Antiosteuropäischer Rassismus

Menschen aus osteuropäischen Einwandererfamilien erleben im Alltag in Deutschland Diskriminierung – etwa bei Behörden oder auf dem Arbeitsmarkt. Frauen sind besonders betroffen.

Was ist antislawischer/antiosteuropäischer Rassismus?

Es gibt unterschiedliche Begriffe für Diskriminierung gegenüber Menschen aus Osteuropa. Antiosteuropäischer Rassismus beschreibt die Abwertung von Menschen aus Osteuropa. Er basiert auf dem westeuropäisch geprägten Blick auf Osteuropa als vermeintlich rückständig. Die Begriffe antislawischer Rassismus oder Antislawismus gehen auf die Konstruktion der „Slawen" als eine vermeintliche, biologisch minderwertige und kulturell rückständige „Rasse" im 19. Jahrhundert zurück. Die Bezeichnung „Slawe" oder "Slawin" ist keine Selbstbeschreibung der betroffenen Menschen, sondern eine Fremdzuschreibung. Quelle Panagiotidis/Petersen (2022): "Antiosteuropäischer Rassismus und Antislawismus", S. 1f, LINK; Petersen/Panagiotidis (2022): "Geschichte und Gegenwart des antiosteuropäischen Rassismus und Antislawismus", LINK

Erkenntnisse zu antiosteuropäischem und antislawischem Rassismus haben die Historiker Jannis Panagiotidis und Hans-Christian Petersen 2023 in einer Expertise für den Mediendienstzusammengefasst. 

Die Nationalsozialisten griff diese rassistischen Vorurteile auf und begründeten damit ihre Vernichtungspolitik im östlichen Europa während des Zweiten Weltkriegs. Allein in der Sowjetunion starben rund 27 Millionen Menschen. Zu antiosteuropäischem Rassismus nach 1945 gibt es kaum Forschung. So nahmen etwa ab den 1980er Jahren antiosteuropäische Abwertungen in Deutschland („Polenwitze") zu, als vermehrt osteuropäische Migrant*innen nach Deutschland kamen.QuelleIntegrationsbeauftragte des Bundes (2023): "Rassismus in Deutschland", S. 30, LINK; Panagiotidis/Petersen (2022): "Antiosteuropäischer Rassismus und Antislawismus", S. 2, 4, LINK; Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2025): "Jahresbericht 2024", S. 51f, LINK; s. auch Vlahek (2022): "Deutschnationaler und nationalsozialistischer Antislawismus - Kontinuitäten und Paradigmenwechsel eines heterogenen Ressentiments 1848-1945", S. 6, 13, 17, LINK

Einstellungen gegenüber Menschen osteuropäischer Herkunft

Mehr als 40 Prozent der deutschen Bevölkerung gaben 2022Die Befragung fand von März bis Mai 2022 und damit unmittelbar nach dem Großangriff Russlands auf die Ukraine statt. Vergleichsdaten aus den Jahren davor oder danach gibt es nicht. in einer repräsentativen Studie an, dass sie Russ*innen gegenüber misstrauisch sind. Knapp 30 Prozent stimmten dem teilweise zu. Noch mehr Personen teilen ein Misstrauen gegenüber Menschen aus der Ukraine (43 Prozent misstrauisch, 34 Prozent teilweise misstrauisch).Quelle Decker et al. (2022): "Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen - alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus Studie 2022", S. 137, LINK

Ein verbreitetes Vorurteil über Menschen osteuropäischer Herkunft ist, dass sie aufgrund von Sozialleistungen nach Deutschland kommen. So wurde etwa der EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens 2007 von Debatten über eine vermeintliche Einwanderung in die Sozialsysteme begleitet. Empirische Daten belegen jedoch, dass der Gewinn der Zuwanderung aus den beiden Ländern für den deutschen Sozialstaat überwog. Behauptungen über "Sozialtourismus" gab es auch 2022 gegenüber ukrainischen Flüchtlingen. Quelle Tagesschau (2022): "Merz beklagt "Sozialtourismus", LINK; s. auch Panagiotidis/Petersen (2022): "Antiosteuropäischer Rassismus und Antislawismus", S. 8, LINK; Mediendienst Integration (2021): "Erfolgsgeschichte statt "Armutszuwanderung"", LINK 

Wie oft erleben Betroffene antiosteuropäischen Rassismus?

Menschen osteuropäischer Herkunft erleben im Alltag sowohl subtile (unfreundliche Behandlung) als auch offenkundige (Beleidigungen, Belästigungen) Formen rassistischer Diskriminierung:

