Artikel 3).
Darüber hinaus hat das Gericht Bedenken über den Schutz der Menschenrechte in Ruanda erhoben. Auch der UNHCR kritisiertedas Abkommen, weil Schutzsuchende dadurch nicht ausreichend vor der Gefahr eines "Refoulement" geschützt wären. Die britische und ruandische Regierungen haben im Dezember 2023 ein neues Abkommenabgeschlossen. Im Januar 2024 hat das britische Unterhaus ein Gesetz gebilligt, nach dem Ruanda als sicherer Drittstaat eingestuft werden soll. Die Regierung von Premierminister Keir Starmer hat den Plan im Juli 2024 gestoppt.
Sollten Mitgliedstaaten der Europäischen Union entscheiden, das Ruanda-Modell anzuwenden, gäbe es für sie eine weitere Hürde: Schutzsuchende können laut EU-Rechtnur dann in sichere Drittstaaten überstellt werden, wenn sie eine "Verbindung" zu diesen Staaten haben. Was genau "Verbindung" bedeutet, ist unklar: Für einige EU-Mitgliedstaaten reicht es, wenn eine Person durch das Land gereist ist. Der Europäische Gerichtshof hat diese Auslegung 2020 jedoch abgelehnt