Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 30.1.2025 veröffentlicht und am 6.2.2025 aktualisiert.
Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten steht immer wieder im Mittelpunkt politischer Debatten: 2015 bekamen subsidiär Schutzberechtigte die Möglichkeit, Ehepartner*innen, Kinder oder Eltern nachziehen zu lassen. Nach nur einem Jahr wurde der Familiennachzug ausgesetzt. Seit 2018 können Familien von subsidiär Schutzberechtigten wieder zusammengeführt werden – allerdings im Umfang von maximal 1.000 Visa pro Monat. Ende Januar 2025 stimmte der Bundestag gegen einen Gesetzentwurf der Unions-Bundestagsfraktion, der eine vollständige Abschaffung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten vorsah.
Wie viele Familienzusammenführungen gibt es?
2024 haben die deutschen Botschaften rund 120.000 Visa zum Zweck der Familienzusammenführung ausgestellt – davon gingen etwa 28.300 an Personen aus folgenden Asylherkunftsstaaten: Syrien (ca. 20.000), Iran (4.400), Afghanistan (2.600) und Irak (1.300).
Wie viel Familiennachzug gibt es zu subsidiär Schutzberechtigten?
Im Jahr 2024 wurden rund 12.000 Visa an Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten erteilt. Zwischen 2018 und 2024 waren es insgesamt rund 58.400 Visa – das sind etwa acht Prozent aller Visa zum Zweck der Familienzusammenführung in dieser Zeit. Mehr als 80 Prozent dieser Visa gingen an Angehörige von syrischen Bürger*innen.
Subsidiärer Schutz
In Deutschland leben derzeit rund 351.400 Personen mit subsidiärem Schutz. Einen subsidiären Schutz bekommen Personen, denen im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen.
Wie ist die Rechtslage?
Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge dürfen Ehegatten und minderjährige Kinder nachholen (und unbegleitete Minderjährige ihre Eltern), unabhängig davon, ob sie über genügend Einkommen oder Wohnraum verfügen. Sie müssen dafür den Nachzug innerhalb von drei Monaten beantragen, nachdem sie als Flüchtlinge anerkannt wurden. Für Flüchtlinge ergibt sich dieses Recht nicht nur aus dem deutschen Aufenthaltsgesetz, sondern auch aus der europäischen Familienzusammenführungs-Richtlinie. Der Familiennachzug für Flüchtlinge kann daher von EU-Staaten nicht einseitig ausgesetzt werden.
Anders verhält es sich mit dem Subsidiären Schutz: Die Gewährleistung der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie gilt nur für Flüchtlinge, nicht für subsidiär Geschützte. Ob und in welchem Maße subsidiär Geschützte der Familiennachzug gewährt wird, hängt also vom nationalen Gesetzgeber ab. Seit August 2018 gilt in Deutschland die Regel, dass 1.000 Visa pro Monat für Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten erteilt werden.Quelle
Ist die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten rechtlich zulässig?
Auch wenn die EU-Familiennachzugsrichtlinie nicht für subsidiär Schutzberechtigte gilt, ist der nationale Gesetzgeber nicht völlig frei in seiner Entscheidung, welche Rechte er subsidiär Geschützten gewährt: Denn der Familiennachzug berührt sowohl Rechte aus der deutschen Verfassung (Art. 6 Grundgesetz: Ehe und Familie), als auch Rechte aus der von Deutschland ratifizierten Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK: Achtung des Privat- und Familienlebens).
Schon 1987 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sich Fragen rund um die Familienzusammenführung an dem Grundrecht auf Familie aus Art. 6 Grundgesetz messen lassen müssen. Auf europäischer Ebene urteilte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof 2021, als es um den Familiennnachzug für einen subsidiär Geschützten in Dänemark ging, dass eine komplette Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte nicht erlaubt ist: Staaten dürfen demnach den Familiennachzug für zwei Jahre ausschließen, müssen danach aber den Einzelfall prüfen.Quelle
Wie lange leben subsidiär Schutzberechtigte in Deutschland?
Die Statistik zu subsidiär Geschützten in Deutschland zeigt, dass die meisten von ihnen jahrelang nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können: So leben etwa aktuell über die Hälfte der subsidiär Geschützten (187.194 Personen) bereits seit sechs Jahren oder länger in Deutschland. Daher wurde Anfang 2024 auch die Rechtslage angepasst: So erhalten nicht nur Flüchtlinge, sondern auch subsidiär Schutzberechtigte nach ihrer Anerkennung einen Aufenthaltstitel direkt für drei Jahre – und nicht, wie früher bei subsidiär Geschützten üblich, lediglich ein Jahr).Quelle
Was bedeutet die Trennung von der Familie für irreguläre Migration?
„Wenn Familienmitglieder nicht regulär nachziehen dürfen, dann sehen sich viele gezwungen, irreguläre Wege zu nutzen“, erklärt Dr. Benjamin Etzold vom Bonner International Center for Conflict Studies. Er forscht seit Jahren zu Familien, die durch Flucht getrennt wurden, und hat zahlreiche Interviews mit Geflüchteten zum Thema Familiennachzug geführt. „Die Logik lässt sich leicht verstehen, wenn man auf die menschliche Dimension dieses Themas blickt: Familien wollen beisammen sein, eine Trennung von Kind, Eltern oder dem Partner ist schwer zu ertragen, für junge Menschen sogar traumatisch. Wenn es keine legalen Möglichkeiten gibt, ihnen nachzureisen, dann sucht man andere Wege“, so Etzold.
Was bedeutet die Trennung von der Familie für Integration und Kriminalität?
Zahlreiche Studien betonen die psychische Belastung, die die Trennung von der Familie für Menschen darstellt. Wenn Flüchtlinge ihre Familienangehörigen nicht nachholen können, erschwere das ihre Integration im neuen Land. "Der Familiennachzug ist integrationspolitisch sinnvoll, da die Sorge um Angehörige es erschwert, innerlich anzukommen und sich etwa um Spracherwerb und Arbeit zu bemühen“, sagt Prof. Winfried Kluth, Vorsitzender des Sachverständigen für Integration und Migration.
2018 erfuhr eine Studie viel Aufmerksamkeit, nach der Familiennachzug die Kriminalität von Flüchtlingen senken könnte: Mit Blick auf die Straftaten von jungen männlichen Flüchtlingen verwies Studienleiter Christian Pfeiffer auf das Fehlen von Partnerinnen oder Müttern. Die Kriminologin Prof. Gina Wollinger arbeitet zu Ausländerkriminalität sowie Zusammenhängen zwischen Migration und Kriminalität. Sie sagt, dass sich aus der Studie nicht unmittelbar ergebe, dass Familiennachzug die Kriminalität senke, sondern dies eher eine Hypothese basierend auf den Studienergebnissen sei. Allerdings zeige die kriminologische Forschung generell, dass familiäre Einbindung ein kriminalitätshemmender Faktor sei: „Hier ist sich die Forschung einig: Personen, die einsam, sozial schlecht eingebunden oder frustriert sind, begehen wahrscheinlicher eine Straftat als Personen, die familiär und sozial gut eingebunden sind. Elterliche Erziehung zu erfahren oder selbst erzieherische Verantwortung zu übernehmen, senkt die Wahrscheinlichkeit für Kriminalität. Familien zu trennen, steigert daher tendenziell das Risiko für Straffälligkeit“, so Wollinger.Quelle
Von: Fabio Ghelli und Donata Hasselmann
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.