Im April 2024 wurde eine umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vom EU-Parlament verabschiedet. Die Rechtsvorschriften sollen ab 2026 von den Mitgliedstaaten angewandt werden. In Deutschland hat hat das Bundeskabinett im September 2025 ein umfassendes Gesetzespaket zur Umsetzung der GEAS-Reform in die Wege geleitet.
Die wichtigsten Bausteine der Reform sind:
- Screeningverordnung
- Asylverfahrensverordnung
- Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung
- Krisen- und "force majeure" Verordnung
Im März 2025 hat die Europäische Kommission zudem einen Vorschlag für eine Verordnung präsentiert, die die gemeinsame EU-Rückführungspoltik neu regeln soll.
Screeningverordnung
Personen, die die Außengrenzen der Europäischen Union irregulär überschreiten, müssen zunächst ein "Screening"-Verfahren durchlaufen (Artikel 1). Dabei werden ihre Fingerabdrücke abgenommen und ihre Identität, Gesundheitszustand sowie potentielle Sicherheitsrisiken festgestellt. Das Verfahren soll in der Nähe der Grenzen stattfinden und maximal sieben Tage dauern. Die einreisenden Personen können für die Zeit des Verfahrens festgehalten werden (Artikel 6). Nach dem Screening werden die einreisenden Personen entweder in das Asyl- oder Rückführungsverfahren verwiesen. Die zuständigen Mitgliedstaaten sollen dafür sorgen, dass das Verfahren im Sinne der internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte stattfindet (monitoring mechanism – Artikel 10).
Weitere Informationen >>> LINK. Zum Text der Screening Verordnung – Stand 3.4.2024: LINK
Asylverfahrensverordnung
Diese neue Verordnung verändert grundsätzlich den Zugang zum Asylsystem für Personen, die Schutz in der EU suchen.
Grenzverfahren: Schnellverfahren für Personen aus bestimmten Herkunftsländern
- Bei Schutzsuchenden, die die EU-Außengrenzen betreten, an den EU-Außengrenzen festgenommen werden oder im Meer gerettet werden, wird künftig geprüft, ob ihr Asylgesuch im sogenannten Grenzverfahren (Artikel 43-45) bearbeitet werden muss.
- "Grenzverfahren" finden unter der sogenannten "Fiktion der Nicht-Einreise" statt (Artikel 43, Abs. 2). Es wird also rechtlich angenommen, dass sich die schutzsuchende Person noch nicht auf EU-Boden befände – obwohl das physisch der Fall ist.
- "Grenzverfahren" bedeutet in der Praxis, dass ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt wird (Artikel 43). Die Betroffenen haben in solchen Verfahren nur einen eingeschränkten Zugang zu Rechtsmitteln gegen ablehnende Asylbescheide.
- Die Grenzverfahren sind vor allem für Personen vorgesehen, die aus Ländern kommen, die eine "Schutzquote" von 20 Prozent oder weniger aufweisen. Aber auch Personen, die keine Dokumente vorweisen können oder die bei der ersten Anhörung widersprüchliche Aussagen gemacht haben, müssen das Grenzverfahren durchlaufen (Artikel 43).
- Staaten, die für die Durchführung der Grenzverfahren zuständig sind, sollen dafür sorgen, dass Schutzsuchende nicht das Grenzgebiet verlassen, solange sie im Verfahren sind (Artikel 54). Das heißt, sie können die Schutzsuchenden unter haftähnlichen Bedingungen festhalten.
- Dafür sind insgesamt 30.000 Plätze in Einrichtungen an den EU-Grenzen vorgesehen (Artikel 46).
- Grenzverfahren dürfen maximal 12 Wochen dauern (Artikel 51).
Zulässigkeitsprüfungen
- In sogenannten Zulässigkeitsprüfungen (Artikel 38) können die Asylbehörden prüfen, ob der Schutzsuchende aus einem Land eingereist ist, in dem er Asyl hätte beantragen können (first country of asylum – "erstes Asyl-Land") – oder aus einem "sicheren Drittstaat" (safe third country).