  • Etwa ein Drittel werden von ihrem Umfeld zum Beispiel nicht als deutsch wahrgenommen (Männer: 36 Prozent, Frauen: 29 Prozent) oder aufgrund ihres Namens rassistisch diskriminiert (Männer: 31 Prozent, Frauen: 21 Prozent).
  • Frauen osteuropäischer Herkunft erleben häufiger rassistische DiskriminierungDie Zahlen beziehen sich auf subtile Diskriminierung. Auch offenkundigen Rassismus erleben Frauen mit osteuropäischem Hintergrund häufiger. (78 Prozent) als Männer (54 Prozent). Einen Grund dafür sehen Forschende in der langen Tradition sexistischer Fetischisierung von osteuropäischen Frauen.
  • Rassistische Gewalt: Die Amadeu Antonio Stiftung zählt elf rechtsextreme Morde mit rassistischem Motiv an Menschen osteuropäischer Herkunft seit 1990. Quelle DeZIM (2025): "Verborgene Muster, sichtbare Folgen. Rassismus und Diskriminierung in Deutschland", S. 27, 29 (teils eigene Berechnung), LINK; Panagiotidis/Petersen (2022): "Antiosteuropäischer Rassismus und Antislawismus", S. 7, LINK; Amadeu-Antonio-Stiftung (o. J.): "Todesopfer rechter Gewalt", LINK.
  • Arbeitsmarkt: Sowohl Zugewanderte aus östlichen EU-Staaten, als auch Personen mit Bezügen zur ehemaligen Sowjetunion arbeiten oft unter ihrer Qualifikation. Postsowjetische Migrant*innen verfügen über ein niedrigeres persönliches Nettoeinkommen als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund und arbeiten oft in prekären Jobs. Ihre Bildungsabschlüsse wurden oft nicht anerkannt.QuelleGallegos Torres et al. (2022): "18 Jahre EU-Osterweiterung", S. 7f, LINK; Panagiotidis (2021): "Postsowjetische Migration in Deutschland", S. 4ff, LINK
  • Behörden: Eine Untersuchung zeigte, dass Rumän*innen und Bulgar*innen beim Jobcenter bei Anträgen teilweise mehr Dokumente einreichen müssen als andere Ausländer*innen.QuelleBundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (2021):"Schwierigkeiten von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern in der Durchsetzung von Leistungsansprüchen", S. 17f, LINK

Ukrainekrieg und Anfeindungen in Deutschland
Als Russland im Früjahr 2022 den flächendeckenden Krieg gegen die Ukraine begann, wurden russischsprachige Menschen in Deutschland pauschal für den Krieg verantwortlich gemacht. Sie erlebten Beleidigungen und Übergriffe. Das traf nicht nur Menschen aus Russland, denn auch in anderen Ländern wie der Ukraine selbst, Belarus oder Kasachstan gibt es Menschen, die Russisch als Muttersprache sprechen. Als „russisch" wahrgenommene Restaurants und Supermärkte wurden boykottiert oder beschmiert. Es kam auch zu vermehrten Anfeindungen und Falschmeldungen in den Sozialen Medien.Quelle Mediendienst Integration (2022): "Anfeindungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg", LINK; Panagiotidis/Petersen (2022): "Antiosteuropäischer Rassismus und Antislawismus", S. 7f, LINK

Unsichtbare Diskriminierung

Antislawischer Rassismus bleibt in Deutschland oft unsichtbar. Viele Menschen nehmen Personen osteuropäischer Herkunft als „weiß" wahr und gehen davon aus, dass sie keinen Rassismus erleben. So zeigt eine Studie, dass Menschen Rassismus gegenüber Personen osteuropäischer Herkunft seltener anerkennen (69.4 Prozent) als zum Beispiel Anti-Schwarzen Rassismus (81.3 Prozent) oder Antisemitismus (79.8 Prozent). Laut Forschenden fehlt in Deutschland ein breites Bewusstsein zu dem Thema. Quelle DeZIM (2022): "Rassistische Realitäten: Wie setzt sich Deutschland mit Rassismus auseinander? Auftaktstudie zum Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor", S. 69, 76, eigene Berechnung, LINK; Panagiotidis/Petersen (2022): "Antiosteuropäischer Rassismus und Antislawismus", S. 3f, LINK

Unter Forschenden und Aktivist*innen gibt es Diskussionen darüber, ob Diskriminierung gegenüber osteuropäischen Menschen eine Form von Rassismus ist. Denn Osteuropäer*innen würden zwar Diskriminierung erleben, viele hätten aber eine helle Haut. Damit hätten sie, anders als etwa Schwarze Menschen, Möglichkeiten, weniger aufzufallen und als Teil der weißen Mehrheit anerkannt zu werden. Zugleich orientiere sich Rassismus nicht nur an Hautfarbe, sondern auch an Sprache, Akzent, Kultur oder Religion. Man könne bei verschiedenen Diskriminierungserfahrungen von Rassismus sprechen und die Unterschiede benennen, ohne dadurch die Erfahrungen von beispielsweise Schwarzen und osteuropäischen Menschen gleichzusetzen. Ein Kriterium von Rassismus sei, dass Menschen abgewertet werden, die gesellschaftlich nicht in der Position sind, das zu ändern. Das treffe auch auf Menschen osteuropäischer Herkunft zu.QuelleMediendienst Integration (2023): "Häufig prekär beschäftigt und überqualifiziert", LINK; zett (2021): "Menschen können gleichzeitig Opfer und Täter sein", LINK

Ausführliche Informationen und Einschätzungen von Expert*innen finden Sie auch im Artikel "Gibt es Rassismus gegen Weiße?" von Quarks (WDR).