Vor gut zwei Jahren unterzeichneten die deutsche und indische Regierung ein Migrationsabkommen mit dem Ziel, Arbeitsmigration aus Indien zu vereinfachen – und gleichzeitig Fluchtmigration aus dem Land zu reduzieren. In diesem Jahr kam die "Fachkräftestrategie Indien" hinzu, ein weiteres Maßnahmenpaket, um den Zuzug indischer Fachkräfte zu fördern.
2022 stieg noch die Zahl der Arbeitsmigrant*innen aus Indien deutlich. Damit setzte sich eine Tendenz fort, die bereits seit einem Jahrzehnt andauert. 2023 zogen jedoch weniger hochqualifizierte indische Staatsbürger*innen mit einer "Blauen Karte-EU" nach Deutschland. Und die sogenannte Nettozuwanderung (wie viele Personen mehr ein– als auswandern) aus Indien ging zum ersten Mal seit der Covid-19-Pandemie zurück. Wie kam es dazu? Der Mediendienst hat Statistiken ausgewertet und Expert*innen befragt.
Die meisten Inder*innen kommen zum Arbeiten
Ende November 2024 hielten sich laut Ausländerzentralregister 274.910 indische Staatsangehörige in Deutschland auf. Seit mehreren Jahren zählt Indien zu den Staaten mit der höchsten Netto–Zuwanderung nach Deutschland. 2023 war Indien auf Platz 5 der Länder, aus denen mehr Menschen zu– als ausgewandert sind – nach den drei Asylherkunftsstaaten Ukraine, Syrien, Afghanistan sowie der Türkei.
Indische Staatsbürger*innen kommen vor allem zum Arbeiten oder Studium nach Deutschland: 18 Prozent der rund 54.200 Personen, die 2023 nach Deutschland gezogen sind, haben einen Aufenthaltsitel zur Erwerbstätigkeit. Ebenfalls 18 Prozent kamen aus familiären Gründen und 15 Prozent zum Studieren. Etwa drei Prozent haben in Deutschland Asyl beantragt.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Indien auf dem deutschen Arbeitsmarkt versiebenfacht – und liegt derzeit bei rund 142.800 Personen. Viele von ihnen arbeiten in der IT-Branche.
Weniger indische Einwanderer*innen mit "Blaue Karte-EU"
2023 ist allerdings die Zahl der Personen, die zum Zweck der Erwerbstätigkeit nach Deutschland gezogen sind, zum ersten Mal seit der "Covid–Delle" zurückgegangen.
Grund dafür ist, dass etwas weniger indische Staatsbürger*innen mit einer "Blauen Karte-EU" nach Deutschland kommen. Indien ist das Land, aus dem die meisten Inhaber einer "Blauen Karte-EU" kommen: Jede vierte "Blaue Karte-EU" für Deutschland ging 2023 an indische Staatsbürger*innen. Durch die Karte bekommen hochqualifizierte Fachkräfte mit einem Arbeitsvertrag (oder einem verbindlichen Arbeitsplatzangebot) und einem bestimmten Mindestgehalt einen Aufenthaltstitel für zunächst vier Jahre. Die Zahl der neu zugezogenen Fachkräfte mit einer "Blauen-Karte" ist im Jahr 2023 um rund 10 Prozent zurückgegangen.
Es kommen allerdings nicht nur Inhaber von "Blauen Karten" aus Indien nach Deutschland. Besonders seit Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes 2020 können neben Fachkräften mit akademischer Ausbildung auch Fachkräfte mit Berufsausbildung sowie Arbeitskräfte mit anderen Qualifikationen einen Aufenthaltstitel bekommen. Sowohl bei den Akademiker*innen als auch bei Nicht-Akademiker*innen ist die Zahl der Neu-Zuzüge tendeziell gestiegen. Diese Tendenz scheinen auch die vorhandenen Daten für 2024 zu bestätigen. Daten zur Visa-Vergabe zeigt außerdem: Es kommen immer mehr junge Inder*innen zum Studieren – die Zahl der Student*innen-Visa liegt schon im November 2024 etwa 40 Prozent über dem Durchschnittswert der vergangenen Jahre.
Arbeitsmigration wird vielfältiger
Das sei kaum überraschend, sagt Soziologin Amrita Datta von der Universität Bielefeld, Autorin zahlreicher Publikationen zu indischer Migration nach Deutschland: "Die Blaue Karte-EU hat einen Weg für viele Arbeitsmigrant*innen eröffnet. Wenn ein Einwanderungsweg etabliert ist, wird er auch von anderen Migrant*innen genutzt", so Datta.
Inzwischen kämen nicht nur IT-Expert*innen aus Indien, sondern auch zum Beispiel Pflegekräfte, denn die Nachfrage nach Arbeitskräften werde in Deutschland immer vielfältiger. Es sei zu erwarten, dass durch die neue "Chancenkarte" das Spektrum der potentiellen Arbeitsmigrant*innen noch breiter werde. Das habe allerdings auch zur Folge, dass viele Arbeitsmigrant*innen (vor allem diejenigen, die ohne Arbeitsvertrag nach Deutschland kommen) nur eine geringfügige selbstständige Arbeit in der sogenannten "Gig Economy" finden – etwa bei Lieferservices oder als Fahrer*innen.
Andere Einwanderungsländer machen Deutschland Konkurrenz
Dass weniger Menschen mit einer "Blauen Karte-EU" nach Deutschland kommen, sei nicht überraschend, sagt die Soziologin. Wenn es um hochqualifizierte Fachkräfte gehe, konkurriere Deutschland mit anderen Ländern wie etwa den USA oder Großbritannien.
Die Bundesrepublik habe zwar einige Vorteile gegenüber diesen Ländern – wie zum Beispiel ein gutes und erschwingliches Hochschulsystem. Es gebe aber auch Nachteile – dazu zählten vor allem hohe Sprachbarrieren, eingeschränkte Karrierechancen für Nicht-Deutsche sowie Erfahrungen mit Diskriminierung und strukturellen Rassismus, so Datta: "In einem Moment, in dem die deutsche Wirtschaft stagniert, ist die Attraktivität Deutschlands als Zielland bei vielen Hochqualifizierten eher gering."
Insgesamt sei das deutsch-indische Migrations- und Mobilitätspartnerschaftsabkommen dennoch positiv einzuschätzen, sagt David Kipp von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der die Auswirkungen des Abkommens in Indien untersucht hat. Auch wenn noch keine nennenswerten Effekte auf die Zuwanderungszahlen aus Indien zu beobachten seien, ist zumindest die Aufmerksamkeit in beiden Ländern gestiegen, so Kipp: "Trotz einiger Verbesserungen, etwa im Bereich der Visaverfahren, sind aber die deutschen Außenstrukturen in Indien noch nicht für eine Skalierung von Arbeitsmigration aufgestellt."
Von Miriam Sachs und Fabio Ghelli
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.