- Als "erstes Asyl-Land" und "sicherer Drittstaat" werden Staaten bezeichnet (Artikel 57), in denen angenommen wird, dass den Schutzsuchenden keine Verfolgung oder unmenschliche Behandlung drohen. Auch dürfen sie von dort nicht in lebensgefährliche Situationen abgeschoben werden (refoulment). Die Staaten müssen Menschenrechte beachten und den Asylbewerber*innen etwa Zugang zu Gesundheitsversorgung und Lebensunterhalt gewähren. Die Bezeichnung "sicherer Drittstaat" kann sich zudem auch nur auf eine oder mehrere Regionen eines Staates beziehen, es muss also nicht der gesamte Staat sicher sein. Auch soll es genügen, dass der Staat für bestimmte Personengruppen sicher ist.
- Wenn das Asylgesuch für unzulässig erklärt wird, muss die/der Asylbewerber*in die EU verlassen und wird in den „sicheren Drittstaat“ abgeschoben.
Weitere Informationen >>> LINK. Zum Text der Asylverfahrensverordnung – Stand 3.4.2024 >>> LINK
Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung
Die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung schafft die Voraussetzungen für eine Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der Europäischen Union. Dadurch wird zum Teil die Dublin-III-Verordnung ersetzt.
Die Zuständigkeit für Asylbewerber*innen bleibt prinzipiell bei den Staaten, in denen sie zuerst einreisen (s. oben). Wenn diese jedoch unter erhöhtem "Migrationsdruck" (migration pressure) stehen, können sie die anderen Mitgliedstaaten um Hilfe bitten (Artikel 10).
Jedes Jahr soll die Europäische Kommission einen Bericht erstellen, auf dessen Grundlage ein "Solidaritätspaket" (solidarity pool) mit verfügbaren Kapazitäten, nötigen finanziellen Mitteln und einem Verteilungsschlüssel erarbeitet wird (Artikel 12). Die Mitgliedstaaten sollen jährlich mindestens 30.000 Schutzsuchende verteilen und 600 Millionen Euro für Aufnahmemaßnahmen zur Verfügung stellen (Artikel 12). Die Mitgliedstaaten sichern eine bestimmte Zahl an Plätzen (pledge) für die Verteilung zu. Staaten, die keine Schutzsuchenden aufnehmen wollen, können sich finanziell an dem "Solidaritätspaket" beteiligen oder eigene Mittel und Personal zur Verfügung stellen.
Weitere Informationen >>> LINK. Zum Text der Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung – Stand 3.4.2024 >>> LINK
Krisenverordnung
In Krisensituationen sollen einzelne EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ein Notfall-Asylsystem zu aktivieren (Artikel 1). Das kann geschehen wenn:
- die Zahl der Schutzsuchende, die in einen Mitgliedstaat einreisen, außergewöhnlich steigt,
- ein Drittstaat Fluchtmigration "instrumentalisiert", um einen EU-Mitgliedstaat zu destabilisieren.
Um die "Krisenverordnung" zu aktivieren benötigen die betroffenen Mitgliedstaaten einen Beschluss des Europäischen Rats.
Wird die "Krisenverordnung" aktiviert, gelten unter anderem folgende Sonderregeln:
- Ankommende Schutzsuchende werden im Eilverfahren registriert und ihre Anträge bearbeitet (Artikel 10),
- Sie können bis 18 Wochen im "Grenzverfahren" (s. oben) und somit in haftähnlichen Bedingungen bleiben (Artikel 11),
- Abgelehnte Asylbewerber*innen können im Eilverfahren abgeschoben werden.
Betroffene Mitgliedstaaten können von anderen EU-Ländern "Solidaritätsbeiträge" anfordern: Asylbewerber*innen und anerkannte Flüchtlinge können auf andere Mitgliedstaaten umverteilt werden (Artikel 4). Alternativ dazu können die anderen Mitgliedstaaten Unterstützung bei der Bearbeitung der Asylanträge beziehungsweise finanzielle Unterstützung anbieten. Die Sonderbedingungen unter der "Krisensituation" dauern drei Monaten und können einmal um weitere drei Monate verlängert werden (Artikel 5).
Weitere Informationen >>> LINK. Zum Text der Krisen- und "force majeure" Verordnung – Stand 3.4.2024 LINK
Gemeinsames Europäisches Rückkehrsystem
Im März 2025 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Rückkehrsystems vorgestellt, um Abschiebungen zu erleichtern. Dazu gehören:
- Die aktuell geltende EU-Rückführungsrichtlinie soll durch eine Verordnung ersetzt werden.
- "Rückkehrentscheidungen" (return decisions) eines Staats zu einer Person sollen von allen anderen Mitgliedstaaten mitgetragen werden (Artikel 9).
- Eine Rückkehr kann mit einem Verbot der Wiedereinreise bis zu 15 Jahren verbunden werden (Artikel 10). Derzeit sind das in der Regel fünf Jahre.
- Ausreisepflichtige Personen müssen mit den Behörden bei der Beschaffung von Unterlagen und sonstigen Informationen zum Zweck der Identitätsfeststellung kooperieren. Wenn sie das nicht tun, können sie durch Leistungskürzungen oder Entzug der Arbeitserlaubnis sanktioniert werden (Artikel 21,22).
- Ausreisepflichtige Personen, bei denen eine erhöhte Fluchtgefahr vermutet wird oder die mit den zuständigen Behörden nicht ausreichend kooperieren beziehungsweise aus dem für sie zuständige Land ausreisen, sollen in Haft genommen werden können. Die Inhaftierung kann bis 24 Monaten dauern – aktuell sind das 18 Monate (Artikel 29-32).
- Die Kommission will außerdem die Möglichkeit prüfen, ausreisepflichtige Personen in Zentren außerhalb der EU (Return Hubs) festzuhalten und von dort aus abzuschieben.
Zum Verordnung-Vorschlag der Kommission LINK
Weitere Reformen
- Neue Eurodac Verordnung: regelt die Erfassung von persönlichen und biometrischen Daten von Asylsuchenden und den Datenaustausch zwischen verschiedenen EU-Datenbanken.
- Anerkennungsverordnung: soll die Kriterien für die Vergabe von einzelnen Schutzformen in der gesamten EU harmonisieren; schränkt den Fortzug von Personen ein, die bereits in einem EU-Mitgliedstaat Schutz bekommen haben.
- Flüchtlingsaufnahme-Richtlinie: soll die Kriterien für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Bereichen Unterkunft, Schulbildung und Gesundheitsversorgung harmonisieren; Asylbewerber*innen sollen künftig EU-weit die Möglichkeit haben, spätestens sechs Monate nach Antragstellung eine Arbeit aufzunehmen.
- Resettlement Framework: schafft zum ersten Mal einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen für die Aufnahme von Schutzsuchenden aus Drittstaaten (Resettlement).
Geschichte des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
Das Grundkonzept eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde 1999 im sogenannten Tampere Programm definiert und 2004 durch das sogenannte Haager Programm bestätigt. Ziel war es, europaweit einheitliche Standards für die Asylverfahren und die möglichen Rechtsstatus für Geflüchtete zu etablieren.
Im Juni 2013 verabschiedete das Europäische Parlament die neuen Vorschriften, die 2015 von allen Mitgliedstaaten übernommen wurden. Den Kern bilden zwei Verordnungen und mehrere Richtlinien, unter anderem:
- Die Dublin III - Verordnung regelt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und die Möglichkeit der Inhaftierung von Flüchtlingen.
- Die EURODAC-Verordnung regelt den Aufbau eines Fingerabdruck-Systems zur Kontrolle der Umsetzung der Dublin-Verordnungen.
- Die Qualifikations-Richtlinie regelt, wer als Flüchtling gilt.
- Die Aufnahme-Richtlinie regelt, wie die Aufnahme und Behandlung von Asylsuchenden zu erfolgen hat.
- Die Asylverfahrens-Richtlinie regelt die Grundlagen der Asylverfahren.